Dieser Ritter verachtet die deutschen Meister

„Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Semperoper

Nach gefeierten Meistersinger-Interpretationen mit anderen Orchestern hat Christian Thielemann diese Wagner-Oper auch mit der Staatskapelle Dresden einstudiert und diese bereits bei den letzten Salzburger Osterfestspielen gefeierte Produktion nun auch an die Semperoper geholt. Wagners einziges Luststück als Oper hat viel mehr Tiefgang als ein erstes oberflächliches Hören vielleicht erschließt. Das beginnt bereits mit der Vorgeschichte. Mit der Vorläufer-Oper Tristan und Isolde hatte sich Wagner in chromatisches Neuland begeben und etwas konzeptionell vollkommen Neues geschaffen. Statt eingängiger Arien mit Gassenhauer-Qualität zum Nachträllern war der Musik nicht einmal in Isoldes Liebestod eine solche Melodie beschieden. Vielleicht kann man sich das Konzept am besten als frühe Filmmusik vorstellen. Bei Spielfilmen dient die Musik auch in erster Linie der emotionalen Unterstützung der Handlung. Sie verstärkt das Gefühl, daß der Betrachter an der betroffenen Stelle haben soll: wenn sich Liebende finden, klingt sie lieblich, wenn der Böse sich anschleicht, bedrohlich düster, u.s.w.. Ähnlich wirkt die Musik bei Tristan und Isolde und ist daher losgelöst vom Drama nicht „schön“. Das hatte Wagner viel Kritik und Häme eingetragen. Rossini urteilte damals, es sei keine große Kunst, einfach ein paar Töne aneinanderzureihen, ohne damit eine Melodie zu schaffen.

Mit den immer wieder gefeierten Meistersingern gab Wagner, der damals mit seiner neuen Liebe, der noch mit seinem Freund Hans von Bülow verheirateten späteren Ehefrau Cosima Wagner, Tochter Franz Liszts, am Vierwaldstätter See im abermaligen Exil lebte, die passende Antwort. Er zeigte nicht nur, daß er auch Schönklang kann, sondern auch der aus literarischen Vorbildern entlehnte Inhalt ist eine Entgegnung auf die Kritiker wie Rossini. Ein begnadetes, bereits meisterliches Gesangsnaturtalent aus adeligem Hause möchte, um die als Hauptpreis ausgelobte Eva zur Frau zu bekommen, einen Meistersingerwettbewerb am Johannistag in Nürnberg gewinnen. Weil er aber die herkömlichen Formen der Lied- und Komponierkunst der Zeit mißachtet, wird er von den bisherigen Platzhaltern abgelehnt und gar nicht erst zum Wettbewerb zugelassen. Allein ein – vielgeachtetes - Mitglied der Gilde – Wagner setzt in dieser Figur dem historischen Hans Sachs (Lobspruch der Stadt Nürnberg, 1530) ein Denkmal – erkennt die künstlerische Qualität und fördert den Helden. Dabei stellt er die Abweichung vom bisherigen Muster fest: „Ihr schlosset nicht im selben Ton; das macht den Meistern Pein.“, „Nur mit der Melodei, seid Ihr ein wenig frei.“, ohne es zu kritisieren: „doch sag ich nicht, daß es ein Fehler sei“, erkennt aber auch: „nur ist´s nicht leicht zu behalten, und das ärgert unsere Alten!“. Sein eigenes Urteil steht aber fest: „Ein Meisterlied!“ Tatsächlich ist das Meisterlied eine Arie von ergreifender Schönheit, aber anders als z.B. bei Verdi- oder Puccini-Arien nicht leicht nachzusingen, weder nach Text, noch Melodie. Die revolutionäre Neuheit findet auch in Bildern ihren Ausdruck: Der Held soll „geschmückt mit König Davids Bild“ in die Meistersinger-Gilde aufgenommen werden, was er unter Zerstörung des Bildes verschmäht. Er und Hans Sachs repräsentieren das Neue Testament.

Aber auch sonst verbirgt Wagner in der Oper viele Botschaften. Der zweite Akt transportiert in seiner Sartyr-Spielhaftigkeit an den von Wagner verehrten Mittsommernachtstraum Shakespeares. Für den durch die Münchner Höflinge verletzten Wagner ersetzen die Bürger die Herrschaft des Adels und retten die deutsche Hochkultur, wie es im letzten Akt in der Schluß-Arie des Hans Sachs „Ehrt Eure deutschen Meister“ konzentriert verkündet wird. Er  beklagt die Entfremdung zwischen Volk und Regent seit Kaiser Maximilian: „zerfällt erst deutsches Volk und Reich, in falscher welscher Majestät kein Fürst bald mehr sein Volk versteht; und welschen Dunst mit welschem Tand sie pflanzen uns in deutsches Land; was deutsch und echt wüßt keiner mehr.“ Die Abhilfe sei gerade den deutschen Meistern (stellvertretend für das Bürgertum) geschuldet „lebt´s nicht in deutscher Meister Ehr´ (...) Ehrt Eure deutschen Meister, dann bannt Ihr gute Geister! Und gebt Ihr ihrem Wirken Gunst, zerging in Dunst das heil´ge Römische Reich, uns bliebe gleich die heil´ge deutsche Kunst“. Hier zeigt sich der Dresdner National-Revolutionär Wagner, der aus seiner Heimat fliehen mußte (wie auch der 1848er Barrikadenkämpfer Gottfried Semper). Das Werk ist auch eine Auflehnung gegen die höfische Kultur Münchens, die Wagner – auf Gegenseitigkeit - ablehnte. Die Inszenierung des Neu-Nürnbergers Jens-Daniel Herzogs, der dort den nunmehrigen Semperopern-Intendanten als Intendant ablöst, läßt die Statisten in frühneuzeitlichen Kostümen auftreten, während die Mitglieder der Meistergilde in modernen Anzügen als feine, aber abgehobene Gesellschaft gezeigt werden, die sich ebenfalls vom Volk abhebt, die Bindung verloren hat. Buhrufe einiger Traditions-Spießer, für die jede Inszenierung zu verurteilen ist, die nicht als Märchen in historischen Kostümen vorgeführt wird, können die Leistung nicht schmälern. Fraglich ist allerdings, ob die Freiheit bei einer Inszenierung so weit gehen darf, auch den Inhalt und damit eine Teilaussage zu verändern. Hier sollte der Respekt vor dem Urheber des Werkes auch beinhalten, daß man sein Werk aufführt und nicht ein neues schafft. Während in Wagners Vorgabe der Ritter Stolzing, der zunächst die Aufnahme in die Meistergilde verweigert, durch Sachs´ Zurechtweisung „Verachtet mir die Meister nicht“ beeindruckt, sich von Sachs doch die Gildekette umhängen läßt, zerstört Eva in dieser Dresdner Inszenierung das als Aufnahmebekenntnis überreichte Bild, ergreift die Hand des Ritters und flieht mit ihm von dannen. Das entsprach nicht den Vorstellungen Wagners, bei dem Eva dem Ritter den Lorbeerkranz abnimmt und ihn Hans Sachs nach seinem Schlußgesang aufs Haupt drückt, während dieser dann eben Stolzing aufnimmt. Das von Wagner vorgesehene Schlußbild bedeutet Zustimmung zum Inhalt der Schlußarie des Hans Sachs, während bei Herzog Stolzing und Eva diese Belehrung ablehnen.

Eine glänzende Besetzung sorgte für gesangliche Meisterleistungen passend zu diesem Werk. Bassist Georg Zeppenfeld, gerade rechtzeitig zur Premiere von einer Erkältung genesen, gab einen zu recht umjubelten eigentlichen Helden Hans Sachs. Heldentenor Klaus Florian Vogt einen glänzenden Walther von Stolzing. Vitalij Kowaljow war ein stimmgewaltiger Veit Pogner und Adrian Eröd ein nicht nur stimmlich perfekter, sondern auch schauspielerisch überzeugender Sixtus Beckmesser. Camilla Nylund als Eva fiel dagegen stimmlich etwas ab. Ihr bereitete es mitunter Schwierigkeiten, sich gegen die Kollegen auf der Bühne und das Orchester im Graben durchzusetzen. Das führt zu Christian Thielemann und der Staatskapelle. Natürlich ist Thielemann ein begnadeter Ochestererzieher und -inspirator, der nicht nur in akribischer Perfektion, sondern auch in emotionaler Faszination erst das Orchester und dann das Publikum mitriss. Seine fast einzigartige Fähigkeit, das Orchester Pianissimi spielen zu lassen, dass man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören könnte, erlaubt ihm, das farbige Spannungsfeld zwischen Soli-Zartheit und prallem, vollem Orchesterklang voll auszuloten. Allerdings war in dieser Premiere die Abstimmung mit den Musikern verbesserungsbedürftig. Die Sänger mussten gerade bei den impulsiven Passagen sehr gegen das Orchester ankämpfen und gewannen nicht immer. Das Eingehen auf die Sänger, auch gelegentlich durch Zurücknahme des Orchesters, sonst eine Stärke Thielemanns war an diesem Abend nicht immer so ausgeprägt, wie es der Meister kann. Trotzdem bleibt unter dem Strich eine beeindruckende Bereicherung des Spielplans, die zu recht stehende Ovationen eintrug.
Ra.

Die Meistersinger von Nürnberg
Oper von Richard Wagner, Regie: Jens-Daniel Herzog, Musikalische Leitung: Christian Thielemann
www.semperoper.de