Das VARsagen oder Der 40-Minuten-Rückfall
Dynamo Dresden schlägt sich erst selbst und wird später benachteiligt
Vor zwei Wochen war an dieser Stelle zu lesen, dass es wichtig sein wird zu sehen, wie Dynamo Dresden nach dem Reboot 2020 mit Rückschlägen umgehen wird. Der Fall ist nun eingetreten, auch wenn das, wie Trainer Markus Kauczinski nach dem Spiel gesteht, etwas eher passiert ist als gehofft. Dabei ist die Geschichte dieses Spiels eine von Hoffnung und Tränen, von Götterdämmerung und Niedergeschlagenheit, von schlechter Komödie und bitterer Tragödie. Fußball eben wie wir ihn lieben, wenn nur, ja wenn nur …
Doch von Anfang an. Zunächst hat der Coach im Team getauscht: Burnic kehrt nach seiner Gelbsperre zurück, ebenso Brian Hamalainen nach überstandenem Infekt. Dazu bekommt Josef Hušbauer sein Startelfdebüt, Niklas Kreuzer hingegen hat es nicht einmal in den Kader geschafft. Die Hoffnung nach der aus SIeben-mach-drei-Aufholjagd der letzten 14 Tage ist riesig, „Feuer frei“ von Rammstein als Einlaufmusik gibt das Motto des Abends vor.
Die erste Halbzeit: Der bittere Gruß aus der Hinrunde
Nach vier Minuten darf man glauben, dass hier und heute alles richtig laufen wird. Mit einem ersten schnellen Dresdner Angriff kommt der Ball über Patrick Ebert in den Strafraum, in höchster Not kann Darmstadt klären. Direkt danach muss Gegner-Keeper Schuhen alles riskieren, um nach einem herrlichen langen Ball von Burnic den Abschluss von Wahlquist am linken Pfosten zu parieren, doch das Runde landet vor den Füßen von Hušbauer. Und der ballert nicht einfach blind drauf, sondern nimmt aus zwölf Metern genau Maß und vollendet mit gutem Auge und dem linken Fuß halbhoch ins Netz. „Jesusmaeriaundjosef“ hätte meine Oma gerufen. EIne so zeitige Führung! Was macht man denn damit?
Leider nichts. Denn irgendwie hat nach mit dem Einszunull der Virus „Dasläuftschon“ in den Köpfen eingenistet, was bereits vier MInuten nach dem ersten Tor bestraft wird. Ein ganz einfacher Pass reicht, damit Paik vollkommen blank an der heimischen Sechzehner-Grenze auftaucht und zum Ausgleich trifft. Hat jemand Hamalainen und den zuletzt so gelobten Nikolaou mit dem Phaser „auf Betäubung“ getroffen? Schlimmste Ahnungen aus dem vergangenen Herbst steigen auf. Aber es ist nur das 1:1 und es sind noch über 80 Minuten Zeit. Denkste!
Denn wiederum nur vier Minuten später führen die Gäste. Wer das Heidenheim-Spiel noch vor Augen hat, kannsich erinnern, dass Kevin Broll zweimal den Ball hochgefährlich fehlgepasst hat. Mit einigem Aufwand entstanden daraus keine Tore. Diesmal ist das anders. Denn sein Abschlag in die MItte bekommt zuviel Spin nach links, wo Honsak alle Zeit hat, den mittigen Dursun anzuspielen, der Kempe einsetzt, von dem man ja weiß, dass er auch aus der Distanz einen satten Abschluss hat. Hier sind es knapp 20 Meter. Drin. Da muss die Frage erlaubt sein: Ist Kevin Broll das Dauerlob aus der Hinrunde in den Kopf gestiegen? Angesichts solcher – wiederholten – Aktionen, konterkariert er seine eigenen Ausagen über seine Mitspieler zum Ende des vergangenen Jahres.
Jetzt rucken vor allem Ebert und Schmidt an, doch einmal steht der Neuner im Abseits, einmal zieht er ein Offensivfoul. Auf der Gegenseite verzieht Ex-Dynamo Dumic knapp. Es geht jetzt rauf und runter, aber die Hessen haben die verheißungsvolleren Aktionen, vor allem als Broll in allerhächster Not vor Dursun retten muss. Auch hier wurde die Dresdner Defensive auf einfachste Weise überspielt. Bei offensiven Dynamo-Aktionen ist es in memoriam 2019: der letzte Pass ist Murks, der Abschluss ungenau, die Übersicht fehlt. Auch die erfahrenen Hušbauer und Terrazzino sind kaum zu sehen. Und als man hofft, mit dem knappen Rückstand in die Pause zu gehen, kommt der SV noch mal: Schon wieder vergessen Nikolaou und Hamalainen ihre Aufgaben, sodass Dursun nach dem 1:1-Schema freigespielt wird und vollstreckt. Eine Kopie des ersten Gegentores so zuzulassen ist mit den Wort Fahrlässigkeit noch liebevoll umschrieben. Ein zufällig vorbeispazierender Rentnerausflug hätte das besser verteidigt.
Aber man klammert isch ja an einiges: Denken wir an das letzte Spiel gegen St. Pauli. Aber wie Nico Semsrott einmal sagte: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt. Zumal Broll in der Schlussminute der ersten Hälfte einen weiteren Abspielfehler draufsetzt.
Die zweite Halbzeit: Video kills the Ausgleichstor
Zur zweiten Halbzeit kommt Ondrej Petrak für Burnic (ich persönlich hätte eher Hamalainen draußen gelassen). Aber auf jeden Fall zeigt sich Schwarzgelb nun deutlich besser. Schon nach drei Minuten versucht es mal wieder Hušbauer aus etwa 20 Metern, aber er bekommt keinen Druck auf die Kugel. Ein ganz andere Frage ist: Warum ist neben Schmidt Ebert dafür eingeteilt, den Gegner hoch anzulaufen? Ja, er ist aggro, aber eben nicht mehr der Schnellste und so reibt sich der Berliner ziemlich auf. Besser funktioniert er als dominante 10 wie in der 57. Minute, als er auf die Darmstädter Endzone zuläuft und perfekt in den Fuß des flinken Horvath rechts raus spielt. Der sendet sofort eine direkte Flanke auf Schmidt, der sich robust mit dem Kopf durchsetzt und das Runde ebenso platziert wie wuchtig ins Netzt schädelt. 2:3 und das Rund ist außer sich. Ein Tor als Blockadelöser.
Dresden kontert nur drei Minuten später, wieder über Ebert. Der legt quer in den Lauf von Horvath –und der kleine Österreicher hat nur noch den Torwart vor sich. Für den sofortigen Schuss fehlt ihm die Traute, dann geht er noch zwei Schritte, ist dann zu nah an Schuhen und bekommt den Ball nicht an ihm vorbei. Kurz darauf scheitert Schmidt mit einem Kopfball am Torwart.
Aber auch die Darmstädter stecken nicht auf Eine Kempe-Ecke wird flach in den verwaisten Raum vor der Abwehr gespielt, von wo Holland den Ball an die Latte nagelt. Nach 70 Minuten kommt Simon Makienok für Horvath, somit hat Dynamo 35 Zentimeter mehr auf dem Platz. Nur Sekunden später ein weiter Freistoß von Ebert an den langen Pfosten, gleich drei Blaue gehen auf den dänischen Riesen, während das Leder so überraschend am Fuß von Honsak landet, der unfreiwlllig für Schmidt auflegt. Aus Nahdistanz erzielt er sein zweites Tor. Ausgleich! Ausgleich! Ausgleich! Die SGD ist wieder da! Nope.
Der Ball liegt schon am Anstoßpunkt, da kommt das Zeichen aus dem Videobunker. Und Michael Bacher geht zum Monitor, während sich alle Welt fragt, was genau da gewesen sein soll. Schlussendlich nimmt er zum Entsetzen (fast) aller das Tor zurück. Kein Mensch im Stadion oder vor dem TV-Geröt hat dafür eine Erklärung. Das minimale Abseits von Nikolaou kann es nicht gewesen sein, denn er hatte mit der Szene nicht im Ansatz etwas zu tun, der Ball kam zudem vom Gegner. Ein Foul ist auch beim zwanzigsten Mal Ansehen nicht zu erkennen. Der Referee selbst verweigert nach dem Spiel ein Wort zu seinem Weg der Erkenntnisgewinnung. Erinnerungen an die Videosituation in Aue werden wach, als Männel in Hartmann hineinspringt, was als Foul des damaligen Dresdner Kapitäns umgedeuet wurde. Was für ein erneutes VARsagen! Als die Bildschirmcrew uns die drei Punkte gegen Wehen-Wiesbaden rettete, gab es dafür wenigstens eine – wenn auch denkwürdige – Regelerklärung. Hier gibt es keine. Und wenn man zurückliegt, wächst mit einer solchen Fehlentscheidung der Psycho-Rucksack um ein Vielfaches.
Aber damit nicht genug. Einen schnellen Pass in den blauen Straffraum versucht Makeniok zu erlaufen und prallt dabei Fuß voraus in Schuhen. Sofort zieht der Schiri Rot. So kann man entscheiden. Aber muss man auch? Makeniok ist im Zweikampf mit seinem Gegenspieler in vollem Speed und benötigt für zehn Meter gefühlt nur zwei Schritte. Schuhen kommt den beiden entgegengerauscht. Nur mit Mühe springt der Karlsruher Verteidiger über seinen Torwart, Makeniok schafft es nicht. Das ist unglücklich, sieht auch nicht gut aus, aber mit etwas Fingerspitzengefühlt, ist es Dunkelgelb (hier wurde ja eben ein Tor sehr zweifelhaft aberkannt). Ein schlimmes Debüt für den Dänen, der nun auch fehlen wird. Hušbauer regt sich auf und sieht Gelb, wenig später steht auch er nach einem Mittelfeldfoul kurz vor dem Platzverweis. Auch Ebert bekommt Gelb wegen einer unhöflichen Meinungsäußerung – es ist seine zehnte.
Jetzt wird das Spiel, was man landläufig vogelwild nennt. Dursun scheitert an Broll, Terrazzino schlenzt knapp vorbei, Honsak trifft den Pfosten und Nikolaou bekommt in der Nachspielzeit aus bester Position den Ball nicht an Schuhen vorbei. Vorbei ist dann auch das Spiel, das Dynamo Dresden in der ersten Halbzeit verloren hat, in der zweiten Hälfte dann aber mit „Unterstützung“ des „Unparteiischen“ nicht zumindest ausgleichen konnte.
Fazit: Es war ein janusköpfiges Auftreten von Schwarzgelb. Zum einen hat es gezeigt, dass die defesiven Probleme längst nicht beseitigt sind. Zum anderen war sichtbar, dass die Mannschaft auch nach einem Rückstand zu einer Reaktion fähig ist, die fast wenigstens zu einem Punkt gereicht hätte. Zudem hat der KSC sein Spiel beim HSV verloren. Aber auf die anderen muss man noch nicht sehen. Bei St. Pauli muss nun gewonnen werden. Und dann kommt Bochum …
Uwe Stuhrberg
SG Dynamo Dresden vs. SV Darmstadt 98
7. Februar 2020, Anstoß: 18.30 Uhr
Ergebnis: 2:3
Tore: 1:0 Hušbauer (4.), 1:1 Paik (8.), 1:2 Kempe (12.), 1:3 Dursun (43.), 2:3 Schmidt (57.)
Dynamo Dresden: Broll, Wahlqvist, Ballas, Nikolaou, Hamalainen, Ebert, Hušbauer, Burnic (49. Petrak), Terrazzino, Horvath (70. Makeniok), Schmidt (85. Jeremejeff)
Ohne Einsatz: Wiegers, C.Löwe, Müller, Atik, Klingenburg, Donyoh
Schiedsrichter: Michael Bacher
Zuschauer: 26.243
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