Durch Dunkel zum Licht
Thielemann setzt Beethoven-Zyklus mit einem Evergreen fort
Mitte Januar setzte Christian Thielemann sein Projekt der Gesamteinspielung der Beethoven-Sinfonien mit der Staatskapelle Dresden mit der 4. und der 5. Sinfonie fort. Zugleich bildet dieses Konzert für diese Spielzeit den Abschluss der Arbeit an diesem Zyklus. Die Kombination der 5. Sinfonie mit ihrer Vorgängerin ist nicht häufig. Meist wird die 5. Sinfonie mit der am selben Tag verlegten 6. Sinfonie zusammen aufgeführt oder mit der in ihrer Ernsthaftigkeit der 5. ähnlicheren 7. Sinfonie. Aber auch zur 4. Sinfonie gibt es eine Verbindung. Denn Beethoven arbeitete bereits an seinem später als 5. Sinfonie veröffentlichten Werk als er diese Arbeit 1806 für wenige Wochen unterbrach, um die 4. Sinfonie als Auftragswerk für den Grafen von Oppersdorff zu schreiben.
Die 4. Sinfonie wird gern als Erholungsphase zwischen der herausfordernden 3. Sinfonie (Eroica) und dem bombastischen Meisterstück der 5. Sinfonie bezeichnet. Damit neigt man dazu, dieses Werk zu unterschätzen. Dabei steckt diese Sinfonie voller kompositorischer Einfälle. Gleich zu Beginn dieser B-Dur-Sinfonie leitet ein zartes Adagio in b-moll ein, bevor sich der Satz dann ohne Unterbrechung in ein lebhaftes Allegro con vivace in der Haupttonart der Sinfonie entwickelt. Auch die Anforderungen an die Virtuosität der Orchestermusiker sind gerade im ersten Satz dieser Sinfonie besonders hoch. Nach der strukturrevolutionären 3. Sinfonie stellt die 4. Sinfonie wieder eine Annäherung an das Haydnsche Sinfonie-Verständnis dar. Allerdings gibt es auch hier Neuland. Damit ist nicht gemeint, daß im dritten Satz kein Teil als Scherzo bezeichnet wird (obwohl ein solches vorliegt), sondern die Abfolge lautet Menuetto, Allegro vivace und Trio. Dieses Trio (un poco meno Allegro) wird zweimal gespielt, was dem Satz im Gesamtbau der Sinfonie ein gesteigertes Gewicht verleiht. Der heitere, volkstümlich anmutende Singsang nimmt bereits gefangen, bevor dann im abschließenden Allegro ma non troppo hemmungslose Freude und fast schon mozarisch feingliedrige Thematik sich zu einem hinreißenden Kehraus vereinigen. Dabei spielt das Finale immer wieder auf Themen des Werkes aus früheren Sätzen an und klammert damit das Werk in besonderem Maße zusammen. Robert Schumann hat diese Sinfonie als Beethovens romantischste bezeichnet.
Thielemann leistet mit seiner Interpretation Begeisterndes. Beim zarten Adagio des zweiten Satzes ist er mit seiner Staatskapelle voll in seinem Element. Man kann die berühmte Stecknadel fallen hören. Alle Facetten werden ausgeleuchtet und der Kontrast zu den temperamentvolleren Teilen wird wie immer deutlich herausgearbeitet. An diesem zweiten Aufführungstag (13.1.) hatte der Rezensent allerdings im dritten Satz an einigen Stellen ganz leichte Bedenken, ob die Symphonik, also der Gleichklang bei den temperamentvollen Passagen so perfekt gelungen ist, wie es gehört. Allerdings scheint dieses Erlebnis ein Sonderfall gewesen zu sein. Denn bei der in der MDR-Mediathek nachzuhörenden Live-Übertragung vom Konzert am Folgetag reduziert sich dieses Problem auf eine einzige kurze Stelle. Insgesamt aber war das Erlebnis so beeindruckend, daß es der Rezensent sogar im Rang über seiner heimischen Referenzaufnahme mit Carlos Kleiber und dem Bayerischen Staatsorchester (bei Orfeo) einordnet.
Ganz anders ist die 5. Sinfonie ausgelegt. Bereits der Umstand, daß es sich um Beethovens erste Sinfonie in einer moll-Tonart (c-moll) handelt, deutet an, daß Beethoven hier bewußt etwas Großes, Neues schaffte. Auch die große Besetzung, in der zum ersten Mal in der Geschichte Piccoloflöte, Kontrafagott und 3 Posaunen das Ensemble verstärkten, Instrumente, die sonst eher in der Militärmusik beheimatet waren, zeigten an, daß hier eine neue Botschaft entstand, die die Musikwelt erschüttern sollte. Bereits seit 1800 befaßte sich Beethoven mit dem Kernmotiv und arbeitete seit 1804 mit ersten Skizzen an dieser erst 1807 fertiggestellten Sinfonie, uraufgeführt 1808. Der gerne diesem Werk verliehene Beiname Schicksalssinfonie leitet sich ab aus einer handschriftlichen Notiz Beethovens auf einer Partitur am Hauptthema des ersten Satzes „So pocht das Schicksal an die Pforten.“ Wenn aber schon ein Programmsatz diese Sinfonie trifft, dann eher die ebenfalls dieses Werk begleitende Formulierung „durch Dunkel zum Licht“. Sie bringt am besten zum Ausdruck, wie sich aus dem schweren Beginn in moll allmählich ein mitreißendes Finale in Dur entwickelt als klarte der Tag nach Abzug der Gewitterwolken. Jeder kennt das Kopfmotiv, das sich in verschiedenen Variationen prägend durch den ersten Satz, ein Allegro con brio, zieht, in absteigender Tonfolge scheinbar verschwindet, nur um dann doch wieder aufgenommen zu werden und wiederzukehren. Im 2. Satz, einem Andante con moto beginnen die Bratschen und Celli, übergeben das Thema an die Holzbläser, die es schließlich von den Violinen zu Ende singen lassen. Das Allegro des dritten Satzes erscheint fast marschartig und läßt immer wieder das Hauptthema aufleuchten, so als wolle es sich noch einmal zu Wort melden, bevor es dann im vierten Satz, einem begeisternden Ausklang-Jubel in Dur weichen muß, der sich unmittelbar an den dritten Satz ohne Überleitung anschließt. Durch die Pauke wird noch mahnend an das Trübe erinnert, aber das Freudvolle hat nun die Oberhand gewonnen. Dabei erweckt dieser lange Schlußsatz immer wieder angespielte Erwartungen, die durch unvorhergesehene Wendungen der Melodie doch wieder nicht erfüllt werden. Nur das Satzfinale lässt keinen Zweifel, dass jetzt das Ende naht und dass es mit dem letzten Ton auch erreicht ist.
Die 5. ließ an diesem Abend nichts zu wünschen übrig. Gegenüber der mehr das verbundene Gesamtwerk betonenden Referenzaufnahme des Rezensenten, nämlich Carlos Kleibers Jahrhundertaufnahme mit den Wiener Philharmonikern bei der Deutschen Grammophon, betonten Thielemann und seine Staatskapelle mehr die einzelnen Elemente des Werks, waren also mehr analytisch unterwegs. Beide Schwerpunktsetzungen sind legitim und können nebeneinander bestehen. Kleiber geht das Werk eine Spur kongenialer an. Auch bei ihm deutet sich im dritten Satz bereits er Ausbruch im vierten Satz an, der natürlich von Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle fulminant ausgelebt wird. Sforzati, Forti und Fortissimi klingen dabei nicht einfach nur laut, sondern schlagen präzise und klar definiert ein.
Wir freuen uns bereits auf die Fortsetzung in der nächsten Spielzeit.
Ra.