Dresden ist nicht Sunderland
In Halle lernt die SGD das Siegen
Da isser also wieder, der Erfolgsschreiberling. Kaum hat die Sportgemeinschaft mal wieder gesiegt, schon gibt es wieder was zu lesen von dem feinen Herrn. So manchem mögen solcherart Vorwürflinge in den Kopf steigen, ich kann damit leben. Ich habe über so viele Niederlagen und sinnlose Remis lange Texte verfasst, dass ich mich bisweilen in die erste Staffel von „Sunderland ‘Til I Die“ versetzt fühlte (übrigens die großartigste Fußball-Doku-Serie, die ich bisher gesehen habe). Schlicht gesagt: Ich war inhaltlich so ausgebrannt wie einst Brandon Borello vor dem Tor. Und da die Wortwiederholung der ärgste Feind des Autors ist – ich hätte Woche für Woche via copy & paste ganze Absätze übertragen müssen. Nein, ich wollte und konnte nicht. Der Abschluss der letzten Saison war ob des Geschehens auf dem Rasen und ebenso daneben der Gemütskiller. Aber zur neuen Spielzeit soll alles wieder besser werden. Die zwei Testspiele gegen München und Stuttgart habe ich also noch abgewartet, bis es dann am Sonnabend gegen die Halloren endlich losging.
Zunächst: Ohne Frage bleibt es schon ein komisches Gefühl, den Ralf Minge da in „fremden Federn“ zu sehen. Und auch Niklas Kreuzer in Rotweiß ist noch immer ungewohnt. Aber was solls, wir machen hier kein „Opa erzählt vom Krieg“. Viel interessanter war es, wie Trainer Markus Anfang auf das anwachsende Lazarett reagieren würde. Und so standen gleich acht Neuzugänge (wenn man den Wiedergänger Jonathan Meier mitzählt) in der Startelf, nur Käptn Knipping, Will und Kade kamen aus dem Bestand. Besonders geguckt wurde natürlich auf Rechts-Defender Kyrylo Melichenko – der 23-jährige Ukrainer gab schließlich sein Debüt in Schwarzgelb. Um es vorwegzunehmen: Es war ein guter Auftritt.
Die erste Halbzeit: Keiner Conteh das besser
Was sofort auffällt: Beide Teams begeben sich auf den Hochstand. Hier wie da ist ein Herausspielen aus dem Rückraum kaum möglich, weil stets drei oder mehr Gegner vor dem jeweiligen Strafraum abfläzen. So gibt es mal wieder ein Comeback des guten alten Kick & Rush. Und weil das immer so eine Fifty-Fifty-Sache ist, ergibt sich schnell ein deftiger Fight. Was auch auffällt: Steht kein Daferner, ähm sorry, Kutschke auf dem Feld, gehen die meisten der Kopfball-Duelle nach Abschlägen oder Einwürfen verloren. Da wird Zielperson Manuel Schäffler zu oft überflogen oder abgedrängt.
Keine zehn Minuten sind rum, da wollen die Saalestädter mal was versuchen: Kreuzer kommt über rechts (bei uns links) frei zum Pass nach innen, wo Gayret sich durchtricksen will, aber am Torschuss gehindert wird. Aus der Distanz hämmert dann Zimmerschied auf den Dynamo-Kasten, aber trotz leichter Abfälschung umwickelt Stefan Drljaca die Kugel sicher mit seinem Body. Nun endet aber die erste kleine Drängelphase der HFCler, Dynamo ist dran. Erste größere Emotionen zeigt Außenrunner Christian Joe Conteh nach 13 Minuten, als er mit seinem Gegenspieler Zimmerschied und dem Referee Benjamin Cortus aneinandergerät. Nix Schlimmes passiert, aber mal bisschen pumpen für die Atmo kann ja nicht schaden. By the way: Cortus wird das Spiel souverän leiten – unauffällig, aufmerksam, ohne Arroganz.
So, der Kollege Conteh hat jetzt den Adrenalinpegel im Kreislauf angeregt und zeigt nur Sekunden später, wo das hinführen kann. Von rechts kommend, lässt er im Strafraum per Slalom gleich zwei Rothemden stehen, denen nicht einmal die Zeit bleibt „Huppala“ zu rufen oder „Scheiße“ oder „HeiligeMariaMutterGottes“. Durchgetankt, vor die Torlinie geballert und drin. Schade für schon ausholenden Schäffler ist nur, dass Heim-Kapitän Nietfeld ihm den Treffer nicht gönnt und selbst einnetzt. Kevin Ehlers feixt sich auf der Bank ins Fäustchen. Dynamo führt! Was ein Wahnsinn! Und was wir mal nicht vergessen wollen: Vor dem Tor war ein Superpass aus dem Fußgelenk von Paul Will. Und vor dem Superpass war eine Balleroberung am Mittelkreis. Ebenfalls von Will. Und wie der das gemacht hat, gehört in jede Berufsbeschreibung eines Sechsers. Eins mit Sternchen!
Nun übernimmt die Sportgemeinschaft das Ruder - ohne sich zu übernehmen. Erste Ecken, Arslan und Will bekommen Getränkeangebote von den frustrierten Rängen. Ein Knaller von Kade wird geblockt und ein bogenlampiger Kopfball von Knipping geht knapp am Pfosten vorbei. Wie beruhigend wäre jetzt ein zweites Tor! Da wird es von Borkowski geliefert, also es ist zumindest im Status „auf dem Weg“. Der Neuner rennt über den halben Platz, hat scheinbar nur Keeper und Tor vor sich, da kommt der Kreuzer und blockt das Ding weg. Ach der Niklas, wer denn sonst?! Aber weil jeder eine zweite Chance verdient, hat auch Borkowski nur 120 Sekunden später die nächste. Am Ende eines ganz wunderbaren Konters lupft Conteh mit Übersicht den Ball in den Fuß des Dresdner Sturmtalents, aber dessen Schuss wird von Nietfeld über die Latte gelenkt.
Nach einer halben Stunde werden die Szenen in den beiden Endzonen aber rar. Halle will vor der Pause kein zweites Tor fangen, die SGD auf keinen Fall den Ausgleich kassieren. So hebt sich das Geschehen irgendwie auf, nur ein halbgarer Konter der Heimelf ist noch zu notieren, der aber aus spitzem Winkel keinen Erfolg bringt. Auch ein Freistoß kurz vor der Sechzehner-Linie geht in die Mauer. So steht die Führung beim Kabinengang.
Die zweite Halbzeit: Sankt Patricks Day
Keine Wechsel nirgends, Anfang scheint im Gegensatz zu seinem Vorgänger kein Freund des zeitigen Austausches zu sein, es gibt eigentlich auch keinen Grund. Doch die zweite Hälfte zeigt sich etwas anders. Waren die ersten 45 Minuten geprägt von einem kurzweiligen Schlagabtausch, wird es nun ein ziemliches Gerangel. Kaum ist wieder angepfiffen, kassiert Halle-Coach Meier Gelb für sein pausenlosen Genörgel. Kurz darauf bitten Will und Zimmerschied zur Gruppentherapie mit Anfassen. Dem voran ging etwas Schubsen und Treten, Waisenknaben sind beide nicht, Gelb kassieren sie verdient im Duo. Gelb sparen hätte sich aber Arslan können, der sich bei einem Halle-Freistoß direkt vor den Ball stellt und sich gleichzeitig anschießen und anscheißen lässt. Klar, dass er da was gutzumachen hat, also legt er nur eine Minute nach dem Fauxpas einen energischen Sturmlauf hin und spielt Borkowski frei. Der wiederum schlenkert einen Gegner aus, kommt dann ins Straucheln und zieht im Fallen gerade noch so ab. Dadurch verliert der Ball aber seine Schärfe und kann vom Tormann mit den Fingerspitzen gerade noch so ins Toraus gelenkt werden.
Nach einer reichlichen Stunde betritt Kutschke für Schäffler den Rasen, der präsent war, aber ohne Torgefahr, der Neue pflegt genau das weiter. Dann passiert eher wenig, bis zur 78. Minute gibt es eigentlich nur weitere Auswechslungen. Halle bringt drei neue, bei Dresden kommen Stark und Weihrauch für Arslan und Borkowski. Auch Conteh zeigt an, dass er gern Schichtschluss hätte, aber die Dresdner Bank sagt: Nichts da, du hast noch einen. Tja, was soll man sagen: Recht hatte der Trainer. Denn wenn bei Dresden ein Anfang ist, kommt das dicke Ende für Halle. Wieder spielt Paul Will einen kilometerweit genauen Pass in den Fuß von Conteh, der zum Strafraumeck läuft und den Weihrauch’schen Laufweg antizipiert. Mit dem Außenrist schnibbelt er den Ball zum Zehner, der aus sehr spitzem Winkel extrem genau mit der Innenseite des Schuhs in die Lange vollendet, weil der Goalie in die Kurze hechtet. Ja ist denn heut‘ Sankt Patricks Day? Ja doch. Danach darf Conteh Schluss machen wie auch Kade, Ehlers und Kulke bekommen noch ein paar Minuten.
Aber es passiert kaum noch etwas. Den Nackenschlag zehn Minuten vor dem Ende kann Halle nicht mehr verwinden; noch einen harten Schuss auf die Kurze muss Drljaca klären, dann ist der erste Sieg 2022 im Sack. Dresden ist eben doch nicht Sunderland.
Und sonst so?
Nach seinen Assists der feineren Sorte war für viele Conteh der Man of the Match. Für mich jedoch war es – einmal mehr – Tim Knipping. Denn über das ganze Spiel hinweg, war er Mr. Stability, gewann mindestens 100 Prozent aller Duelle zu Boden und in der Luft sowieso. Dazu dirigierte er seine Nebenleute Kammerknecht und Melichenko zu sehr guten Leistungen, während bei Meier defensiv noch Luft nach oben ist.
Noch ein Wort zum Firefighter-Banner des K-Blocks. Natürlich gebürt den Männern und Frauen der Feuerwehren allerhöchster Respekt und absolute Unterstützung. Da riskieren Menschen Gesundheit und mehr, um Umwelt, Besitz und Menschen zu schützen. Aber dass ausgerechnet jene mit dem Support hausieren, die bei jeder noch so geringen Gelegenheit die Fackel aus dem Schlüpper ziehen, hat durchaus ein Geschmäckle. Zumal Teile genau jenes Klientels eben mal gerade 300.000 Euro Vereinskapital im Wortsinn verbrannt haben. Habe ich das Banner mit dem „Sorry!“ übersehen? Was läuft eigentlich mit der Selbstwahrnehmung so mancher Ultras schief? Ach ja: Es sind immer die anderen schuld. Und remember: Als es gegen 1860 3:4 stand, war es dem K wichtiger, gegen den DFB zu wettern, als das eigene Team zu pushen. Gibt es keine situativen Prioritäten mehr? Was läuft da schief?
Uwe Stuhrberg
Hallescher FC vs. SG Dynamo Dresden 0:2
6. August 2022, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 0:1 Nietfeld (14., Eigentor), 0:2 Weihrauch (79.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Melichenko, Kammerknecht , Knipping, Meier, Will, Conteh (81. Kulke), Kade (83. Ehlers), Arslan (71. Stark), Borkowski (71. Weihrauch), Schäffler (63. Kutschke)
Schiedsrichter: Benjamin Cortus
Fans: 11.804
www.dynamo-dresden.de