Der Hauptmann von Osnabrück

In Osnabrück findet Dynamo Dresden zu sich selbst. Weitestgehend.

Foto: SG Dynamo Dresden

„Osnabrück liegt uns.“ Kaum ein Satz war häufiger trostsuchend zu hören in den Tagen nach der vollkommen sinnfreien Heimpleite gegen Bayreuth und dem peinlichen Pokal-Aus gegen die Schwäne-Freunde vom FSV. Wenn etwas nervt, dass dieses Gegucke in die Vergangenheit, das Bemühen von Statistiken, das Herbeibeten von Serien. Ebenso anstrengend anzuhören: „Besser werden“, der Nummer-Eins-Hit von Markus Anfang. Selbst in den unteren Ligen am Amazonas wird man inzwischen das Lied vom „Besser werden“ oder „können wir uns jetzt nichts mehr kaufen“ singen. Hierzulande gibt es jedoch auch nach Monaten noch nicht mal einen Remix der Platte. Na klar verstehen wir, was der Mann sagen will und damit meint, ebenso nachvollziehbar ist die Vorsicht, weil jeder weiß, dass in Dresden der Elefant mal schnell im Porzellanladen wütet. Aber bringen Scherben nicht Glück? Jetzt komme ich durcheinander. Wie erfrischend wäre mal ein Trainer, der vor dem Spiel sagt: „Die hauen wir weg!“ und dann wird das auch gemacht. Ich würde das in der Situation natürlich auch nicht machen, zumal, wenn in der Breite die Torschützen fehlen.

Nun also mal wieder die Bremer Brücke, wo weiland Fiel sowie Schahin und Koch in der Verlängerung … Aber wir wollten die Vergangenheit ja ruhen lassen. In der Gegenwart musste sich der Coach was für die defensiven Außenbahnen einfallen lassen, denn die Einladungen, die Max Kulke an Bayreuth zum Toreschießen verschickt hatte, konnten so nicht ohne Folgen bleiben. Und siehe da: Claudio Kammerknecht wurde mal eben umgeschult zum Rechtsverteidiger, während links Kyu-Hyun Park einen Einsatz bekam. Heißt aber auch: Kevin Ehlers, das einst gefeierte Talent, harrt weiter auf dem Sitzmöbel an der Seite aus. Durch das Rausrücken von Kammerknecht konnte aber so Paul Will auf die geliebte 6 zurückkehren, das Bayreuth-Experiment mit ihm als eine Art Zehner durfte man getrost als gescheitert betrachten. Zumal Niklas Hauptmann nach seiner Gelbsperre wieder mitspielen durfte.

Die erste Halbzeit: So ein bisschen ganz gut

Die Lilanen haben den Ball, aber schon nach zwei Minuten ist es Hauptmann, der als erster abschließt – aus 17 Metern vorbei. Ist es eigentlich zu glauben, dass der Mann sein letztes Tor vor über einem Jahr für die Zweite des Effzeh gemacht hat? So ein Dutzend Minuten plätschert das Spiel dahin, dann wird Christian Conteh gelbwürdig gelegt. Ahmet Arslan legt sich halbrechts den Ball zurecht. Vor einer Woche waren die Standards allesamt Grütze, doch dieser hier ist beste Sahne. Leider fliegen alle vorbei, die Haarspitzen bei Borkowski sind zu kurz, um dem Ball den letzten Drall zu verpassen – so klatscht das Ding an den Innenpfosten und segelt wieder raus. Sganndorwoniwarsein!

Fünf Minuten später schon wieder Arslan, der einen gehobenen Pass von Knipping auf die Brust bekommt und aus der Drehung abzieht. Den Schuss macht aber erst eine Osnanse via Abfälschung richtig gefährlich, sodass Philipp Kühn alles aufbringen muss, um das Ding aus dem Knick zu boxen. Dann Arslan mit Flanke auf den Kopf von Stefan Kutschke: drüber. Dann Arslan mit Pass in den Strafraum, Kutschke verpasst knapp.

Nach 20 Minuten verflacht das Spiel offensiv etwas, bleibt aber interessant, da es jederzeit ein echter Fight ist. Auf der Heimseite hat nur Tesche eine Schusschance, er kann jedoch auch aus guter Position das Tor nicht treffen. Der VfL muss zudem zeitig Köhler für Chato auswechseln.

Die letzten Minuten vor der Pause werden dann aber noch mal wild. Dynamo presst hoch und so konsequent, dass Gyamfi denn Ball gleich hergibt, bevor auch noch kämpfen muss. Borkowski bedient Arslan an der Seitenlinie, und der läuft und läuft und läuft nach innen, um von der Kreidelinie das Runde ins lange Eckige zu schlenzen. Leider gerät der angelegte Arm eines Osnabrückers dazwischen, der aber fast noch ins eigene Tor abgefälscht hätte. Kurz darauf sagt sich Niklas Hauptmann: Schnauze voll, andauernd gelegt zu werden, die sollen mal sehen. Flossen raus, Gegner niedergestreckt, Gelb kassiert. In der Nachspielminute versucht sich dann Paul Will an einer Kopie seines Distanztreffers von Ingolstadt – leider missrät das vollkommen. Aber: Der 24-jährige Biedenkopfer kommt zu alter Stärke zurück. Er trägt zwar die 28, ist aber eine geborene 6. Und nur dort fühlt er sich wohl, inmitten des Gemetzels, wo für die anderen Mannschaften die Region des Leidens beginnt. Lieber Trainer: Bitte stelle ihn nie woanders auf. Pause. Bis hierhin ist das aus Dynamo-Sicht irgendwie ganz okay, vor allem fiel kein zeitiges Gegentor. Aber woher auch: Osnabrück zeigt sich zwar insgesamt robust, doch nach vorn eher lahm.

Die zweite Halbzeit: Immer wieder Arslan

In den ersten fünf Minuten probiert es mal jeder hier und da, vor allem Hauptmann macht Conteh ein kleines Geschenk, aber der vermag es nicht auszupacken. Die Minute 52 zeigt dann aber, was diese Mannschaft kann, wenn sie ihre Talente auf den Rasen bringt, alle den Kopf oben haben und das Miteinander ganz vorn steht. Die Entstehung des (Spoiler Alert!) letztendlichen Siegtreffers entsteht aus einem Einwurf, halbrechts in der Osnabrücker Hälfte. Kammerknecht per Hand zu Hauptmann, der – gerade so – klassisch mit dem Fuß zurück. Conteh steht wenige Meter weiter vorn an der Außenlinie, bekommt den Pass und die Lilaweißen tappen in die Falle. Gleich zu dritt stürzen sie sich wie die Geier auf den Dribbelkünstler, der ihnen diesmal aber nicht den Gefallen tut, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen.

Denn in die sich nun weit öffnende Lücke ist Hauptmann gelaufen und Conteh schnibbelt ihm mit der Fußspitze über die verdutzten Osnasen hinweg den Ball genau in die Füße. Hauptmann steht jetzt vor dem Strafraum nur noch einer im Weg. Und was macht die schwarzgelbe 27? In einer formschönen Bewegung aus der Annahme heraus überlupft er sich selbst und Chato gleich mit, schickt diesen dann mit aller fairen Robustheit in die Grashalme, sieht Arslan in der Mitte allein herumlungern. Kurz geschaut, mit dem linken Fuß genau in den Lauf der Sechs und zum Finale gibt es den Arslan-Klassiker: rechter Innenrist mit raffinierter Wucht und der Ball kriegt die Kurve von der Mitte nach links außen. Da kann der Keeper sich strecken wie er will – den hält niemand.

Keine fünf Minuten später dann eine Schrecksekunde, als Drljaca den Kobel versucht. Die Annahme einer schlichten Rückgabe verpasst der Goalie, lenkt den Ball aber dabei zur Seite und nicht ins eigene Netz. Überhaupt hat der bis hierhin fast arbeitslose Torhüter diesmal ein paar Schnitzer drin bei Abschlägen und Distanzbällen. Und die Niedersachsen kommen jetzt. Wenn der Plan bis hierher war, nur nicht zu verlieren, muss nun aber wenigstens ein Tor her. Und sie probieren es: In nur 12 Minuten hat allein Tesche dreimal einen Treffer auf dem Fuß, dazu hat auch Simakala eine gute Rebound-Situation. Aber wie in einer Aufreihung von „Pleiten, Pech und Pannen“ wird alles samt und sonders versemmelt. Nur einmal muss der Dynamo-Torwart das Leder wegboxen, alles andere fliegt links und rechts vorbei. Erst in der 60. Minute mal etwas Befereiung: Conteh kontert mutterseelenallein über den Platz, doch am Ende ist der Winkel zu spitz: gehalten.

Jetzt folgen 20 Minuten Druck der Heimelf. Die Schublade mit der Aufschrift „Angst und Bange“ wird geöffnet. Aber so sehr der VfL auch anläuft und gute Chancen kreiert, so macht es die SGD um den Sechzehner herum extrem eng. Auf den jeweils letzten Metern kommt Osnabrück nicht durch, und tut sich doch ein Spalt auf, versagen die Nerven. Erst in der 80. tauchen die Gelbhemden wieder offensiv auf, als Kutschke per Kopf auf Arslan ablegt, der knapp über den Balken schießt. Ab der 88. Minute wird wild gewechselt, Osnabrück geht jetzt in den Panikmodus, bekommt aber nichts mehr auf die Rille. Abpfiff. Dynamischer Jubel.

Fazit

Okay, Osnabrück liegt uns wohl doch. Ich nehme meine Eingangsworte zurück. Schade nur, dass am Vortag der FSV in Wiesbaden nicht durchgehalten hat. Und: Alle, die rechnen können, wissen, wo Dresden stehen könnte mit den vergeigten vier Punkten aus den Partien gegen Köln und Bayreuth (über die Hinrunde legen wir mal den berühmten Mantel des Schweigens). Gegen Bayreuth und Zwickau hat man zudem gesehen: Ohne Niklas Hauptmann stockt der Motor im Mittelfeld gewaltig. Zu allem Überfluss zeigt der gesamte Sturm Abschlusschwächen oder kommt erst gar nicht in die Situationen: Gegen die Zweite von Dortmund fielen die letzten beiden Treffer von Kutschke, Borkowski netzte Mitte Februar gegen Köln ein und allesamt – also auch Conteh – teilten sich das Schützenfest am 4. Februar gegen den HFC. Ansonsten hieß es meist: Arslan, Arslan, Arslan. Das kann sich rächen, wenn der mal ausfallen sollte. Und dass die „zweite Reihe“ nur bedingt Qualität nachlegen kann, hat das Ausscheidungsspiel gegen Zwickau gezeigt: Offensiv sind Schaeffler, Gogia und auch Borkowski momentan keine oder nur bedingt wirkliche Optionen und Kutschke muss zu oft hinten aushelfen. Dazu kommt die Abschlussschwäche von Conteh. Hinten links wiederum ist die Baustelle mit Park noch nicht so begradigt, wie man sich das wünschen würde, was auch an seiner mangelnden Wettkampfpraxis liegen kann.

Mann des Spiels war für die meisten natürlich Ahmet Arslan, und man kann niemandem diese Sichtweise verdenken. Für mich war der herausragende Akteur aber Niklas Hauptmann, nicht nur wegen seiner sehenswerten Torvorbereitung. Denn Hauptmann ist das Rätsel auf dem Platz, dessen Code kein Gegner knacken kann, weil seine Spielweise voller Überraschungen ist, unvorhersehbar. Es muss ein Albtraum sein gegen diese 27 spielen zu müssen, weil er mit seinen Haken und seinem Geschlängel nicht nur Lücken reißt, sondern auch Bälle gewinnt. Der Mann könnte jetzt – mit 26 – in die Form seines Lebens kommen. So: Jetzt kommt Essen. Nur nicht dran verschlucken.
Uwe Stuhrberg

VfL Osnabrück vs. SG Dynamo Dresden
2. April 2023, Anstoß: 13 Uhr
Tor: 0:1 Arslan (52.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Kammerknecht, Lewald, Knipping, Park, Will, Hauptmann (88. Akoto), Arslan (90.+3 Ehlers), Conteh (88. Lemmer), Borkowski (90. Meier), Kutschke (90. Schaeffler)
Ohne Einsatz: Broll, Gogia, Kulke, Oehmichen
Schiedsrichter: Mitja Stegemann
Fans: 15.741
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