Die Johannstadt talkt
Es wird geredet – im Studio und im Netz
Die gute Nachricht: Man kann den 13. Februar auch sinnvoll zu Hause verbringen. So zum Beispiel in Ruhe den 1. Johannstädter Ballroomtalk anschauen: 52 Minuten werbefreies Gespräch mit netten Gästen, einem echten Star und der Banda Internationale, die über das schöne Thema (neue) Heimat reden und singen – zu erleben ist das unlinear (also so oft und wann man will) sowie kostenfrei im Netz.
Seit rund einem Jahr hat Johannes Gerstengarbe sein Ballroomstudio in die alte Johannstädter Schokofabrik verlegt. Dieses ist öffentlich vor allem bekannt für seine gleichnamigen Sessions, die aufwändig live produziert als Videoserie im Netz zu sehen sind. Die Liste der Künstler von Bela B. bis Keimzeit ist lang, jeder Titel eine Neuinterpretation in schöner wie naher Optik. Nun hat sich der Musiker und Produzent – gemeinsam mit dem Radiomann Stephan Wiegand – ein neues Format überlegt. Denn während die meisten Zeitgeister sich angesichts der Verrohung der Sitten in der Stadt mit Agonie, Protesterie oder Monologen begnügen, wollen sie ein besonderes Talkformat schaffen, bei dem sie selbst moderieren.
»Die Johannstadt ist schon ein besonderes Viertel. Hier leben die meisten Menschen mit anderen Wurzeln«, schildert Stephan Wiegand die Ausgangslage. Gerstengarbe ergänzt: »Wir wollen in erster Linie etwas fürs nachhaltige Zusammenleben im Viertel tun. Und im Gespräch soll sich – im Gegensatz zum üblichen TV-Verbalkrieg – ein Miteinanderreden aufbauen lassen.« Der Produzent trägt mit dem Studio die Hauptlast an der Pilotsendung, die – vor allem ob des fünfköpfigen Kamerateams – nicht ganz billig ist, aber schon einige Unterstützer fand.
Bei der Aufzeichnung – zwei Abende vor Erscheinen des roten Rutenriesen, wobei sich Warm-up und Animation in argen Grenzen hielt – zog natürlich Konstantin Wecker die meiste Aufmerksamkeit auf sich, hatte aber im gebürtigen Karl-Marx-Städter Khaldun Al Saadi, dessen Vater aus Südjemen stammt und der neben dem Leipziger Studium von Arabistik und Kommunikationswissenschaft auch Sprecher des Islamischen Zentrums Dresden ist, einen philosophisch ebenso bewanderten Dialogpartner. Die Ingenieurin Sana al Salek, deren Kinder sie als Klassenbeste stolz machen, und die Dresdner Susann Rüthrich haben als Johannstädterinnen beim Heimat- ein Heimspiel. Ersterer Sehnsuchtsort bleibt ihr Syrien, die SPD-Bundestagsabgeordnete vergisst natürlich ihren Meißner Wahlkreis nicht. Auch Stargast Wecker, der in München und der Toskana lebt, sich hier keineswegs vordrängelt und den Raki ordnungsgemäß mit Wasser verdünnt, wird erstaunliche Bekenntnisse in Sachen Heimatgefühl abgeben. Und es ist beachtlich, wieviel heimatliches Lößnitzpils während der Sendung fließt.
Der abschließende Song von Wecker und der Banda, akustisch gut eingefangen, ist übrigens von den Künstlern für einen guten Zweck freigegeben und wird bald als Single erscheinen. Auch sonst hoffen die Initiatoren auf breiten Zuspruch, auch seitens von Partnern wie Sponsoren (gern auch Sender), denn ihr Ziel ist die Produktion einer quartalsweisen Neuauflage, was trotz ihrem Ehrenamt nicht ohne Geld für die Produktion geht.
Andreas Herrmann