Ein brabbelnder Honecker als König
Im Kraftwerk Mitte öffnet die Puppentheatersammlung ihre Tore
Einst sorgte hier die DREWAG dafür, dass Wohnungen warm wurden und das Licht nicht ausging. Und das sieht man auch noch. Denn ebenso wie im direkt gegenüber liegenden Theaterbau der Staatsoperette und des Theaters Junge Generation kommt in dem sanierten Gebäude, in dem die Puppentheatersammlung ihr Zuhause gefunden hat, der Charme der Industriearchitektur zur Geltung.
So wird man im Eingangsfoyer von einem gewaltigen Ladekran empfangen, der über einem restaurierten Proszenium aus der Zeit des ersten Weltkriegs verblieben ist. Für Besucherinnen und Besucher teilt sich der riesige Leinwandvorhang mit Bildnissen von Goethe und Schiller, der bei reisenden Puppentheaterspielern einst die Bühne im Hinterzimmer eines Gasthofs verdeckte, und sie befinden sich in der besonderen Welt der äußerlich kleinen Theater.
Lange hat es gedauert, bis die laut Chefin des Hauses, Kathi Loch, nach München zweitgrößte Puppentheatersammlung der Welt diesen angemessenen Platz fand. Deren Ursprung war die Sammlung des Leipziger Volksschullehrers Otto Link; der übereignete seine Kollektion mit über 20.000 Exponaten 1952 dem Land Sachsen. Sie wurde im Rahmen des Landesmuseums für sächsische Volkskunst, später im Hohenhaus in Radebeul gezeigt. Die Sammlung wuchs, konnte jedoch immer nur stundenweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Als das Hohenhaus 2002 verkauft wurde, war das mittlerweile den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zugehörige Museum heimatlos. 2004 erfolgte der Umzug in die Dresdner Garnisonskirche. Was als Provisorium gedacht war, wurde zur jahrzehntelangen Zwischenlösung – inklusive kleiner Ausstellungen. Immerhin gab es regelmäßig Sonderausstellungen im Jägerhof. Dann endlich, 2017, stellte der Freistaat mit Unterzeichnung des Pachtvertrags mit der Sachsen Energie die Weichen für das Vorhaben im Kraftwerk Mitte.
Kathi Loch, die umtriebige Leiterin des Hauses, kam 2019 an Bord. Davor war sie Chefdramaturgin beim Theater Junge Generation. »Frau Ackermann wird sich etwas dabei gedacht haben«, sagt sie im Vorab-Gespräch mit der SAX mit sympathischen Selbstbewusstsein zu ihrer Ernennung. Und was? »Jemand, der mehr in Inszenierungen denkt.«
Und das ist es auch tatsächlich, was das Museum, das nicht so heißen will, besonders macht. Für die Basisausstellung konnten die Kuratorinnen und Kuratoren auf über 100.000 Exponate zurückgreifen. Im Dachgeschoss des Gebäudes finden sich die Abteilungen »Bühne«, »Für die Bühne«, »Vor der Bühne«, »Hinter der Bühne«, »Auf der Bühne« und »Nach der Bühne«. Am Eingang grüßt die digitale wissenschaftliche Mitarbeiterin »Lotte« von einer Leinwand und macht den Gästen das Angebot, »mitzuarbeiten«. Sie können, wenn sie wollen, aktiv durch die Ausstellung gehen, auf einem Erhebungsbogen Informationen zu einzelnen Puppen zusammentragen.
Dann gibt es zehn Puppen zu sehen – laut Loch »ein Querschnitt durch die Sammlung« - präsentiert in den alten Holzschränken und Kisten aus der Garnisonskirche, inmitten von Dekoration und Requisiten. Da findet sich etwa ein Esel aus einem jener Theatrum Mundi, jenen mechanischen Schaubühnen, bei denen die Figuren auf Schienen bewegt wurden, aber auch eine wertvolle Schattentheaterkatze von Lotte Reiniger, der ersten großen Animationskünstlerin Deutschlands.
Schnell kristallisiert sich heraus, dass der Hauptfokus der Ausstellung auf dem traditionellen Puppentheater liegt, auf jenem, das in der DDR wenig erwünscht war. »Es wurde nicht verboten«, so Loch, »man hat das über Lizenzen geregelt.« So wurde einerseits das Puppenspiel gefördert, etwa mit dem entsprechenden Studiengang an der heutigen Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, andererseits aber versucht, die eher anarchischen traditionellen Puppenspieler, die mit ihren Wanderbühnen über Land zogen und in den Gasthäusern aufspielten, abzudrängen. Von einer jener widerständigen Familien – tatsächlich handelte es sich stets um Familienunternehmen – den Ritschers, gibt es neben alten Puppen auch eine hölzerne Geldkassette und Mama Ritschers Kittelschürze zu sehen. Solche Exponate lassen die Welt der Puppenspieler förmlich spürbar werden.
Christian Werdin ist ein wichtiger Name in dieser Sammlung. Der Puppenbauer hatte sich stets der traditionellen Fertigung der Puppen verschrieben und es nicht nur damit auf Auseinandersetzungen mit der Staatsführung ankommen lassen. In der Ausstellung gibt es eine alte Bühne von ihm zu sehen, auf der das Stück »Jäger des verlorenen Verstandes« mit einem im Klappgestell vor sich hin brabbelndem Erich Honecker als König aufgeführt wurde.
Neben dieser kleinen Kastenbühne wird auf Versuche hingewiesen, Puppentheater politisch zu vereinnahmen – von rechts durch die Nationalsozialisten, von links durch die DDR-Führung. »Meist relativ erfolglos«, kommentiert Kathi Loch lapidar.
Der erste Stock des Gebäudes wird im Rahmen der »Jahresausstellung« von wechselnden Gruppen jenseits des Museumsbetriebs bespielt. Den Auftakt macht die Künstlergruppe Rimini Protokoll. Sie hat ihre Inszenierung »Alter Ego Raubkopie« genannt und wir begegnen hier einer ganz neuen, eigens für die Ausstellung geschnitzten Puppe Christian Werdins. Der Mann, der gern für Trump und Konsorten die Strippen zieht, hängt hier selbst an welchen. Womit natürlich die Frage aufkommt, ob er wirklich der Strippenzieher ist oder ob es sich umgekehrt verhält. Wir sehen eine Elon Musk-Marionette, allerdings gesteuert von einem Roboter. In drei Räumen geht es bei dieser Jahresausstellung um Manipulation, Kontrollverlust und die Frage, wer mit wem spielt.
Warum will die Puppentheatersammlung nicht Museum heißen? Weil dieses »Haus der Charaktere«, als welches es vermarktet wird, mehr ist. Da ist zunächst das riesige Depot. Von dem ist zwar nur ein kleiner Teil öffentlich zugänglich, aber in einem Raum am Ende des Rundgangs durch die Basisausstellung können Besucherinnen und Besucher weitere Schätze entdecken. In diesem Depot werden auch stetig alte Exponate restauriert. Dann gibt es das riesige Archiv mit über 3.000 Handschriften, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen, rund 2.000 Typoskripten, Briefwechseln, Lebensläufen, Anleitungsliteratur und pädagogischen Schriften. Dieses Archiv steht allen Interessierten nach Anmeldung offen.
Eröffnet wird das Haus in Etappen: Die erste Septemberwoche gehört geladenen Gästen – darunter auch Wahlhelfer, denen so für ihren Einsatz gedankt werden soll. Am Kraftwerk Mitte Fest am 7.September gilt dann: freier Eintritt für alle. Zu diesem Festtermin soll in Zukunft auch die jeweils neue Jahresausstellung präsentiert werden. Mit dem 8. September beginnt der reguläre Betrieb.
Beate Baum
Puppentheatersammlung im Kraftwerk Mitte geöffnet Dienstag bis Freitag 14 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 19 Uhr. Eintritt für eine Ausstellung 7 Euro, ermäßigt 5 Euro, unter 17 Jahren frei. Kombiticket: 10 Euro, ermäßigt 6,50 Euro
www.puppentheatersammlung.skd.museum