Doppelkopf

Last minute obsiegt Dynamo Dresden über Hannover Zwei nach reichlich Magerkost

Foto: SG Dynamo Dresden

Was waren das für Wochen! Pleiten, Pech und Peinlichkeiten, in den letzten fünf Spielen nur zwei Punkte, drei Niederlagen, darunter das ebenso katastrophale wie leblose Einszudrei in Karl-Marx-Stadt. Dazu nur fünf Tore, wobei gegen Essen davon drei erzielt wurden; immerhin kam Schwarzgelb dort dreimal zurück und eine Heimpleite wurde ganz in Leverkusen-Manier in der letzten Sekunde durch Stefan Kutschke abgewendet.

Wenn man genau hiniseht, begann die spielerische Grütze bereits schon in Verl. Zwar wurde dort „effektiv“ gewonnen, doch zwischen den Toren war viel unansehnliches Gegurke und gegnerisches Versagen. Ecken, Flanken, Freistöße without any danger, Fehlpässe aus kürzester Entfernung und immer wieder defensive Klopse machten die Drogerien in ganz Dresden reich, denn die Grauhaarigkeit unter der Fans dürfte extrem zugenommen haben.

Nun kam also die Zweite aus Schröter City, das Drittlgiga-Team mit den meisten Niederlagen. Wenn, wann nicht jetzt musste die Miseren-Serie gebrochen werden? Da Stefan Kutsche sein erstes Sperrenspiel absitzen musste, war schon mal eine Frage, wie die permanente Kopfballschwäche in der Offensive gemindert werden soll. Auch das eine Baustelle noch aus der letzten Saison.

Die erste Halbzeit: Wo ist das Handwerk?

Es wäre eigentlich besser, über diese 45 Minuten einen Mantel des Schweigens zu decken. Über einen Ansatz hier und einen Versuch da gab es rund um den Sechzehner der Gäste nichts, was einem Hoffnung machen sollte. Erst vier Minuten vor der Pause gab es eine richtig dickle Chance für Dynamo, als Niklas Hauptmann quer zu Aljaz Casar spielte. Wenn der jetzt mit der Innenseite des Schuhs flach unten rechts einschiebt, ist das ein sicheres Tor, denn der 96er-Goalie war längst in die andere Ecke unterwegs. Aber Casar schießt überhastet in die Mitte, und damit den letzten Verteidiger an. Kein Tor. Und selbst das wäre nur der Ausgleich gewesen.

Denn bereits nach einer reichlichen Viertelstunde passiert es – schon wieder. Die andere Mannschaft kommt einmal vors Tor und führt sofort. Eine nicht einmal sonderlich gut getretene Ecke rutscht am ersten Pfosten durch und wird zentral aus nächster Nähe ins Netz gedroschen.

Und es hätte noch schlimmer kommen können. Denn als Lukas Boeder in der 31. als letzter Mann den Ball verduselt, läuft Chakroun allein auf Tim Schreiber zu. Doch der Hannoveraner denkt zu lange nach, läuft auch nicht schnell genug, und wird so von Claudio Kammerknecht eingeholt und geschickt abgekocht. Im Strafraum kann das schon mal schiefgehen, aber Dresdens 15 hat diesmal seine ganze Cleverness ausgepackt.

Ansonsten gibt es kaum Hoffnung auf Besserung, das Spiel schient schon zur Pause irgendwie verloren. Zeitige Pfiffe gellen durch das Stadion, vor allem, wenn die Bewegung immer wieder rückwärts geht. Einmal dreht sich Kammerknecht genervt zum Publikum um und breitet die Arme aus mit dem Gusto „Was soll ich denn machen?“. Dabei gelten die Pfiffe nicht zwingend nur dem, der den Rückpass spielt, sondern ebenso allen, die weiter vorn nichts anbieten. Auch sind die Flanken nicht immer schlecht, aber im Strafraum des Gegners sind oft zu wenige Gelbhemden unterwegs oder sie stehen falsch, nicht selten keiner zentral.

Immer wieder ist seit Wochen die Rede davon, dass sich die Mannschaft noch finden muss, dass das System noch verinnerlicht werden muss. Das mag (noch) sein. Aber das Spielen von Pässen, Flanken, Freistößen oder Ecken ist fußballerisches Handwerk, das man in der dritten Liga durchaus beherrschen sollte - ganz unabhängig vom vorgegebenen System. Da reden wir noch nicht mal von Torschüssen.

Nun ja, auch eine schlechte Halbzeit hat nur 45 Minuten. Mit einem Rückstand vor über 26.000 Fans geht es in die Pause.

Die zweite Halbzeit: Mit Heise aus der Sch***e

Was mit dem Anpfiff sofort auffällt: Einer hat sich defintiv und sichtbar einiges vorgenommen: Philip Heise. In der ersten Hälfte noch im Mittelmaß aller anderen unterwegs, kommen jetzt seine Power und die Flanken endlich mal wieder zur Geltung. Das erste Granate kommt in der 48. Minute schon gefählrich vor das Gästetor, nur zwei Minuten später muss der Pfosten retten, als Heise einen Ecken-Rebound auf Christoph Daferner spielt. Kurz darauf bringt wieder Heise den Ball an den Fünfer, doch den flachen scharfen Ball verfehlen erst Daferner und dann Casar nur um eine Schuhgröße.

Casar hat denn wenig später Schichtschluss, denn Oliver Batista Meier übernimmt. Meier versucht es dann nach ein paar Minuten aus der Dustanz, wird aber geblockt. Und ja, diese Blocks sind auch so eine Sache – zu oft wird in Richtung Tor abgezogen, obwohl der Gegenspieler schon so nah dran ist, sodass es nichts werden kann. Da sind zu selten Ruhe, Spielwitz und Übersicht in den Köpfen und Beinen.

Nach einer reichlichen Stunde versinkt die Partie wieder in den Bahnen der ersten Halbzeit, wenn auch Hannnover sich deutlich defensiver aufstellt. Die Hoffnung der Spieler von der Leine scheint wohl darin zu bestehen, dass man das Ergebnis dank der offensive Schwäche der Dynamischen schon irgendwie über die Zeit bringen wird. Und ganz ehrlich, den Eindruck hatte ich auch.

Es dauert bis zur 75. Minute, bis die Hoffnung wieder lebt. Tony Menzel zaubert sich mit Verve an der Grundlinie nach innen und spielt auf den kürzlich für Lemmer eingwechselten Robin Meißner, aber dessen Schuss aus dem Rückraum kann Toni Stahl im HII-Tor mit dem Fuß gerade noch so abwehren. Aber die Aktion sagt: Hey, es geht doch! Jetzt weiter, immer weiter. Daferner zieht ab, wird geblockt. Das Stadion ist nun wieder voll da, es riecht nach Ausgleich. Und dieser Geruch überbordet mit Beginn der Schlussviertelstunde. Es ist wieder Heise, der nun mal richtig Platz hat für eine Maßflanke. Der Ball segelt mit einer genau gezirkelten Kurve in die Strafraummitte, wo Meißner in den dritten Stock steigt und punktgenau aus einer für einen Kopfball sehr großen Entfernung in den Knick links oben einschädelt. Die vorhergehenden eineinhalb Halbzeiten sind vergessen, die Schüssel brodelt. Wenigstens der Punkt muss es sein. Oder geht da mehr?

Hannover ist jetzt sichtlich beeindruckt, steht hinten drin, will nur noch das Sclimmste verhindern. Dynamo hat den Vorwärtsgang eingelegt, wirkt aber noch immer etwas unstrukturiert. Thomas Stamm geht all-in, bringt den jungen Dmytro Bohdanov für Daferner und Jonas Oehmichen für Menzel. Das Spiel wird immer wilder, aber die Zeit verrinnt. Und dann gibt es den befüchteten Herzkasper-Moment: Noch einmal spielt sich 96 in der 89. durch und Videira steht alone vor Schreiber. Das war’s dann, Scheiße noch mal, last minute kommt die Fußball-Sense schon wieder gegen uns. Aber man mag hier und da die Performance von Tim Schreiber bemängeln – im Einsgegeneins ist er der Burner. Und er bleibt auch diesmal der Sieger – mit dem Fuß verhindert er den Einschlag. Nun dürfen wir mit dem Remis an dieser Stelle happy sein. Was soll den jetzt noch kommen?

Zunächst kann Bohdanov froh sein, für ein ziemlich rüdes Foul mit Beginn der Nachspielzeit nur Gelb zu sehen. Was aber auch zeigt: Der Teenager hat keine Probleme, auch dorthin zu gehen, wo es weht tut.

Von vier Minuten Extratime ist die Hälfte rum. Wieder steht Heise auf links mit Zeit und Platz. Das Tor der Hannoveraner ist in ein seichtes Sonnenlicht getaucht, fast so halbromantisch weichgezeichnet wie ein früher Softerotik-Film à la „Bilitis“. Und es entbehrt nicht einer gewissen Sexyness, was jetzt passiert. Heise schickt das Leder halbhoch an die Fünfergrenze, wo Batista Meyer einläuft. Bei einem Quarterback sagt man bei einem perfekten Pass, das er so geworfen wurde, dass nur der eigene Receiver ihn fangen kann. Genau so fliegt die Flanke des Dresdner Linksverteidigers. The one and only OBM kann da rankommen, aber eben nur mit dem Kopf. Aber Kopfball? Kann er das? Yes, he can!!! In das gleißende Sonnenlicht hinein stößt die Sieben mit Wucht das Runde ins Eckige und seinen Verein ins Glück. Alle, die eher gegangen sind, drehen sich jetzt verärgert um, denn das Stadion kocht nun über, sicher stadtweit hör- und spürbar. Batista Meier hat sich den perfekten Zeitpunkt für sein erstes Dynamo-Tor herausgesucht und zeigt auch an, das Nachwuchs im Hause im Anmarsch ist. Ich persönlich halte solche Gesten für eher verzichtbar, aber was weiß ich schon? Dem Siegschützen sei es allemal gegönnt.

Kurz vor dem Anpfiff gibt es zwar noch einmal etwas Gemenge vor Tim Schreiber, aber am Ende liegt er auf dem Ball. Dann Abpfiff und Jubel ohne Ende. Treppenwitz danach: Zwei Eingewechselte treffen mit dem Kopf nach Flanken – wochenlang eine Kardinalsschwäche der SGD. Das nehmen wir mal mit in den Pokalfight gegen Darmstadt.

Was noch zu sagen wär

Trotz des Sieges bleibt es dabei: Dynamo Dresden hat spielerisch und taktisch große Reserven. Und diese haben teilweise erschreckende Parallelen zur Rückrunde der vergangenen Saison. Das trifft auch auf die Systematik zu. Wir erinnern uns: Als in der Rückrunde der vergangenen Saison drei Niederlagen in Folge zu Buche standen, änderte Markus Anfang die Taktik und verzichtete gegen Lübeck auf den Ballbesitz. Der Gegner war total überrascht, wusste mit der Situation nicht umzugehen und Dynamo gewann 7:2. Trotz dieser Erfahrung kehrte Anfang zur alten Taktik zurück und behielt diese bei bis zum bitteren Ende. Daher wünsche ich mir, eine größere Variabilität, weniger Ausrechenbarkeit.

Noch eine Bemerkung in eigener Sache. Die letzten Fußball-Wochen waren überlagert von zuviel Arbeit, Konzertorganisation, Stadtmagazin-Produktion und nun ein paar Tagen Urlaub. Hier, auf Rügen, entstand auch dieser Bericht, deshalb wird auch das kommende Pokalspiel am Rechner verfolgt. Noch nie habe ich drei Heimspiele im Stadion verpasst. Aber eine Auszeit muss mal sein. Puh.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. Hannover 96 II
26. Oktober 2024, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 0:1 Wallner (17.), 1:1 Meißner (75.), 2:1 Batista Meier (90.+2)
Dynamo Dresden: Schreiber, Sterner, Kammerknecht, Boeder, Heise, Casar (57. Batista Meier), Sapina, Hauptmann, Lemmer (68. Meißner), Menzel (84. Oehmichen), Daferner (84. Bohdanov)
Ohne Einsatz: Mesenhöler, Kubatta, Berger, Marx, Risch
Schiedsrichter: Marvin Tennes
Fans: 26.055
www.dynamo-dresden.de