Der satanische Punkt
Dynamo schwankt gegen den FCK zwischen Moral, Kampfgeist und Haaresträuben
Wer hat eigentlich „Can’t Stop“ der Red Hot Chili Peppers als Einlaufsong ausgewählt? Hat man sich da nur vom Titel leiten lassen? Ich mag das Stück, aber es lässt alles vermissen, was eine Musik, zu der die Heimmannschaft auf das Grün schreitet, ausmachen sollte: Erhabenheit, Einschüchterung des Gegners und ein Einbinden des Publikums. Vielleicht wird kommende Saison jemand darüber nachdenken. So weit, so gut – das sollte nur mal gesagt werden.
Nun also die Roten Teufel in der schwarz-gelben Schüssel. Großartige Stimmung, der K zieht seine zweitgrößte Fahne hoch, dazu etwas Wiegers-MoPo-Beef via Spruchband und dann doch ein Hartmann auf dem Rasen. Dieser hört allerdings auf den Vornamen Robert und war als Referee wohl leider nicht verschwippschwagert mit unserem Capitano. Doch wichtiger war die Frage: Kann sich die SGD nach vier sieglosen Zu-Hause-Partien wieder einen Dreier krallen? Nein, sie konnte es nicht.
Erste Halbzeit: Viel Hintenrum und ein Zweimalzwei
Von Anfang an war das zu sehen, was weite Strecken dieser Begegnung ausmachen sollte: Kaiserslautern steht dizipliniert, presst auf Dresden und lässt kaum ein Aufbauspiel zu. Dabei hieß es für die Pfälzer dann: Warten, bis die Heimelf Fehler macht. Und so ging es vor Marvin Schwäbe viel hin und her zwischen den Verteidigern und Manuael Konrad, der, wie vom Trainer angekündigt, den gesperrten Marco Hartmann vertrat. Zwar gab es bereits in der dritten Minute eine Chance für Dynamo, als Stefan Kutschke einen Querpass von Niklas Kreuzer nah vorm Kasten nicht verwerten kann, doch ansonsten waren die ersten 20 Minuten vor allem geprägt von Ratlosigkeit und einigen Langpass-Versuchen. Bis, ja bis es eine Ecke für den Gast gab.
Es ist ja schon fast eine Gewohnheit, dass man bei gegnerischen Eckstößen Schweißausfuhr und Adrenalinzufuhr spürt. Und das schlechte Gefühl sollte sich einmal mehr rechtfertigen: Sebastian Kerk lässt den Ball in den Sechzehner segeln, vom langen Pfosten wird in die Mitte gespielt, wo Robert Glatzel das Leder per Springeinlage ins Tor bugsiert, dabei aber mit dem Fuß auch Guiliano Modicas Kopf trifft. Keineswegs gut sah hier Manuel Konrad aus, der seinen Gegenspieler erst nicht am Pass hindert und dann noch als Zuschauer zwei Schritte zurückgeht.
Die Dynamischen wollen nun Anrucken, innerhalb von nicht einmal zwei Minuten sehen Niklas Kreuzer, diesmal vor Fabian Müller auf der Außenbahn, und Marvin Stefaniak Gelb für ziemlich rüdes Einsteigen. Aber nach vorn passiert nichts Nennenswertes. Dafür gibt es den nächsten Nackenschlag: Nach einem Einwurf lässt sich erst Fabian Müller wie ein Schuljunge austanzen, im Strafraum dann ein wenig Flippern bis Konrad unfreiwillig für – schon wieder – Glatzel auflegt, der zum zweiten Pfalz-Tor einnetzt. Bei einer 6-gegen-3-Überzahl im eigenen Sechzehner darf so etwas eigentlich nicht passieren. Aber es passiert.
Es brauchte eine halbe Stunde und zwei Gegentore, ehe sich die SGD auf bekannte Comeback-Qualitäten besinnt. Denn in Minute 32 zeigt der FCK, dass auch er Probleme bei Ecken hat. Denn Stefaniak lauert diesmal auf der anderen Seite des Straufraums, bringt den Ball nach innen, wo Modica den Kopf oben hat und sieht, wie der eben noch etwas patzende Konrad angerauscht kommt wie eine Dampfwalze – mit aller Wucht, die ein Zweitore-Rückstand entstehen lässt, raketet der Mitttelfeldmann das Runde Richtung Tor, wo es – noch abgefälscht – unhaltbar einschlägt. Dreckiges Ding, zählt aber trotzdem. Warum sieht man das eigenltich so selten bei Dynamo?
Jetzt ist es da, das Braunschweig-Feeling – im Rund und auf dem Rasen. Nur drei Minuten nach dem Anschluss fliegt ein Kreuzer-Freistoß in den Fünfer, wo Modica mit dem Kopf nur halbherzig rankommt, aber wenn der Stefan Kutschke durchläuft, kann er doch noch das Tor machen – aber er läuft nicht durch. Aias Aosman treibt nun unermüdlich die Partie vor sich her, ist quasi überall zugleich, kann aber eine Heise-Eingabe vor dem Tor nicht verwerten. Heise selbst dann mit einem 25-Meter-Freistoß, der nur knapp neben dem rechten Pfosten landet.
Was sich dann aber in der 42. Minute vor dem Kasten von Julian Pollersbeck abspielt, ist derart zum Haareraufen, dass es zur Glatzenbildung führen könnte. Philip Heise kontert über den ganzen Platz, spielt genau richtig in den Lauf von Aias Aosman, der halblinks vorm Tor den Keeper nicht überwinden kann. So weit, so schlecht. Er bekommt nämlich das Leder zurück, geht quer am Fünfer entlang, wo Niklas Hauptmann den Ball ins Tor schießen will, aber alles, was er trifft, ist der einzige Feldspieler, der dort noch vor der goal line herumliegt. Fassungslosigkeit allerorten! Und ein weiterer Beleg, dass es dem Dresdner Mittelfeld schlicht und einfach an Torabschlussqualität fehlt. Zwischen den Strafräumen mit teilweise genialen Aktionen, doch gepeinigt vom Unvermögen, sich auch mal selbst zu belohnen.
Aber da gibt es ja noch Stefan Kutschke. Der wird in der Nachspielzeit elfmeterreif umgerissen, als wollte sein Gegner Ewerton Räuberleiter mit ihm spielen. Der Schiri zeigt auf den Punkt und Dresden bekommt den ersten Starfstoß in dieser Saison. Der Sturmtank legt sich den Ball selbst hin und jagt diesen unhaltbar und mit Schmackes unten links rein, dass alles Strecken des Torwarts sinnentleert scheint. Jubelnd geht es in die Pause.
Zweite Halbzeit: Spiel gedreht und wiederum nicht
Zur zweiten Halbzeit können wir es kurz machen, denn eine halbe Stunde lang passiert fast nichts. Hier ist vor allem Fehlervermeidung angesagt, Ballsicherung und -besitz. Und es zeigt sich, ohne Manuel Konrad zu nahe treten zu wollen, wie sehr ein Marco Hartmann dem Dresdner Spiel fehlt: als unumstrittener Leader des Jungspund-Haufens, als furchteinflössender Balleroberer, Zweikämpfer und übersichtsvoller Ballverteiler.
Zug kommt erst wieder in das Spiel, als Erich Berko für frischen Wind sorgt. Sofort hat er eine gute Akton auf dem Fuß, bei der zweiten setzt er sich am Strafraumeck gut durch, spitzelt zu Aosman, der mit Feingefühl auf den rechts lauernden Kreuzer lupft – und der wiederum sieht Kutschke direkt vorm Tor. Ein strammer Ball in die Mitte und der Sturmschlaks bugsiert das Ding rein, schüttelt dabei noch zwei Verteidiger ab wie lästige Fliegen. Führung, Spiel gedreht. Hier und da kommen schon wieder Aufstiegsfantasien hoch.
Mit der Einwechslung von Hendrik Starostzik in der 84. zeigt die Trainerbank an: jetzt durchhalten! Aber das gelingt nicht. Nur drei Minuten später spielen sich die Pfälzer auf links durch, Konrad sieht ein weiteres Mal nicht gut aus, weil er getunnelt wird und direkt am Fünfer kann der soeben eingewechselte Kacper Przybylko den Ausgleich erzielen. Das war – mit Verlaub – naiv verteidigt, zudem liefen alle Torvorbereitungen des FCK über die Fabian-Müller-Seite. Ist Teixeira wirklich so schlecht im Training? Nur eine Frage.
Und es wäre fast noch schlimmer geworden, wenn der Linienrichter nicht so ein gutes Auge bewiesen hätte, um beim vierten Gästetor in der Nachspielzeit die Abseitsstellung von Osawe zu bemerken. Durchschnauf. Abregen.
So lassen die Betzenberg-Teufel einen Punkt hier, der ein wenig satanisch ist, weil man sich fast daran erfreuen könnte. Oder auch erfreuen sollte. Schließlich hat der junge Dresdner Haufen Moral und Willen gezeigt. Er hat auch Fehler gemacht. Aber Verein und Fans wissen, dass diese Fehler bei einem Aufsteiger normal sind, dass es für Dynamo nicht der einzige Rückschlag sein wird, wenn man es überhaupt so nennen sollte. Viele wichtiger in dieser Saison ist es, dass sich die Mannschaft entwickelt und festigt für die nächste Spielzeit, denn im jeweils zweiten Zweitligajahr gingen immer die Probleme los.
Nun geht es aber ersteinmal nach Würzburg. Auswärts.
Uwe Stuhrberg
Dynamo Dresden vs. 1. FC Kaiserslautern 3. März 2017, Anstoß: 18.30 Uhr
Tore: 0:1 Glatzel (19.), 0:2 Glatzel (27.), 1:2 Konrad (32.), 2:2 Kutschke (45. Elfmeter), 3:2 Kutschke (77.), 3:3 Przybylko (87.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, F. Müller, Modica, J. Müller, Heise, Kreuzer (90. Testroet), Konrad, Hauptmann (84. Starostzik), Aosman, Stefaniak (76. Berko), Kutschke
Ohne Einsatz: Wiegers, Teixeira, Lumpi, Hilßner
Schiedsrichter: Robert Hartmann
Zuschauer: 28.907
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