Balance in feiner Pedanterie
Thielemann beginnt mit der Staatskappelle den Beethoven-Zyklus
Gemeinhin wird Beethovens Geburtstag auf den 16.Dezember 1770 datiert. Man folgert das aus dem dokumentierten Datum seiner Taufe am 17. Dezember 1770. Der Bonner Komponist wäre also im nächsten Jahr 250 Jahre alt geworden, weshalb 2020 allenthalben als Beethoven-Jahr ausgerufen wird. Christian Thielemann hat sich aus diesem Anlass vorgenommen, mit der Staatskapelle Dresden sämtliche Beethoven-Sinfonien einzuspielen. Den Auftakt machten in einer Sonntags-Matinee am 15. Dezember die ersten drei Sinfonien.
Beethoven, das fünfte von sieben Kindern war von seinem dem Alkohol zuneigenden despotischen Vater als Wunderkind auserkoren und mußte schon im Alter von vier Jahren stehen, weil er sitzend nicht an das Instrument heranreichte, Klavier spielen. Konzertreisen hatten zwar damals noch nicht den gewünschten Erfolg. Aber Beethoven fiel Joseph Haydn auf einer Konzertreise nach Bonn auf. Dieser nahm ihn als Lehrer unter seine Fittiche und beeinflußte Beethoven stark. Die ersten beiden Sinfonien atmen daher auch den Geist Haydns, auch wenn Beethoven im Zeitpunkt ihrer Komposition bereits nicht mehr sein Schüler war. Die Struktur der Haydnschen Sinfonien, vor allem der Londoner Schaffensperiode (Sinfonien 93 bis 104), findet sich in Ansätzen in den ersten beiden Sinfonien wieder. Vor allem die 97. Sinfonie Haydns wirkt prägend auf die 1. Sinfonie Beethovens. Beethoven hatte schon viele Sonaten, Trios, Quartette und andere kammermusikalische Werke komponiert, bevor er sich im Alter von 29 Jahren an die erste Sinfonie wagte. Daran mag es liegen, daß er für die ersten Sinfonien die Streicherbesetzung als Mehrfach-Quintett (1. und 2. Violine, Viola, Cello und Kontrabaß) vorgab, dazu je 2 Trompeten, Hörner, Fagotte, Klarinetten, Oboen und Flöten und die Pauken. In der dritten Sinfonie kam ein weiteres Horn hinzu.
Wie bei Haydn beginnt auch in der 1. Sinfonie Beethovens das Allegro con brio mit einigen Takten eines Adagio molto in anderer Tonart (von F-Dur über G-Dur) zum C-Dur Hauptthema überleitet. Bereits typisch Beethoven zeigt sich hier das Einander-Zusingen der Instrumentengruppen, hier vor allem Flöte und Oboe. Im zweiten Satz, einem lyrischen Andante wird das kurze Hauptthema von den einzelnen Instrumentengruppen imitierend nachgesungen. Der Aufbau entspricht noch einem Haydnschen Sonatensatz mit Hauptthema, Seitenthema und Nachgesang, knapper Durchführung und Reprise. Den dritten Satz bezeichnet Beethoven, wohl noch von der Mannheimer Schule beeinflußt, als Menuett. Hier wird aber allenfalls ein Tänzeln noch angedeutet, während das Allegro molto e vivace mit rhythmisch zündendem Tempo bereits die neue Zeit anzudeuten scheint. Dazu kontrastiert das eher schlichte eingebettete Trio. Das kurze Finale des vierten Satzes, auch ein durch ein Adagio eingeleitetes Allegro molto e vivace aus einer einfachen Tonleiterfigur entwickelt, verbindet Haydnsche und Mozartsche Einflüsse mit kraftvoller Lebensfreude, einem schwungvollen Stürmen zu neuen Horizonten.
Auch die 2. Sinfonie – in gleicher Besetzung - beginnt in Haydnscher Prägung mit einem Allegro con brio, dem ein kurzes Adagio vorgesetzt ist. Der zweite Satz, das Larghetto, liefert mit seiner eingängigen Eingangsmelodie einen untrüglichen Nachweis Beethovenscher melodischer Begabung. Immer wieder wird diese Melodie von anderen Instrumentengruppen aufgenommen und nachgesungen. Nach einer weiteren Melodie folgt eine ländlich tänzerische Weise, fast volkstümlich anmutend. Der dritte Satz heißt nicht mehr Menuett, sondern erstmals bei Beethoven Scherzo. Dieses kommt übermütig daher, bevor dann im finalen Allegro molto Motive aus den vorangegangenen Sätzen nochmals zitiert werden.
Beethoven war ein begeisterter Anhänger der französischen Revolution. Bereits in der 1. Sinfonie zitiert er eine Ouvertüre Rodolphe Kreutzers, die eine Feier der durch die französische Revolution gewonnenen Freiheit darstellt. Anders als viele andere Komponisten seiner Zeit war Beethoven bereits ein Star und hatte ein gutes finanzielles Auskommen. Es gab sogar ein Wettbieten seiner Wiener Gönner mit Jerome Bonaparte, der vergeblich versuchte, Beethoven als Hofkapellmeister an seinen Hof als König von Westfalen zu locken. Diese Begehrlichkeiten schafften ihm auch künstlerische Unabhängigkeit. Er mußte eben nicht inhaltliche Vorgaben bei Auftragswerken beachten.
Das zeigte sich denn auch an der 3. Sinfonie, in der sich Beethoven von Haydn emanzipierte und quasi im Übergang zu seiner mittleren Schaffensperiode revolutionären Kompositionsstil mit revolutionär-idealistischer Begeisterung verband. Die Eroica genannte Sinfonie sollte ursprünglich Napoléon Bonaparte gewidmet werden, den Beethoven bewunderte. Als dieser aber sich selbst zum Kaiser krönte, war Beethoven so enttäuscht, daß er die Widmung aus dem Notenblatt wieder entfernte. Sowohl die Gesamtlänge der Sinfonie wie auch die die anderen Sätze bei weitem überragende Länge des Kopfsatzes waren für die damalige Zeit neu. Die Sinfonie beginnt bereits mit einem ungewöhnlichen Knaller, zwei Fortissimo-Akkordschläge, oft auch als Kavallerie-Säbelhiebe gedeutet, stehen vor dem dann verhalten durch die Celli vorgetragenen Hauptthema. Der gigantische Kopfsatz enthält, die bisherige Kompositionsformen sprengend, mehrere aufeinanerfolgende Melodien in unterschiedlichen Tonarten. Das Aufeinanderprallen von Hauptthema und Überleitungsmotiven wie These und Antithese schafft eine Dramatik, die nicht nur ohne Vorbild ist, sondern vom Komponisten auch in seinen späteren Werken nicht mehr übertroffen wurde. Der zweite Satz, von Beethoven als marcia funebre, also als Trauermarsch, bezeichnet liefert eine der ergreifendsten Totenklagen der Musikliteratur. Das immer wiederkehrende schwermütige Hauptthema kontrastiert in dem Satz mit einem tröstlichen Gegenthema. Der dritte Satz beginnt mit einem großen Scherzo, wie es für die Beethoven-Sinfonien danach typisch wird. Dabei erhebt sich das Hauptthema erst spät aus einer Vielzahl kleinerer jagender Motive und steht dann kraftvoll im Raum. Der Satz leitet über in ein Trio, bei dem die um eines auf drei Hörner angewachsene Hornsektion ein protziges Solo bieten, wie es seither als „Hörnerschall“ von verschiedenen Komponisten als Stilelement übernommen worden ist. In einer kurzen Coda klingt der erste Teil noch einmal auf. Der Schlußsatz, ein Allegro molto verbindet Sonatensatzform und Variationen und läßt das Werk in einem schwungvollen Finale ausklingen.
Und was macht Thielemann daraus? Er lässt die Staatskapelle in der ihr genehmen deutschen Sitzordnung musizieren. Also symmetrisch mit 1. und 2. Violinen an den Flanken, die Celli und Violen in der Mitte einrahmen. Das schafft Balance. Es fragt sich aber, ob die amerikanische Sitzordnung mit von links nach rechts 1. Violinen, 2. Violinen, Violen, Celli und Kontrabässen bei den ersten beiden Sinfonien der Entwicklung aus der Kammermusik (Mehrfach-Quintett) besser Rechnung trüge. Thielemann schafft nicht nur Symmetrie, sondern arbeitet in feiner Pedanterie alle Facetten der Werke gut durchhörbar heraus. Kein Stilelement, kein Nebenthema, kein wechselseitiger Bezug der Werke, die Thielemann nicht so beleuchtete, daß man sie auch erfährt. Die ungestüme Beethovensche Dynamik schafft er trotz der vergleichsweise kleinen, aber vom Komponisten so vorgegebenen Besetzung, indem er die Pianissimi so fein spielen läßt, daß sich die Fortissimi dagegen besonders explosiv abheben. Die Vermittlung dieser disziplinierten Spannung an sein Orchester schafft er immer wieder vorbildlich. Man hat die Beethoven-Sinfonien schon so oft gehört, insbesondere die Eroica. Aber unter Thielemann wird die Darbietung zu einem neuen, bereichernden Erlebnis, obwohl die Interpretation in besonderem Maße werkgetreu ist. Das Publikum dankte mit johlenden stehenden Ovationen. Man darf gespannt sein auf die Einspielung der weiteren Sinfonien im neuen Jahr. Als nächstes stehen die 4. und 5. Sinfonie Mitte Januar auf dem Spielplan. Wir wollen dabei sein.
Ra.
5. Symphoniekonzert der Staatskapelle, 15. Dezember, Semperoper