Die fantastischen Vier

Der dynamische Aufstiegszug überrollt Ingolstadt mit furioser Fahrt

Es ist ein Vorteil, dass wir uns meist 24 Stunden Zeit lassen mit unseren fußballerischen Rückbetrachtungen, denn man kann so abgeklärt und mit etwas Abstand analysieren, ohne, dass die Emotionen eine zu große Rolle spielen … mefnW)9r34&%W“§OD YEEEEEEAAAAAAH! Hastenigeseeeeehn! Hoooolaaaaadiiiieeeewaldfffeeeeee! Auuuuuuufstiiiieeeeeeg! „§(§Eddjls … Ähm, sorry, bin kurz mental mit der Maus augerutscht. Kann ja mal passieren. Nun aber zurück zur seriösen Berichterstattung.

Staunen durfte man beim Blick auf den Mannschaftszettel: Yannick Stark schon jetzt auf der Bank. Dort sitzt er neben Kwadwo, Kreuzer, Hosiner, Stor, Wiegers und – wieder einmal – Stefaniak. Heißt im Umkehrschluss, dass Königsdörffer und Mai wieder in die Startelf berufen wurden. Bei den Schanzern wiederum stand Kapitän Stefan Kutschke auf dem Rasen, der eigentlich als verletzt geführt wurde – möglicherweise eine Oral’sche Nebelkerze. Unter der Gürtellinie waren durchaus einige asoziale „Begrüßungsposts“ in den sozialen Medien, denn wer den legendären AB-Mitschnitt kennt, in dem der frühere Dresdner Stümer seinen Abgang erklärt, kennt die Story auch aus seiner Sicht. Zudem darf man nie vergessen, dass es Kutschke war, der uns mit zwei Toren gegen die Brauseballer ins Pokal-Elfmeterschießen gebracht hat. Das mal nur nebenbei. (Übrigens: Das Schönste an dem Werbespot eines Wettanbieters ist das letzte Bild mit Aias Aosman, wie er nach dem letzten Elfmeter sein Trikot rumwirbel).

Die erste Halbzeit: Wenn der Außen in der Mitte …

Dynamo hat den Ball zuerst und zeigt sich bemüht im Gang nach vorn. Daferner traut sich als Erster aus der Deckung, schießt aber vorbei. Schnell wird klar: Das wird ein ganz mühsames Ding. Beide Teams stehen hoch im Pressing, laufen enorm viel, fighten innen wie an den Außenlinien um jeden Zentimeter. Da zeigt es sich aber schon bald, dass vor allem Paul Will wieder einen Sahnetag hat. Balleroberung und -verteilung, Übersicht, kleine Überraschungsmomemte und eine überragende Abstimmung mit Julius Kade sowie der Dreierkette lassen Kutschke & Co. vorn keine Chance. Auch wie Ehlers, Mai und Knipping ihre Duelle gewinnen, sich die Gegner übergeben, Laufwege kreuzen lassen und mit Auge hinten herausspielen, ist sehenswert. Nur in der Spitze fehlt wie so oft der letzte Schliff – wobei Daferner und Sohm auch als erste Linie der Defensive agieren. Warum die Oberbayern allerdings ohne etatmäßigen Sechser spielen, bleibt ein Geheimnis und wird sich in er Spielanlage bitter rächen.

Ansonsten kommt von beiden Seiten jede Menge Kick & Rush, wobei Königsdörffer einmal mehr seine Flanken-Schwäche offenbart. Einen ersten Adrenalinschub bekommt das Spiel erst in der 21. Minute: Will spielt einen langen Freistoß aus dem rechten Halbfeld an den langen Pfosten, wo Knipping auf dem Weg zum Kopfball klar an der Obertrikotage zu Boden gezogen wird. Man darf sich darüber streiten, ob der Ball für ihn erreichbar war – wir werden es nie erfahren. Der Pfiff blieb aus. Dafür sieht Daferner drei Minuten später Gelb, weil er am Mittelkreis die Sohle voraus den Ball ins Aus befördert. Muss man geben, Gottseidank wurde niemand getroffen.

Es passiert sonst … nix. Ein Ringen und Kämpfen mit Hängen und Würgen. Es sind eher die winzigen Details, die auf Besserung hoffen lassen. Etwa wenn sich Sohm und Meier oder Königsdörffer und Mörschel kleine Pässchen auf engem Raum zuspielen, auch wenn das noch nicht zur Glückseligkeit führt. Ingolstadt wiederum lässt es bei Ansätzen beruhen. Da kommt einfach nichts durch, die wenigen schwachbrüstigen Abschlüsse fängt Broll ohne Hinzugucken. Will testet derweil, wie hoch er über das Tor schießen kann.

Die Partie benötigt 38 Minuten, um in die richtige Richtung zu kippen. Königsdörffer macht einen Ausflug auf die andere Seite, um an der linken Strafraumkante einen genialen Doppelpasse mit Meier zu spielen. Dabei ist der Laufweg von Königsdörffer nach innen eine wahre Offenbahrung. Jetzt steht nämlich bei den Schanzern Gaus gegen zwei Mann, denn neben der Dresdner 35 ist Mörschel frei. Elf Meter vor dem Tor muss sich der Ingolstädter für irgendetwas entscheiden – also senst er Königsdörffer in dem Moment um, als dieser den Ball zu Mörschel spitzeln will. Diesmal zeigt Referee Nicolas Winter sofort auf den Punkt, kein Gemecker bei Ingolstadt, nur etwas Verzeiflung. Denn den Gästen ist klar: Wenn Dynamo hier in Führung geht, wird es extrem schwerer, denn mit Sicherheit hat man das Remis gegen Bayern II gründlich ausgewertet. Es ist dann Mörschel, der relaxt zum 1:0 vollendet, Buntic war in die falsche Ecke unterwegs.

So, jetzt die Führung in die Kabine bringen und nach der Pause fix nachlegen. Wäre ein Plan gewesen, den die SGD vereitelt, denn das Nachlegen beginnt noch vor dem Halbzeitpfiff. Und wieder ist es ein Doppelpass. Zwanzig Meter vor dem Tor spielt Königsdörffer zu Mörschel, der legt den Ball genau in den Lauf zurück und dann läuft er und läuft und läuft. Derweil sorgt Sohm mit ein paar Schritten nach außen für Konfusion bei den Ingolstädter IVs, die sich nur noch fragen: Wer nimmt wen? So heißt es „Bahne frei, Kartoffelbrei“ für Königsdörffer, der direkt auf der Strafraumlinie mit dem schwachen linken Fuß vollendet. Zwei! Zu! Null! Die Pressetribühne wackelt ein bisschen, nur die Kollegen vom Donaukurier beißen in den Laptop. Aber: In den zwei bisherigen Toren steckt auch ein Hinweis für Markus Kauczinski. Denn auf seine Position befragt, hat Königsdörffer nach dem Spiel (nicht zum ersten Mal) geäußert, dass er sich nach wie vor dort nicht zu Hause fühlt. Und so zeigt er nun eindrucksvoll, was er in der Sturmmitte wert sein kann. Nur: Dort gibt es mit Daferner, Hosiner, Sohm und Stor ein Überangebot. Was soll’s: Pause.

Die zweite Halbzeit: Das hat Hand und Fuß

Kurz nach Wiederbeginn erzwingt Mörschel eine Ecke. Das ist nur insoferrn erwähnenswert, weil es die erste im Spiel überhaupt ist. Kurz darauf schon wieder Mörschel, der an der Außenbahn auf Höhe der Mittellinie den Ball erläuft und dann no look in des Gegners Hälfte drischt. Dort nimmt Caiuby auf, na dann aber auch wieder nicht – Halbherzigkeit ist des Fußballers Tod. Denn bevor noch ein Weißhemd ans Leder kommt, spitzelt sich Sohm das Runde mit der Pike selbst in den Lauf und geht ab wie Schmidts Katze, mittig rennt Daferner, des Abspiels annahmebereit. Aber zwischen beiden Dynamo grätscht Langhaar Poulsen den Pass weg, doch Sohm bleibt dran, holt sich den Ball zurück und drischt ihn einfach nach innen, komme was da wolle. Ob er nun wollte oder nicht, es kommt Stendera, der mit der Hand das 3:0 erzielt – zu nah vor der eigenen Linie, bleibt ihm kaum etwas anderes übrig.

Es ist nun allen klar: Das Spiel ist gelaufen, Ingolstadt befindet sich nicht in der Form, hier und heute noch drei oder gar vier Tore zu schießen. Oral versucht zwar, mit einem Dreifachwechsel etwas zu bewirken, aber auch der verpufft. Vor allem Kutschke wirkt angefressen, will wenigstens in den Trash Talk mit Sebastian Mai, aber der wendet sich einfach ab und lässt sich nicht einmal dann provozieren, als der Ex-Dresdner ihn – trotz abgepfiffner Situation – mit einem Schuss ins Gesicht niedermäht. Kutschke sieht Gelb, Sohm hingegen nicht, als er mit einem glasklaren taktischen Foul einen Gästekonter interruptet. Nach 69. Minuten wird Kutschke schließlich per Auswechslung erlöst – Mai und Knipping hatten ihn komplett zur Unsichtbarkeit verdammt.

Direkt im Anschluss wird Sohm von Towart Buntic hart weggerammt. Der Ball war schon weg, es ging nur in den Körper. Genau genommen, müsste es hier den dritten Elfmeter für Dynamo Dresden geben. Zwar wird der Sohm’sche Lupfer knapp vor der Linie zur Ecke geköpft, aber ein Foul war das zu 100 Prozent. Die Folge: Sohm muss raus, Stor (nicht Hosiner) kommt. Die fällige Ecke veredelt Ehlers per Kopf fast zum vierten Tor.

In der Schlussviertelstunde merkt man den Schwarzgelben schon ein wenig die Euphorie an, ohne dass das zu Unkonzentriertheiten führen würde. Kaum auszudenken, wie die Schüssel beben würde in Normalzeiten. Als Mai einen Schanzerball über den eigenen Balken köpft, wird das gefeiert wir ein Tor. Hier werden gerade big points eingesackt. Für neun Minuten kommt Hosiner für Daferner.

Erst in der Nachspielzeit kommt der FC Ingolstadt zu seiner ersten richtigen klaren Torchance – und zwar durch Eingewechselte. Erst bricht Niskanen an Meier vorbei an der Außenlinie durch und spielt am Strafraum eine perfekte Flanke in die Mitte, wo dieses eine Mal die Heimdefensive pennt. Ohne Gegenwehr köpft Kaya aus Nahdistanz auf den Dresdner Kasten, doch Kevin Broll zeigt sich nicht bereit für eine Ergebniskorrektur und faustet das Ding mit einem Sensationsreflex über die Latte. Besonders tragisch für die Donaustädter: Es wurde nicht nur kein Tor erzielt, nein, aus der folgenden Ecke heraus bekommen sie noch eins. Hätte man das Wort „mustergültiger Konter“ für eine spezielle Situation erfunden, dann für diese. Besonders interessant auch, dass der Spielzug von Stürmer zu Stürmer läuft. Denn abgefangen wird die Ecke per Kopf von Hosiner, der sich den abprallenden Ball willensstark wiederholt und gedankenschnell auf Kade durchsteckt. Kurz vor der Mittelinie sieht der 21-Jährige den durchstürmenden Luka Stor – und bevor der ins Abseits rennt, geht der Ball auf die Reise genau an den Punkt, wo ihn Stor erreicht und Buntic ihn nicht erläuft. Mit vollem Speed rennt die 37 allen davon, am Keeper vorbei und vollendet halblinks ins leere Tor. Es ist der erste Treffer des Slowenen für Dynamo seit den Pokalfight gegen die Hertha – und alle gönnen ihm diesen Moment nach einer für ihn nicht gerade einfachen Saison.

Mit dem Schlusspfiff wird dann Stefaniak für Mörschel eingewechselt. Waren es bei seinem letzten „EInsatz“ nur wenige Minuten in der Nachspielzeit, ist es diesmal fast demütigend, auch wenn das vom Trainer sicher nicht so gemeint war. Es ist absolut verständlich, dass ein Zukunftsprojekt wie Heinz Mörschel mehr Spielzeit bekommt als ein Leihspieler. Aber man kann beim Stand von 3:0 einem Marvin Stefaniak auch mal 15 Minuten geben, zumal er dann die Auflaufprämie etwas abarbeiten kann. Ich kenne natürlich keine Trainingsleistungen, aber so kann ich mir kaum vorstellen, dass das Engagement über das Saisonende hinaus geht. Aber what a Luxusproblem! Wo wir sind, ist vorn.

Fazit: Vier fantastische Tore, 51 Punkte, beste Abwehr, beste Offensive – und außerdem dem DFB gezeigt, dass man mit auch nur 65 Stunden Abstand vom letzten Spiel ein Gipgeltreffen souverän gewinnen kann. Dabei sind sicherlich nicht nur die Funktionäre in Frankfurt am Main unglücklich, dass ihnen das Zugpferd der Dritten Liga mit stetig wachsender Wahrscheinlichkeit von der Fahne gehen wird, auch bei Magenta Sport werden aus Zehnztausenden Ein-Jahres-Gratis-Schnupper-Angeboten wohl keine bezahlten Abos. Bei Sky wird man sich schon freuen.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. FC Ingolstadt 04

27. Februar 2021, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 1:0 Mörschel (38., Elfmeter), 2:0 Königsdörffer (45.), 3:0 Stendera (48., Eigentor), 4:0 Stor (90.+1)
Dynamo Dresden: Broll, Ehlers, Mai, Knipping,, Meier, Königsdörffer, Kade, Will, Mörschel (90.+1 Stefaniak), Sohm (72. Stor), Daferner (81. Hosiner)
Ohne Einsatz: Wiegers, Stark, Kwadwo, Kreuzer
Zuschauer: 0
Schiedsrichter: Nicolas Winter
www.dynamo-dresden.de