Das Lügenmuseum und die bittere Wahrheit
Das Domizil der exotischen »Wunderkammer« in Radebeul-Serkowitz soll verkauft werden
Bevor der Rundgang durch das Labyrinth des Alten Gasthofes Serkowitz startet, erzählt Reinhard Zabka eine kleine Lügengeschichte über die Gründung des Museums, die bis auf Hildegard von Bingen zurückgehen soll. Was die Besucher dann erwartet, haben Künstlerkollegen schon als »Wunderkammer« bezeichnet. Überall rattert, klingelt, leuchtet und dreht sich etwas. Es sind skurrile Apparate und Mechanismen, die an die Sinnlos-Maschinen des berühmten Schweizers Jean Tinguely erinnern. Zwischen den Verspieltheiten entdeckt man Inseln mit Kunstwerken, die diese Bezeichnung wirklich verdienen.
Liebenswürdige Miniaturen bilden die eine Seite, DDR-Kuriositäten und Erinnerungen an ihre widerspenstigen Künstler die andere. Auch Videointerviews mit Akteuren der friedlichen Revolution 1989 sind über eine Klingelknopf-Tastatur abrufbar. Ein wiederentdeckter Raum aus einem 1976 besetzten Haus neben dem Erfurter Augustinerkloster ist mit seiner Kunstsammlung originalgetreu nachgebaut worden. Auch ein Kapitel in der Biografie Reinhard Zabkas. Seiner Fantasie entsprechend, kann man hier über die umgebauten Register eines Harmoniums typische DDR-Geräusche mixen.
Doch das wundersame Laboratorium auf halbem Weg zwischen Dresden und Radebeul wird nach zehn Jahren absehbar sein Domizil verlieren. Nach Auskunft von Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche bereitet die Stadt möglichst bis Sommer eine Ausschreibung für den mit etwa 700 Jahren ältesten Gasthof der Lössnitz vor. Einen entsprechenden Auftrag beschloss der Stadtrat einstimmig, was Wendsche im Bürgermeisterwahljahr 2022 bemerkenswert findet. Gesucht wird ein potenter Investor. Denn ein zuvor erstelltes Gutachten ergab gerade mal einen symbolischen Gebäudewert von einem Euro, ein Bauzustandsgutachten aber einen Investitionsbedarf von 3,5 Millionen Euro.
Es ist nicht die erste Ausschreibung, nachdem Radebeul 2007 für ganze zehntausend Euro den denkmalgeschützten Gasthof bei einer Zwangsversteigerung erwarb. Einmal, um das historische Gebäude zu retten, zum anderen aber auch, um es vor Neonazis zu retten, die solche Immobilien suchten, um ein Netz von Stützpunkten aufzubauen. »Kaufen, sichern, wieder in gute Hände geben mit dem Ziel einer Wiedereröffnung als Gasthof«, beschreibt der Oberbürgermeister rückblickend die Rolle der Stadt als Zwischenerwerber. Immerhin investierte Radebeul in eine Notsicherung des Daches und in die Elektroinstallation.
Asyl für einen in Brandenburg Vertriebenen
Vier Jahre später kommt jener Reinhard Zabka mit seinem Lügenmuseum ins Spiel, den man in Radebeul schon unter einem Pseudonym kannte. Als »Richard von Gigantikow« baute er zum jährlichen Herbst- und Weinfest auf den Elbwiesen Altkötzschenbroda aus Paletten, Holzlatten und Holzresten ein Labyrinth auf, das mit philosophisch-poetischen Sinnsprüchen gespickt war. Zum Finale am Sonntagabend geht es stets spektakulär in Flammen auf.
»Gigantikow« ist wiederum abgeleitet vom brandenburgischen Ort Gantikow im Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Hier war das Lügenmuseum bis 2011 in einem Gutshof zu Hause, bevor ebenfalls Immobilieninteressen zuschlugen. Mit der drolligen Sammlung hatte Zabka 1990 begonnen. Er ist eine der bunten Blumen der legendären DDR-Szene des Prenzlauer Berges in Berlin. Die Idee eines »Lügenmuseums« meint nicht bewusste Irreführung, sondern Lüge als Synonym für Fantasie, für die Welt des vermeintlich Unwirklichen. Noch ein bisschen mehr als ein »Kuriositätenkabinett« oder eine »humorvolle Großinstallation«, von denen in professoralen Referenzen die Rede war.
Nicht nur kluge Referenzen aus dem Preußischen von der damaligen Kulturministerin Johanna Wanka oder dem Präsidenten der Berliner Akademie der Künste Klaus Staeck brachte Zabka mit, als er 2011 in Radebeul anklopfte. Auch eine an die Stadt gerichtete warme Empfehlung des Museumsverbandes Brandenburg war darunter.
Radebeul kam dem »obdachlos gewordenen Künstler«, wie sich OB Wendsche ausdrückt, zunächst bereitwillig entgegen und stellte ihm den leerstehenden Gasthof Serkowitz als »Obdach auf Zeit« zur Verfügung. Über diese treuhänderische Nutzung hinaus könne Reinhard Zabka bei aller Wertschätzung seiner Kunst aber keine Unterstützung verlangen. Deshalb schob die Stadt auch höchstens einmal einen Tausender an Projektförderung für den »Kunst der Lüge e.V.« herüber. Der war am Objekt zumindest um Erhaltungsarbeiten bemüht.
Keine wirkliche Heimat für das Fantasiemuseum
Dass aber Sachsen nicht das aufgeklärte Brandenburg ist und seine Kunstliebe eine sehr selektive, zeigte sich bald im Umgang mit dem Exoten. Der damalige Radebeuler Kulturamtsleiter Alexander Lange bat im März 2012 die Kulturstiftung Sachsen um eine Stellungnahme zur Förderwürdigkeit des Lügenmuseums. Mit Unterschrift des Direktors Ralph Lindner fällte der Autor ein vernichtendes Urteil. Keine tragfähige künstlerische Strategie, drohende Imageschädigung für die Stadt Radebeul, eine »schlechte Parodie auf die Kulturstadt Dresden«, Besucher kaum zu erwarten.
Der Maler und frühere Dresdner HfBK-Rektor Johannes Heisig zerpflückte daraufhin die Unterstellungen von »Rückwärtsgewandheit« und einer »skurril anmutenden Ansammlung von Flohmarkt-Exponaten«. Das stattdessen geforderte konsumorientierte Streben nach »Premiummarken« grusele ihn, schrieb Heisig an die Kulturstiftung. Fünf Jahre später wurde Reinhard Zabka bei der Landesstelle für Museumswesen mit ähnlichen Urteilen konfrontiert, als er sich 2017 für den sächsischen Museumspreis bewerben wollte.
Schwerer wiegt nun der drohende Verlust der Unterkunft. Schon 2014 hatte Radebeul eine Ausschreibung versucht. Der einzige Bewerber aber wurde abgelehnt, weil er den historischen Serkowitzer Gasthof zum Wohnhaus umbauen und in den einzigartigen Tanzsaal eine Zwischendecke einziehen wollte. Nun also der erneute Versuch, weil eine Sanierung drängt. »Die wollen den Gasthof loswerden, aber nicht an uns«, bringt es Zabka auf den Punkt. Er darf sich zwar bewerben, hätte aber gegen potente Käufer vermutlich keine Chance
Eine letzte Chance sieht er stattdessen in Appellen, in einer Petition und im Verweis auf die »Kulturleistung« des Museums und seine gute Annahme. »Hierher kommt ein anderes Klientel als zu Wackerbarth!« Nicht nur die Altersklasse des mittlerweile 72-jährigen Künstlers, auch ein junges Besucherpaar im Studentenalter scheint ihm Recht zu geben. »Man kann in dieses Museum dreimal hineingehen und würde immer etwas Neues entdecken!« Etwas Neues hat auch Reinhard Zabka entdeckt. Er dreht jetzt »Tatort Radebeul«–Filmclips, nun sogar von der Kulturstiftung gefördert. Einen davon mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth, der er bei ihrem Besuch in Dresden im April die Petition übergab.
Einen Achtungserfolg immerhin haben er, seine Dorota und der Verein errungen. Wenn sie schon das Museumswesen nicht ernst nimmt, hat sie doch zumindest der Landesverband Soziokultur aufgenommen. Das Misstrauen gegenüber einem Erben von Dada- oder Merzkunst steckt wohl eigentlich hinter dem mangelnden sächsischen Engagement. Und so sind der Eigenbrötler Reinhard Zabka und seine Freunde wieder auf der Suche nach einem neuen Domizil, im Schloss Rothschönberg der Gemeinde Klipphausen, in Königstein, in der Lausitz. Radebeuls Oberbürgermeister Wendsche macht sich weniger Sorgen: »Seine Installationen haben in Brandenburg und in Serkowitz funktioniert, warum nicht auch an einem anderen Ort? Sie sind nicht an das Haus gebunden.«
Michael Bartsch