Ehle, wem Ehle gebührt
Dynamo Dresden ringt vor dem Lockdown Düsseldorf nieder
„Alle gemeinsam“ titelt das Stadionheft „Kreisel“ zu diesem Spiel, „Alle oder keiner“ heißt es auf dem Banner, das der dem Stadion gegenüberliegenden Straßenseite gezeigt wird. Ich persönlich tue mich sehr schwer mit dem Wort „alle“, denn es beinhaltet etwas, dem niemand und nichts – bis auf den Tod natürlich – gerecht werden kann: alle. So hätte auf dem „Kreisel“ das Wort „Gemeinsam“ vollkommen genügt, und auch die heute inflationäre Losung „Alle oder keiner“ ist inhaltlicher Unsinn, denn schon wenn man Eintritt erhebt, schließt man alle Menschen aus, die sich das nicht leisten können. Und überhaupt: War es die Absicht der Bannerträger, all jenen ein schlechtes Gewissen zu machen, die die Mannschaft in einer großen Ergebnis-Krise supporten wollen? Wie lächerlich, wenn man den Spruch „Nichts ist größer als der Verein“ immer nur dann benutzt, wenn es einem selbst in den Kram passt. Geht es aber darum, über den eigenen Schatten zu springen, ist man dann eben doch größer als alles andere. Oder möchte man sich nur nicht via Anwesenheit als geimpft outen? Ja, Gruppenzwang ist schon Scheiße, die Schlange an der Tageskasse sprach aber ihre eigenen Bände – am Ende waren dann doch knapp 9.000 Fans in der Schüssel. Angesichts dessen, dass es sicher viele verständlicherweise vorzogen, Menschenansammlungen zu meiden, und wieder andere 2G nicht erfüllen wollen oder können, ist das respektabel. Ohne jeden Zweifel hat es der Mannschaft sichtlich geholfen. Und sie gemeinsam (!) mit den Fans sind eben der Verein.
Apropos Mannschaft. Mit dem neuen Capitano Yannick Stark liefen auch die Rückkehrer Brandon Borello und Kevin Ehlers im Beginner-Team auf, während Patrick Weihrauch auf der Bank saß (und dort auch blieb). Nicht einmal auf der Bank saß derweil Philipp Hosiner, bei dem es mich – auch angesichts seiner Kurz- und NIchteinsätze der vergangenen Monate – nicht wundern würde, wenn es nach der Hinrunde „Bewegung“ gibt. Mit Luca Herrmann lief ein weiterer Spieler zum Anpfiff auf, der lange verletzt war, Paul Will dagegen musste wieder sitzen.
Und da ist es nun, das Spiel zweier Vereine, deren Namen momentan ebenso so groß sind wie die Probleme. In Dresden sucht man den Ausweg nicht im Trainerbashing, sondern will die Spieler in die Pflicht nehmen. Während die Fortunen in der Länderspielpause mehrere Tage frei hatten, mussten die Elbestädter fast durchackern, wobei man auch sagen muss, dass die Düsseldorfer mehr Nationalspieler abstellen mussten als Dynamo. Aber: Hey ho, let’s go! Der K bietet beim Stadionsprecher-Vorprogramm schon mal ganz gutes Volume an.
Die erste Halbzeit: Ein Foul, ein Pfiff, ein Tor
Die Rheinländer haben zuerst den Ball, Schwarzgelb bringt dafür die erste Flanke vor das Tor. Die „Dynamo“-Wechselgesänge schwellen an, wenn auch der Groove ohne Ansage und Trommel anfangs wackelig ist. Ein unsicheres Abtasten ist das in den ersten Minuten, in denen sich Stark zwei ganz schwache Fehlpässe leistet. Dresdens Spiel läuft anfangs vor allem über links, wo Akoto, Borello und Königsdörffer im Wechsel von Mut und Übermut um jeden Ball fighten. Irgendwie sieht das Konzept beider Mannschaften so aus: hinten sicher, vorn sehen, was mit Daferner hier oder Hennings dort so geht.
Nach zehn Minuten tanken sich die Gäste dann doch mal durch: Nach einem Kombinat von Klaus und Iyoha steht Narey gefährlich frei, doch Michael Akoto lässt mit seinem Body die Schranke runter. Aber bei den Roten wirkt das wie ein kleines Angriffssignal, bei Schwarz-Gelb regiert nun die Vorsicht als Mutter der Porzellankiste. Vor dem Tor wird kompakt agiert, nach vorn geht nichts. Also wirklich: nichts. So drängen die 95er immer wieder offensiv, aber Fortuna und Glück haben an diesem Nachmittag nichts miteinander zu tun. Die erste Ecke ergibt nur ein Fast-Eigentor, die zweite endet in einem Offensivfoul. Wenig später geht es ganz schnell über links, aber in der Düsseldorfer Mitte bekommt Hennings das Leder nicht kontrolliert. In Minute 25 schließlich die beste Gelegenheit der Gäste: In Überzahl rennen sie auf den Broll-Strafraum zu, aber statt zu schießen wird so lange quergespielt, bis nichts mehr geht. Bei den Dynamischen steht bislang nur ein Schröter-Freistoß aus dem Halbfeld auf dem Zettel, doch Kopfbälle sind heute bei dem Gegner kaum zu gewinnen.
Was auffällt: Mit Ehlers steht die mittige Defense ebenso stark wie unaufgeregt und Akoto antizipiert so gut wie noch nie. Wenn der Gegenspieler noch überlegt, wo er hinspielt, hat der Linksverteidiger das Ding schon erobert. Königsdörffer, Schröter und Herrmann zeigen sich agil, verpassen aber ein ums andere Mal, die Kugel im passenden Moment abzuspielen. Daferner wiederum hat mit Borello endlich einen Hard-Pressing-Buddy – beide gehen wie Pitbulls auf jeden drauf, der irgendetwas mit dem Ball zu tun haben könnte. All das bringt eine robuste Körperlichkeit ins Spiel, der der Referee leider nicht gewachsen ist. Seine Bewertung von Fouls und Schubsern ist so unterschiedlich wie widersprüchlich, dass schon bald niemand mehr weiß, ob das Regelwerk noch einen Pfifferling wert ist. Als Borello bei einem der seltenen Dresdner Angriffe ohne Pfiff rüde abgeräumt wird, platzt die Wut aus Alexander Schmidt heraus.
Dieses ganze Zusatz-Adrenalin scheint dem Kreislauf der Sportgemeinschaft aber nun doch offensives Leben einzuhauchen. Nach einer halben Stunde sind es nur Zentimeter, die Daferner vom Einschlag nach einer Herrmann-Flanke trennen. Die fällige Ecke gibt es nicht, was Schmidt ein weiteres Mal on fire bringt. Überhaupt hat er bei der SGD jetzt etwas entflammt. Die Erkenntnis scheint angekommen zu sein, dass dies ein Gegner ist, der auch verunsichert ist, den man zu Fehlern zwingen kann. Etwa als aus Kastenmeiers Defensivpass eine Kopfballvorlage für Daferner wird, der zu Schröter spielt. Leider großartig gehalten. Zudem Abseits. Ab ja, so kann es gehen. Und weil Schmidt inzwischen dauererregt ist, bekommt er Gelb. Was keine Rolle spielt, aber herrlich anzusehen ist: Ein Seitenwechsel aus dem Rist von Akoto auf Borello (der aber leider zu steil in die Spitze spielt). Dann mal wieder Hennings mit dem Schädel vor Broll – drüber.
Dynamo spielt jetzt Auge in Auge, mehr Eins gegen Eins; was auch immer in den ersten 30 Minuten da war – Respekt, Furcht vor dem Fehler oder Zurückhaltung – ist jetzt weg. Eine Flanke von Becker wird gerade so vor die Füße von Akoto geklärt, doch der zieht überhastet ab, sein Ball mutiert zum Konter, den der Linksverteidiger gelbwürdig selbst repariert. Aber der Weg muss jetzt wieder und mehr in den Kastenmeier-Sechzehner führen. Zwei Minuten vor der Pause probiert es Herrmann nach einem Super-Duper-Spielzug ein weiteres Mal und plötzlich steht Königsdörffer allein vor dem Tor, will noch zwei Schritte gehen, doch Klarer tritt ihm in die Hacken. Sofort pfeift Jöllenbeck Elfmeter, Proteste gibt es keine. Nur hätte es Rot statt nur Gelb für den Sünder geben müssen. Von den 18 Zweitliga-Teams war die SGD bisher eines von vieren, das in dieser Saison noch keinen Strafstoß zugesprochen bekam (Spitze: HSV mit vier). Da Hosiner und Mörschel nicht auf der Wiese stehen, schnappt sich Daferner den Ball. Doch bevor er zur Vollstreckung schreiten kann, gibt es die üblichen Psychospiele. Die 33 bleibt aber entspannt, legt sich das Leder zurecht und läuft an. Für den Keeper ist das nicht auszurechnen, Kastenmeier zuckt kurz hierhin, kurz dahin, was dazu führt, dass er sich selbst in der Mitte fixiert. Daferner vollendet stramm unten rechts. Einszunull! Dynamo führt! Ganze Gebirge stürzen von den Schultern und Herzen der Schwarzgelben. Aber geführt hat man gegen Kiel auch. Die zwei Minuten bis zum Pausenpfiff werden sicher überstanden.
Die zweite Halbzeit: Ja wir sind da …
Meist wechselt Alexander Schmidt schon zur Pause, diesmal nicht. Das Team soll wohl in the mood bleiben. Trotzdem beginnt der zweite Durchgang wie der erste: viel Hin-und-Her und Klein-Klein. Königsdörffer vernichtet einen eigenen Konter durch Fehlpass, Daferner bekommt aus guter Position keinen Druck aus dem Schuh. Aber als zehn Minuten nach Wiederanpfiff Sollbauer und Königsdöffer als Sprintduo Narey mit Kraft und Speed wegkämpfen und ablaufen, ist das wieder so ein Signal in die eigenen Reihen: Mit dem richtigen Willen ist heute alles möglich. Kade kommt für Herrmann. Henning köpft schon wieder drüber.
Es gelingt Dynamo nun immer besser, die Gäste von Kevin Broll fernzuhalten. Vielleicht will sich auch keiner vom Torwart schon wieder anbrüllen lassen. Nach einer Stunde ist es wieder Daferner der am Fünfer den Ball bekommt, doch mit dem Rücken zum Tor, kann er nicht finalisieren. Auf der anderen Seite verzweifeln Narey, Hennings & Co. immer wieder an Kevin Ehlers und seinen Nebenmännern. Bei Ehlers ist keine Spur zu sehen von Aufholbedarf, Ungeübtheit oder Rückständen. Als hätte er Senecas Buch „Von der Gelassenheit“ gelesen, agiert der 20-Jährige mit Ruhe und Übersicht, selbst im Auge des Orkans weiß er, was zu tun ist, hat Schnelligkeit und besitzt die Kopfballhoheit. Wir verneigen uns und sagen: Ehle, wem Ehle gebührt.
Plötzlich sieht Daferner Gelb. Und wieder ist der Unparteiische der Ursprung. Borello wird in vollem Tatendrang ein Offensivfoul unterstellt, was seinen Sturmkollegen so sehr aufregt, dass er die Karte bekommt. Dabei gab es kurz zuvor für ein taktisches Foul an Königsdöffer ohne Farbverwarnung. Knapp 70 Minuten sind gespielt, da geht ein vollkommen abgekämpfter Borello vom Platz, für ihn kommt Diawusie. Und der hat auch gleich gut zu tun. Ehlers fängt den Ball ab und spielt klasse auf außen lang in den Lauf des Flitzers, aber dessen durchaus stramme, aber etwas ziellos getretene Hereingabe wird zur Ecke abgewehrt. Die bringt nichts, den Gegenzug bringt Akoto lässig und gekonnt auf seine Schiene.
Noch 20 Minuten, da muss das zweite Tor fallen. Daferner hat die richtige Ahnung für einen quer gespielten Grottenpass in der Düsseldorf-Verteidigung und geht steil. Er erreicht den Ball, geht in den Strafraum und sieht aus dem Augenwinkel den mitgelaufenen Diawusie. In einer Zehntelsekunde muss er abwägen, ob sein Schusswinkel noch gut ist oder ob er rüber spielt zum Kollegen, der vollkommen frei nur noch einschieben müsste. Aus dem Pass wird in der Bedrängnis nur ein Kullerball, den kein Schwarzgelber erreichen kann. Giorbelidze kommt für Akoto.
Mit dem nahenden Ende des Spiels schalten sich immer weniger Dresdner in die Offensive ein, auch Schröter räumt mehr jetzt mehr hinten auf, auch Stark und Kade haben nur noch begrenzt Wirkung nach vorn. Die Aufgabe ist klar: Diese drei Punkte um jeden Preis sichern. Und dann passiert es doch: Der erste Schuss auf den Dynamo-Kasten, wohlgemerkt in der 76. (!) Minute. Doch das Ding von Narey fängt Broll ganz sicher, begleitet von dem fälligen Wutanfall, gerichtet an seine Vorderleute. Derweil setzt Giorbelidze die Arbeit seines Vorgängers Akoto im besten Sinne fort.
Von den Rängen schallt es „Ja wir sind da, das ganze Jahr …“ Die Fans spüren es, sie müssen das Team jetzt über die letzten Minuten tragen. Broll muss noch einen Ball halten, diesmal ohne Aufreger. Die Fortuna versucht irgendwie alles, aber alles, was sie hat, ist zu wenig. Dafür trägt Dynamo den Ball immer wieder in die rote Hälfte, schindet Zeit, veranstaltet ein kleines Einwurffestival an der Eckfahne der Düsseldorfer, die jetzt mehr und mehr entnervt wirken. Einfach Dinge funktionieren nicht, unbedrängte Pässe landen im Aus, in der 89. Minute schießt Bozenik aus elf Metern deutlich drüber. Vier Minuten Nachspielzeit. „Dynamo!“ schallt es hier, „Dynamo!“ schallt es da. Broll faustet einen langen Ball über die Latte, auf der gegnerischen Seite gibt es noch einmal totales Chaos vor dem Torwart. Hier wie da fallen aber keine Tore mehr. Das Spiel ist aus! Das Spiel ist gewonnen – nach gefühlten 100 Niederlagen.
Das Fazit
Dynamo hat die Intensität des Saisonbeginns wiedergefunden, auch wenn noch nicht alles geglänzt hat. Aber die SGD ist ein Aufsteiger, da muss man nicht immer alles spielerisch umbiegen, es reicht auch mal ein harter Fight – und den hat die Sportgemeinschaft abgeliefert. Aus einem guten Teamwork ragten Daferner, Borello, Sollbauer, Akoto und vor allem Ehlers heraus, die immer wieder anruckten, vorn Druck ausübten oder ihn hinten herausnahmen. Düsseldorf erlebte ein Spiel voller Unruhe und Unsicherheit und fährt vollkommen verdient ohne Ertrag nach Hause. Mit jetzt 16 Punkten fehlen bis zum Hinrunden-Ende noch vier Zähler, um die Hälfte der magischen 40 zu erreichen. Das wird am Freitag in Regensburg eine amtliche Aufgabe, dann kommen die Geisterspiele zu Hause gegen den KSC und im Schacht – am letzten Tag des jetzt ausgerufenen Lockdowns. Und natürlich hilft es, dass der Abstand zu Sandhausen, Kiel und Ingolstadt etwas vergrößert werden konnte. Walter Fritzsch durfte sich an seinem 100. Geburtstag im Fußballhimmel freuen.
Uwe Stuhrberg
SG Dynamo Dresden vs. Fortuna Düsseldorf 1:0
21. November 2021, Anstoß: 13.30 Uhr
Tor: 1:0 Daferner (43., Elfmeter)
Dynamo Dresden: Broll, Becker, Sollbauer, Ehlers, Akonto ((74. Giorbelidze), Stark, Herrmann (54. Kade), Schröter, Königsdörffer, Borello (69. Diawusie), Daferner
Ohne Einsatz: Mitryushkin, Aidonis, Mörschel, Seo, Weihrauch, Will
Schiedsrichter: Matthias Jöllenbeck
Fans: 8.912
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