Die Mär vom steten Tropfen

Dynamo erschuftet sich gegen Heidenheim drei Punkte

Zunächst müssen sich die Ohren neue justieren, denn der Hauptschall des Publikums kam heute von links, während es rechts eher still blieb. Aus Gründen. #bullenkopf. Also ein Blick auf den Kaderzettel. Da fällt auf: Im offensiven Mittelfeld soll es die Jugendbrigade richten: Marvin Stefaniak, Niklas Hauptmann, Aias Aosman und Erich Berko ließen auf einen stürmischen und unbekümmerten Schwung hoffen. Dahinter ersetzte Manuel Konrad den angeschlagenen Kapitän und ganz hinten kehrte Jannik Müller wieder auf die Stelle neben Florian Ballas zurück. Ein Hingucker lohnte sich auch auf die Bank, denn dort saß mal wieder Marcel Hlißner und das erste Mal überhaupt Marcos Alvarez. Und letztere Personalien sollten noch ... ach was, dazu später mehr.

Erste Halbzeit: Anstrengend nur vom Zusehen

Schon in den ersten Minuten wird klar, dass das mit dem eben erwähnten unbekümmerten Sturmlauf nichts wird. Denn die Kicker von Heidenheim scheinen an einem wirklichen Fußballspiel nicht so richtig interessiert zu sein. Sie wollen vor allem eines: nicht verlieren. Streckenweise mit fünf Mann und davor noch einmal drei bauen sie ein Defensiv-Gebirge auf, das nur durch taktisches Dynamit oder den sprichwörtlichen steten Tropfen, der den bewussten Stein höhlt, zerlöchert werden kann. Spoiler alert: Letzeres wird schlussendlich zu ersterem führen.

Zunächst segelt eine Flanke von Niklas Kreuzer halbgefährlich über den FCH-Sechzehner, Berko hat dann mal Rückenlage und ein Stefaniak-Distanzversuch wird abgeblockt – das sieht von Beginn an anstregend aus, sogar nur vom Zusehen. Als dann die Ost-Baden-Württemberger nach einer Viertelstunde doch mal einen Konter wagen, schießt der Ex-Schachter Arne Feick kläglich daneben. Überhaupt: Was die Gästeoffensive über das gesamte Spiel hier anbietet, ist schlichtweg nicht zweitligawürdig. Kaum Spielfluss, keine Chancen, kein Speed, nichts, was das Fußballherz mit Freude erfüllt. Das ganze Heidenheimer Konzept besteht aus der Hoffnung, mit einem Standard was ausrichten zu können, und hinten dichtzumachen.

Und zu hinten dicht gehört offensichtlich auch, dem Gegener die Lust auf das zu nehmen, was man selbst nur bedingt beherrscht: das Fußballspielen. Dafür wird reichlich gefoult, nicht wirklich brutal, aber immer wieder – vor allem Erich Berko und Niklas Hauptmann werden immer wieder unfair zu Boden geschickt.
Ein sehenswertes Spiel kann so kaum entstehen, doch Dresden nimmt den Fight an, will auf keinen Fall das eigene Spiel aufgeben. Dabei versucht gerade Hartmann-Ersatz Konrad mit Kampfeswillen voranzugehen, was ihm über weite Strecken auch gelingt. Im Rackern steht er seinem Mannschaftsboss in Nichts nach, aber dessen Komplettrepertoire zwischen Quadratlatschen-Balleroberung, Zauberpass-Spielen und Holzhacker-Buam-Mentalität ist eben unnachahmlich.

Was zudem aufffällt: Marvin Stefaniak ist bei fast alles Standards außen vor, dafür treten Kreuzer und Heise in Aktion. Ist das schon das wettkampfbasierte Training für die kommende Saison? Wie auch immer, am Wollen mangelt es dem heute als Kapitän auflaufenden Blondschopf nicht, weshalb er bereits in der 20. Minute seinen fünften Gelbkarton vor die Nase gehalten bekommt. In Braunschweig hat er also Pause.
In der 26. Minute dann wieder Auftritt Erich Berko: Erst eine Ballannahme Marke trés bien, dann trés chic quer in den Strafraum quergelegt, wird leider geklärt. Dann bekommt er den Ball  noch einmal, aber aus neun Metern drübergedonnert ist dann eher tous les mauvais.

Nach einer halben Stunde holt sich dann auch Aosman Gelb, und es scheint auch ein wenig ein Frustfoul zu sein, denn das ist nicht sein Abend. Bei ihm reihen sich Unkonzentriertheiten und Fehlpässe aneinander, er will, aber kann nicht so recht – und weiß das offensichtlich auch.

In den letzten fünfzehn Minuten des ersten Durchgangs geht es ein wenig hin und her, darf Marvin Schäbe auch mal zupacken, schießt Stefaniak aus halbwegs guter Position drüber. Erst kurz vor der Pause deutet sich an, wie es gehen könnte: Philip Heise vernascht den Gegner und bringt den Ball highspeed auf den langen Pfosten, doch Niklas Hauptmann bekommt unter drängelnder Begleitung keinen Druck auf das Leder und mumelt dieses in die Arme von Keeper Müller. Das macht Hoffnung auf Hälfte zwei

Zweite Halbzeit: Erst Schockstarre, dann Hilßner-Kunst

Die Hoffnung stirbt zunächst. Denn die Heidenheimer Spekulation auf einen erfolgreichen Standard geht auf. Der ewige Marc Schnatterer tritt zwei Minuten nach der Pause einen Freistoß von halbrechts, wonach der Ball – nicht mit wirklich viel Geschwindigkeit – durch den gesamten Strafraum hoppelt und am Ende erst den Fuß von Sebastian Griesbeck und dann auch aus Nahdistanz den Weg ins Heimtor findet. Spürbar gehen die schwarzgelben Köpfe nach unten, denn jetzt ist jedem klar, dass es ganz schwer wird, gegen das Heidenheimer Bollwerk etwas mitzunehmen.

Den ersten Ruck in Richtung Erfolg gibt es in Minute 58. Und es ist wieder Erich Berko, der an den Ketten zerrt, der heute das Herz eines Löwen hat. Er wühlt sich durch eine Traube von Gegenspielern, um dann den freien Mitspieler aus höchster Bedrängung zu bedienen. Aber dieser Spieler ist leider Aias Aosman, der seinen gebrauchten Tag „krönt“, indem er frei vorm Torwart an diesem scheitert. Herrje! Und es hätte noch schlimmer für ihn kommen können, denn nur 60 Sekunden später lässt er Schnatterer an der eigenen Strafraumgrenze auf den Rasen sinken – ob nun Milimeter vor oder im Sechzehner ist kaum zu sehen, aber ein Elfmeter war im bereich des Möglichen. Glücklicherweise sieht Christian Dietz gleich gar kein Foul, sehr zum Ärger der Schmidt-Truppe. Get lucky!

Was sagt es über ein Spiel aus, das erst nach einer knappen Stunde die erste Ecke erlebt? Die Frage darf sich jeder selbst beantworten. Zumal jetzt doch noch fast das 0:2 fällt, als – natürlich – Schnatterer mal wieder draufhält, aber von Schwäbe bezwungen wird. Und man fragt sich bei dem Spielstand und -geschehen. Warum wechselt Uwe Neuhaus nicht? Erst 15 Minuten vor Schluss entschließt sich der Dresdner Coach zum Wechsel. Und das gleich doppelt. Und das gleich mit Wirkung. Hach, diese Storys, die der Fußball so erdichtet …

Marcel Hilßner kommt nun für Stefaniak, der mit einigen Pfiffen bedacht wird, was vollkommen unangebracht ist. Seine dynamischen Debütminuten erhält zudem Marcos Alvarez, der Aias Aosman erlöst. Und jetzt trabt der Hilßner Richtung Einwuf auf die andere Seite und bekommt den Ball auch tatsächlich zugeworfen. Mit einer galanten Drehung hebt er nun das Spielgerät (wie es der MDR gern nennt) über seinen Gegner, nimmt, nach innen laufend, mit dem Kopf an, lässt kurz auf den Rasen tropfen und banant das Rund in die Mitte. Schon diese Aktion allein war das Kommen wert! Aber jetzt, ja jetzt, kommt wer, na wer, im Zentrum angerauscht? Erich Berko! Mit allem, was er hat, wuchtet er per Kopf den Ausgleich ins Heidenheimer Tor und zertrümmert deren Taktik. Denn genau dies war eben jene Explosion, die nach stetem Tropfen und so weiter. Jetzt ist der falsche K wieder da, jeder weiß, wie es auf den anderen Plätzen steht. Das “Träumchen” erwacht wieder, wenn es denn zum Sieg noch reicht.

Vier Minuten vor Schluss ist es dann soweit. Balleroberung an der Mittellinie, Alvares auf Hauptmann, der mit Übersicht links raus auf Philip Heise spielt, der sofort einen scharfen Pass in den Strafraum spielt – und wie weiland in Stuttgart läuft der bis dahin fast unsichtbare Stefan Kutschke genau dahin, wohin er laufen soll und trifft phantomgleich zum Siegtor. So triumphieren am Ende Mentalität und Ausdauer. Denn auch wenn Heidenheim noch zweimal Richtung Dynamo-Tor drüber schießt und Hilßner noch eine Konterchance hat, wird das Ergebnis in den letzten Minuten festgemacht. Was das nun alles in der Konsequenz bedeutet, werden wir am Montag sehen, wenn es gegen Braunschweig geht.

Übrigens, ich hatte einen Traum: Da war eine Relegation gegen Wolfsburg, es ging ins Elfmeterschießen, der entscheidende Schütze hieß Marv … Dann bin ich aufgewacht. Schweißgebadet.
Uwe Stuhrberg

Dynamo Dresden vs. 1. FC Heidenheim
5. April, Anstoß: 17.30 Uhr
Tore: 0:1 Griesbeck (47.), 1:1 Berko (75.), 2:1 Kutschke (86.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Kreuzer, Ballas, J. Müller, Heise, Konrad, Stefaniak (75. Hilßner), Hauptmann (88. Modica), Aosman (75. Alvarez), Berko, Kutschke
Ohne Einsatz: Wiegers, Teixeira, Modica, F. Müller, Lumpi
Schiedsrichter: Christian Dietz
Zuschauer: 19.687
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