Die reine Magie


Review: Lizz Wright bei den Dresdner Jazztagen

Die Pfarrerstochter aus Georgia mit aktuellem Hauptwohnsitz in North Carolina eröffnet mit einem Hinweis auf die Präsidentschaftswahlen, die bei ihr zu Hause in den USA voll im Gange sind und will ihr anschließendes Konzert als Fürbitte verstanden wissen. Möge um Himmelswillen auf gar keinen Fall der schnöde Populismus den Sieg davontragen! Sie sagt es mit anderen Worten. Trotzdem, jeder im Saal weiß sofort Bescheid. Und dann geht es los mit etwas, das mehr nach Rocksong klingt als dass es ihrem Ruf als Soulsängerin entspricht. Kein schlechter Auftakt für einen Abend, der noch unzureichend beschrieben sein wird, wenn man ihn phantastisch nennt.

Welche herausragende Interpretin von Coverversionen Lizz Wright ist, sollte sich bereits im ersten Drittel abzeichnen, als Neil Youngs „Old Man“ auf dem Spielplan stand. Ihre Fassung erinnerte an die drückende Schwüle des amerikanischen Südstaatensommers, wenn die Menschen gegen Abend auf etwas Abkühlung hoffen, aber nur zu gut wissen, dass selbst die Dunkelheit der Nacht nicht das Furchtbare verbergen kann, das dem Land innewohnt und jederzeit hervorbrechen kann. Weiter ging es mit „Somewhere Down The Mystic“, einem Song vom jüngsten Album „Freedom & Surrender“, der mit einem beinahe tödlichen Autounfall korrespondiert und ein enger Verwandter von Van Morrisons „Into The Mystic“ sein dürfte. Beide Songs beschreiben das Leben als Reise, die in einer nebulösen Unergründlichkeit beginnt und ebendort auch wieder endet. Niemand vermag zu sagen, woher wir kommen, wohin wir gehen. Doch wer die Augen offen hält, wird manchem Wunder begegnen. Wiederum danach zwei weitere Coverversionen. „First Time I Saw Your Face“, im Original ein uralter britischer Folksong, wurde durch Robert Fleck berühmt und beschreibt das euphorische Bauchkribbeln einer frischen Liebe. „Stop“ aus der Feder des einzigartigen Joe Henry, lässt ungefähr den Schmerz erahnen, wenn eine Liebe fleht und bettelt, dass noch nicht Schluss sein soll. „Tell me everything I’m not/ But don’t tell me not to stop“, lautet eine markante Textstelle. Ein herzzerreißender Song, der unter die Haut ging.

Bis hier hin hatten sich die Musiker regelrecht in Trance gespielt. Lizz Wright und ihre vierköpfige Begleitformation schienen eins mit sich und dem Universum. Die Spannung auf der Bühne war buchstäblich mit Händen zu greifen. Die reine Magie, unglaublich! Wahrscheinlich für einen innigeren Kontakt mit Mutter Erde hat die Sängerin ihre Hochhackigen mit den schmalen Riemchen neben dem Schlagzeug abgestellt und das Konzert barfuß bestritten. Mit "Freedom“, ebenfalls von „Freedom & Surrender“ wurde es wieder etwas kraftvoller, ging leider dann aber auch schon seinem Ende entgegen. Als einzige Zugabe gab es noch Nick Drakes „River Man“. Lizz Wright bezeichnete den 1974 im Alter von sechsundzwanzig Jahren an einer Medikamentenüberdosis verstorbenen Briten als größten Songschreiber aller Zeiten. Womit sie wegen ebenfalls nobelpreisverdächtiger Songtextzeilen wie „Going to see the river man/ Going to tell him all I can/ About the plan/ For lilac time“ nicht ganz Unrecht hat.

Im zweiten Konzert des Abends musste übrigens Max Mutzke auf die Bühne. Der Ärmste, war bestimmt ein schwerer Stand. Und mittlerweile wissen wir natürlich, dass der Demagoge als nächster Präsident ins Weiße Haus einziehen wird. Ein Mann, der gegen Menschen anderer Hautfarbe und Herkunft hetzt, schamlos Frauen beleidigt und ganz offenkundig das Blaue vom Himmel lügt. Man hatte gedacht, schlimmer als George W. Bush könnte es nicht kommen. Während die Welt noch rätselt, was jetzt werden wird, lässt sich bereits absehen, dass Donald Trump zuerst diejenigen aus dem Heer der Wettbewerbsverlierer enttäuschen wird, die ihn mit ihrer Stimmabgabe ins Amt gehievt haben. Aber hey, etwas ausgleichende Gerechtigkeit muss schon sein. Das Brexit-Votum der Briten hat als Lehrstück eben noch nicht gereicht.
Bernd Gürtler

Lizz Wright 8. November, Erlwein-Capitol, Jazztage Dresden