Von traurigen Wahrheiten vertrieben
Das Langzeitprovisorium des Lügenmuseums in Radebeul-Serkowitz erscheint der Stadt nicht länger haltbar
Wenn man zwischen Radebeul und dem Dresdner Elbepark durch Serkowitz radelt, verändert sich der bislang lächelnde Blick herüber zum 700 Jahre alten Gasthof ins Melancholische. Wohl klingelt und blinkt es noch, wenn man durch die niedrige Eingangstür die Zauberwelt des Lügenmuseums betritt und von Reinhard Zabka mit einigen surrealen Sätzen empfangen wird. Eine Wunderkammer haben humorbereite Kunstverständige diese Welt der skurrilen Arrangements, Installationen und Geräte genannt, die an die Sinnlosmaschinen des Schweizers Paul Tinguely erinnern. Der Trägerverein heißt „Kunst der Lüge“, und das trifft die schönste Variante der Verfälschung, die fantastische Überhöhung nämlich.
Melancholie bis Empörung deshalb, weil nüchternes Kalkül das Schicksal des Lügenmuseums besiegeln soll. Nach zwölf Jahren hat die Stadt Radebeul zum 31. August das Domizil gekündigt. Nicht die erste Existenzkrise, aber gewiss die ernsteste. 2012 begann es hoffnungsvoll. Die Stadt Radebeul hatte schon 2008 den leerstehenden historischen Gasthof gekauft. Um seine Sanierung und Restaurierung zu ermöglichen, vor allem aber, um zu verhindern, dass er bei einer Auktion in begehrliche Nazi-Hände fiel.
Hier fand mit Reinhard Zabka ein Künstler aus der Off-Szene der DDR Asyl, der in Radebeul schon als „Richard von Gigantikow“ bekannt war. Zum jährlichen Herbst- und Weinfest baute er mit Helfern auf den Elbwiesen aus Paletten, Holzlatten und Holzresten ein Labyrinth auf, das mit philosophisch-poetischen Sinnsprüchen gespickt war. Zum Finale am Sonntagabend ging es stets spektakulär in Flammen auf. „Gigantikow“ ist wiederum abgeleitet vom brandenburgischen Ort Gantikow im Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Hier war das Lügenmuseum bis 2011 in einem Gutshof zu Hause, bevor ebenfalls Immobilieninteressen zuschlugen. Mit der drolligen Sammlung hatte Zabka 1990 begonnen.
Ein Obdach auf Zeit, eine mietfreie Übergangslösung, betont Radebeuls Oberbügermeister Bert Wendsche bis heute. Ziel der kunstfreundlichen Stadt war und ist es, einen Investor zu finden, der das Gebäude saniert und mit dem Lügenmuseum möglichst ein Arrangement für dessen Verbleib in Serkowitz trifft. Bei einer versuchten Ausschreibung 2014 wurde der einzige Bewerber deshalb abgewiesen, weil er den Gasthof zu Wohnzwecken umbauen wollte.
Reinhard Zabka hätte den Gasthof am liebsten selbst übernommen, schrieb Konzepte und reichte drei Bewerbungen ein. Der Verein favorisierte einen Mietkauf oder einen Erbpachtvertrag. Über die drei Vorschläge wurde nicht offiziell gesprochen. „Wir haben das Gefühl, dass unsere Sicht nicht wahrgenommen wurde und sind erstaunt, dass in einer Kulturstadt unsere Stimme nicht gehört wird“, schrieb der Verein nach Bekanntwerden der Kündigung an den Oberbürgermeister und die Stadträte.
Das Lügenmuseum kostet die Stadt nichts
Provisorien halten bekanntlich am längsten, aber schon 2022 schrillten die Alarmglocken. Radebeul schrieb nach einstimmigem Stadtratsvotum das Objekt erneut aus. Keine Chance für andere Modelle, wie sie den ehrlichen Lügenfreunden vorschwebten. Umso weniger, als ein Gutachten die Kosten einer Sanierung auf dreieinhalb Millionen Euro beziffert hatte. Zugleich sank der Schätzwert des Grundstückes auf 300 000 Euro.
Reinhard Zabka setzt dem eigenen Leistungen entgegen. 80 000 Stunden freiwillige Leistungen, 400 000 Euro Fördergelder von Land und Bund, 100 000 stecken in laufenden Projekten, 200 000 Euro sollen ins Marketing geflossen sein.
Zudem können er und Lügenfreunde sich über mehrere Anerkennungen freuen. Die Stadt Radebeul verlieh ihm ihren Kunstpreis, das Lügenmuseum steht nach wie vor im jetzt vom Stadtrat bestätigten Kulturentwicklungsplan. Preise gab es vom Sächsischen Landeskuratorium Ländlicher Raum und von der Stiftung Engagement und Ehrenamt des Ostbeauftragten Carsten Schneider. Für den Neulandgewinner-Preis ist das Museum nominiert. Die Landesstelle für Museumswesen verweigert dem magisch funkelnden, blinkenden und klingelnden Haus zwar die Anerkennung als klassisches Museum. Als Soziokulturelles Zentrum darf es aber gelten.
Retter Prinz Rupi resigniert
Im Frühjahr dieses Jahres schien die Erlösung zu nahen. Der Berliner Autor und Produzent Wilhelm Ruprecht Frieling ist ein ähnlich bunter Vogel und Eigenbrötler wie Reinhard Zabka. Die nach seinem Pseudonym benannte Prinz-Rupi-Stiftung wollte den Gasthof tatsächlich kaufen, aber auch eigene Vorstellungen mit dem bestehenden Lügenmuseum verknüpfen. Doch kurz vor Vertragsunterzeichnung zog Frieling überraschend zurück. „Seitens des Betreibers fehlt bislang die Bereitschaft, gemeinsam mit Partnern neue Wege zu gehen“, heißt es in der Pressemitteilung vom 17. Mai.
Solche neuen Wege sollten das Lügenmuseum bekannter machen, das in den zwölf Serkowitzer Jahren etwa 90 000 Besucher verzeichnete. „Es steht fest, dass höhere Besucherzahlen erforderlich sind, um die Relevanz der Einrichtung zu unterstreichen“, heißt es in der Mitteilung weiter. Dem sollten Sonderausstellungen, Lügen-Festspiele und Aufklärungsveranstaltungen zum Thema Fake News dienen.
Das muss den gleichfalls ein bisschen eitlen, zumindest im Rathaus als sperrig geltenden und nun schon über siebzigjährigen Reinhard Zabka tief getroffen haben. Er hält entgegen, Prinz Rupi habe nicht in den maroden Gasthof investieren wollen. „Es gab keine langfristige Perspektive“, hält er fest. „Narzisstisch gestörte Persönlichkeiten wollen gefeiert werden – unsere Arbeit war da sekundär“, raunt er dann noch. Nach Angaben von OB Wendsche hat Zabka nicht einmal ein Mietangebot von 850 Euro für sieben Museumsräume und Wohnung akzeptiert.
Umzug in die Goebbels-Villa Brandenburg?
Die Stadt kündigte daraufhin und will nach Leerzug den Gasthof neu ausschreiben. Oberbürgermeister Wendsche betont die künstlerische Wertschätzung des Museums, die von den wirtschaftlich-finanziellen Interessen und Möglichkeiten der Stadt zu trennen sei. „Wir müssen aufpassen, dass derjenige, der eine Sache gut voranbringen wollte, nicht am Ende der Gelackmeierte ist!“
Zur Einwohnerfragestunde im Stadtrat am 12. Juni war die Bestürzung unter den Sympathisanten der Kunst der Lüge zu spüren. Auf dem Flur wurde anschließend diskutiert, ob man nicht durch Crowdfunding oder eine große Solidaritätsaktion die 300 000 Euro aufbringen könne, um das Grundstück zu kaufen. „Das hat bisher nie funktioniert, warum sollte es heute funktionieren“, glaubt OB Wendsche nicht an ein solches „Wolkenkuckucksheim“. Immerhin gesteht er zu, dass der Gasthof nicht auf einen Schlag durchsaniert werden müsse.
Reinhard Zabka schlägt versöhnlichere Töne an, dementiert, dass er und die Stadt heillos zerstritten seien. Denn am 30. Juli soll es eine letzte Gesprächschance geben. Bert Wendsche erklärt, dass er dabei nur noch zu einer Verschiebung der ohnehin langen vierteljährlichen Kündigungsfrist bereit sei, „aber nicht bis zum St.-Nimmerleins-Tag“. Geschieht kein Wunder, muss das Lügenmuseum erneut auf Quartiersuche gehen. Schon Ende Mai teilte Reinhard Zabka mit, dass er sich um die leerstehende ehemalige Villa des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels am Brandenburger Bogensee bewerben will. Nur mit einer „vollkommen irren Nutzung“ könne man etwas gegen die belastete Vergangenheit des Objekts tun.
Michael Bartsch