Der Münchhausen-Test

Dynamo Dresden zieht sich gegen Mannheim selbst aus dem Sumpf

Foto: SGD/Dennis Hetzschold

Eine dieser nervigen Fußball-Weisheiten besagt, dass der Vorteil von englischen Wochen vor allem darin besteht, dass man in sehr kurzer Zeit eine Niederlage wettmachen kann. Mathematisch gesehen ist natürlich grober Unfug, da man die drei eingebüßten Punkte nicht wiederbekommt, aber mental ist da sicher etwas dran. Also wurde das Mantra herausgeholt, und sowieso sollte im zweiten Heimspiel der Saison wieder alles besser werden als bei der peinlichen Vorstellung im Hardtwald.

Viel besser war natürlich zunächst die Kulisse, denn auch an einem Dienstag fanden knapp 27.000 Fans den Weg zur Schüssel am Arnhold-Bad, darunter ein Häuflein Unentwegter aus Mannheim – immerhin über 500 Kilometer bei sechs Stunden Fahrtzeit. Spannend war vor allem aber, ob die viel längere bedrückende Busfahrt der so undynamischen Dynamischen am Sonnabend nach Hause lehrreich war. Der Mannschaftszettel merkte zwei Änderungen in der Beginner-Elf an: Luca Herrmann und Jonathan Meier rückten rein, auf Kyu-Hyun Park und Tim Zimmerschied wartete die Bank. Derweil kam bei der Mannschaftsverlesung der „Fußball-Gott“-Schrei bei Niklas Hauptmann genauso laut wie bei Stefan Kutschke. Tja, und hier sollte der K mit der Lobpreisung absolut richtig liegen.

Die erste Halbzeit: Ein genialer Patzer und ein geniales Tor

Schwarzgelb hat den Ball zuerst, spielt auf die Stehplätze – und so steht mit dem Anpfiff wieder „ein Arschloch im Tor“. Wird das eigentlich in jedem Stadion gesungen? Für Hinweise bin ich dankbar unter redaktion@cybersax.de (auch für andere Gedanken zum Thema dieser Niederschrift). Egal, nun zur Frage: Was haben die Spielgesandten der SGD aus der letzten Niederlage gelernt? Nichts. Schon nach 40 Sekunden gibt es den ersten Ballverlust via Fehlpass. Und das geht immer so weiter. Hintenrum quer, Angsthasen galore und Waldhöfer mit einem Näschen für Fehler und dem starken Hang zum Foul. Hatte nicht Coach Anfang verlangt, direkter zu spielen, schnörkellos die Schnittstellen zu suchen, vor allem schneller zu reagieren? Nichts davon ist zu sehen. Dafür klingelt es fast, als Abifade versucht, den Treffer des SVS vom Sonnabend zu kopieren: Er zieht von links ohne Gegenwehr einen Halbkreis um Kammerknecht und zirkelt das Leder gekonnt in den Knick rechts oben. Stefan Drljaca macht den Major Tom, fliegt völlig schwerelos und patscht das Ding zur Ecke.

Nur kurz ruckt das Dresdner Herz auf, als Hauptmann einen langen Schlag gekonnt auf Kutschke ablegt, der aber für den Ball seinen Abholschein vergessen hat. Aber vor allem ist es ein Jammer mit der Nummer 29: Das B in Borkowski steht irgendwie für das B in Ballverlust. Fast jede Entscheidung des Jungen ist nicht die richtig, mal spielt er fehl, dann trennt er sich zu spät vom Leder, heißt: Er wird getrennt.

Die 18.Minute ist angebrochen, und sie bringt einen Moment, der an Dramatik und Komik kaum zu übertreffen ist. Paul Will, sonst (auch an diesem Abend) ein Zuverlässigkeits-Monster ist letzter Mann (warum eigentlich?). Da erreicht ihn ein Mannheimer Fehlpass, kullerig, ohne Schärfe. Die Abstände zu den Gegnern geben ausreichend Zeit, zu spielen. Doch irgendetwas geht in dem Mann vor, er nimmt den Ball nicht an, lässt ihn an sich vorbeirollen, während zwei Weißhemden auf ihn zurennen. (Merke Notiz aus der F-Jugend: Wenn der Ball bei dir ist, nimm ihn an. #ballkontrolle) Noch immer könnte Will den Ball wegdreschen, aber Will will nicht. Im Gewurschtel fünf Meter vor dem eigenen Sechzehner lässt er sich von Carls das Runde voim Fuß spitzeln, und während Will fällt, stibitzt sich Herrmann (die haben auch einen: Charles-Jesaja) das Ding und läuft allein auf Drljaca zu. Beide treffen sich am Elfmeterpunkt, als besagter Herrmann beim Versuch, den Ball am Dynamo-Keeper vorbeizulegen zuviel Schmiss im Fuß hat und statt ins Tor deutlich neben das selbige schießt. Dabei ist Herrmann nicht mal allein, denn Carls läuft ja mit. Aber statt seitlich von Drljaca zu gehen, bleibt er hinter seinem Kollegen und kann so unmöglich angespielt werden. Ein Tor fällt nicht, das alle schon gesehen haben. Unfussabel, hätte Olaf Schubert gesagt.

Davon lassen sich die Gäste aber (noch) nicht runterziehen, denn nur zwei Minuten nach dem Debakel-Spektakel zieht einmal mehr Abifade robust aus 18 Metern ab, trifft aber nur das Außennetz. Den hätte Drljaca nie und nimmer gehabt. Oh nein, oh nein, oh nein, was soll das nur werden heute? Nichts ist zu sehen von heimischem Offensivdrang, es könnte gar schon 0:2 stehen.

Nach 23 Minuten spielt Meier einen Querpass auf Hauptmann, der am rechten Strafraumeck geschickt verzögert, bis Kammerknecht in den verwaisten Raum der red zone läuft. Und mit soviel Zeit und dem Kopf oben schlägt der 15er eine Schulbuchflanke an die Fünfmeter-Linie, wo Käptn Kutschke alle überragend überragt wie ein Riese, der bei Oliver Twist aus Versehen ins Zwergenland geraten ist. Mit Wucht und Auge schädelt der Recke den Ball rechts am Torwart ins Netz. Einszunull! Unverhofft könnte öfter kommen.

Die Mannheimer können es sichtlich nicht fassen: Erst die sichere Führung vergeigt, dann liegen sie plötzlich hinten. Dynamo hingegen schnuppert abendliche Morgenluft. Zwar gibt es einen Schreckmoment, als Drljaca ohne Rücksicht auf Verluste beim Herausfausten eines Balles auch Ehlers umsenst, und dieser liegen bleibt. Aber Erholung kommt schon bald. Auch für die schwarzgelbe Seele. Denn nur sechs Minuten nach dem Führungstor folgt das Zweizunull – und was für eins. Herrmann, also der Luca, bekommt den Ball rechts außen, und weil gleich zwei Gegner auf ihn zustürzen, kann Borkowski in den freien Raum dahinter laufen. Herrmann spitzelt also zwischen vier Beinen den Ball zu seiner 29, der hat Zeit zu gucken und sieht Hauptmann am Fünfer lauern. Der Pass sitzt, und jetzt wird der Niklas zum St. Niklas: In einem Move nimmt er das Runde mit dem rechten Fuß und dem Rücken zum Tor an, macht eine halbe Drehung und überwindet den Torwart mit dem linken Fuß. Das! Ist! Fußballkunst! Wenn es das Regelwerk erlauben würde, sollte man jetzt das Spiel beenden, denn besser wird es nicht. Wird es auch nicht.

Denn obwohl es jetzt deutlich in die richtige Richtung geht, springt dabei nicht mehr heraus. Robin Meißner etwa, mit einer Hauptmann-Borkowski-Combo herrlich freigespielt, schießt frei vor dem Torwart diesen an. Denn Rebound setzt Kutschke wuchtig, aber unpräzise an linken Pfosten vorbei. Dann wollen beide Teams irgendwie nur noch in die Pause. Aber hey: Vom Ergebnis her ist das besser als gegen Bielefeld und viel besser als gegen, nun ja, Ihr wisst schon.

Die zweite Halbeit: Nur ein Ex-Dynamo trifft

Der zweite Durchgang beginnt, wie der erste endete: mit Chancentoden. Borkowski braucht nur drei Minuten, um ein weiteres Mal das Tor zu verfehlen. Er kann einem leidtun, man gönnt ihm (und uns) sooooo sehr, dass er endlich mal trifft. Nicht zuletzt hatte ich vor der Saison geweissagt, dass der Mann jetzt den Durchbruch schaffen wird. Und ich möchte mich doch nicht irren.

Die  Minute 54 ist mal von ganz anderer Bedeutung: Luca Herrmann bekommt eine Gelbe Karte für eine amtliche Grätsche. War man vor der Spielzeit noch unsicher, wie schwer sich die lange Verletzungspause in seinen Körper schleichen wird, so hat dieses Spiel gezeigt, dass alle Ängste unbegründet waren. Der Mann geht in jeden Zweikampf, ackert und rackert, ist auf dem besten Weg, sich unverzichtbar zu machen. Und wenn seine Formkurve weiter so ansteigt, wird er schon bald mit Hauptmann im offensiven Mittelfeld jedes Team auseinandernehmen. Behaupte ich mal.

Hatte ich schon erwähnt, dass Borkowski auch in der 56. frei den Goalie anschießt, dass die Abpraller von Meißner aus guter und Herrmann aus mäßiger Position geblockt werden? Das wird jetzt langsam fahrlässig. Und Minuten danach wieder Borkowski vorbei, diesmal von Hauptmann und Meißner bedient. Aber als nach einer reichlichen Stunde die ersten beiden Wechsel anstehen, kommen Lemmer und Zimmerschied für Herrmann und Meißner. Kurz darauf probiert Hauptmann seinen Drehertrick noch einmal, aber diesmal ist der Winkel zu spitz.

Eine Weile passiert nichts Aufregendes. Dynamo will wohl nicht mehr ins Risiko gehen, Waldhof fehlt vielleicht etwas der Glaube mit den verinnenden Minuten. Zudem schallallalat die Kulisse unentwegt. Aber eine Viertelstunde vor Schluss fällt fast der Anschluss. Weder Kammerknecht noch Lemmer können einen Pass von der Grundlinie in den Strafraum verhindern, wo Mabella zentral aus Zehn Metern das Tor nicht trifft. Schäffler kommt für – natürlich – Kutschke. Wenig später stehen auch Oehmichen und Vlachodimos zum Einwechseln bereit. Da fällt das Zweizueins doch noch. Ein einfacher Seitenwechsel zeigt den Meier-Space vollkommen leer, sodass Jans Zeit ohne Ende hat, zu schauen und zu passen. An dieser scharfen Hereingabe hechtet Drljaca vorbei und der zur Halbzeit eingewechselte Pascal Sohm stolpert den Ball ins Netz. Wie sagt man so schön: ausgerechnet.

Das Opfer des Treffers ist nun nicht nur unser Kreislauf, sondern auch noch Vlachodimos. Denn statt seiner kommt neben Oehmichen jetzt der defensive Neuzugang Lars Bünning aufs Grün. Und auf einmal rucken die Gäste noch mal an und bei Dynamo geht deutlich weniger. Mannheim schießt aus allen Lagen, hat Ecken und Freistöße. Aber am Ende wird das alles konzentriert wegverteidigt. Und wenn Lemmer in der vierten Minute der Nachspielzeit etwas präziser auf Schäffler querlegt, hätte man sich velleicht über ein drittes Tor freuen können. Aber: Am Ende alles gutgegangen. Abpfiff. Heimsieg.

Was noch zu sagen wäre

Nach einem total vermurksten Start hat sich Schwarzgelb mit dem Kutschke-Kopfball-Treffer selbst aus dem Morast gezogen wie es weiland der Baron von Münchhausen auch tat (der hatte sogar noch ein Pferd unter dem Hintern). Warum allerdings die ersten 20 Minuten so waren wie sie waren, und warum es nicht gelingt, die Chancen besser zu nutzen, muss geklärt werden. Immerhin gab es diesmal Torgelegenheiten, im letzten Spiel waren ja auch diese weniger als Mangelware. Dazu zwei Treffer, die keine Eigentore oder Standards waren. Jetzt gegen den BVB II mal ein gutes Auswärtsspiel, dann sind wir wieder im Plan. Denn wie der jetzige Spieltag zeigt, ist es keine Floskel, dass in dieser Liga jeder jeden schlagen kann.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. SV Waldhof Mannheim
22. August 2023, Anstoß 19 Uhr
Tore: 1:0 Kutschke (23.), 2.0 Hauptmann (29.), 2:1 Sohm (84.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Kammerknecht, Ehlers, Lewald, Meier, Will, Hermann (64. Zimmerschied), Hauptmann (88. Bünning), Borkowski (89. Oehmichen), Kutschke (77. Schäffler), Meißner (63. Lemmer)
Ohne Einsatz: Broll, Park, Berger, Vlachodimos
Schiedsrichter: Arne Aarnink
Fans: 26.747
www.dynamo-dresden.de