Am Ende beLemmert
In Verl gewinnt Dynamo Dresden knapp und last minute
Den Sieben-Tore-Punch vom Halloren-Spiel noch im Frontallappen, soll man sich nun auf Verl konzentrieren. Verl? Was ist das überhaupt? NRW, okay. Grobe Orientierungshilfe lautet: 15 Kilometer südlich von Bielefeld entfernt. Und da haben wir den Salat! Wie kann etwas südlich von einer Stadt liegen, die es nicht gibt? Die Abhilfe ist nun, in einer anderen, bekannteren Stadt zu spielen, etwa in Paderborn. Damit kann man umgehen, dorthin fährt wohl auch ein Zug, wann auch immer er ankommen mag.
Menschen scheint es jedenfalls zu geben, von den 25.000 haben es knapp 1.000 zum Spiel geschafft, etwas mehr reisten aus der Elbestadt an. Für gute Laune sorgte die Schacht-Vorlage am Vorabend gegen Mannheim inklusive einer irrwitzigen Hand-Einlage von Stefaniak, die von allen Unparteiischen übersehen wurde. Der SC Verl wiederum muss als deutlich spielstärker angesehen werden, als es der Tabellenplatz hergibt. Und mit Oliver Batista Meier lieh man sich aus Dresden im Winter einen aus Dresden, der was mit dem Ball anfangen kann.
Bei der SGD kehrte Paul Will nach seiner Gelbsperre für Michael Akoto zurück – zum Anpfiff konnte der Rotschopf noch nicht ahnen, welch Unglück ihn knapp 80 Minuten später ereilen sollte. Auf links ersetzte Jonathan Meier den nicht immer glücklich agierenden Max Kulke, ließ jedoch im Laufe Spiels vergessen, dass Markus Anfang damit eine Stabilisierung des Hinterflügels im Sinn hatte. Und Kevin Broll? Immerhin schon im Kader, wenn auch auf der Bank.
Die erste Halbzeit: Arslan und Borkowski drehen
Bevor der SC den Anstoß vollziehen konnte, gab es einen Moment der Trauer für Opfer des Erdbebens in der Türkei und in Syrien. Dann pfiff Assad Nouhoum seine fünfte Drittliga-Partie an. Und schon die ersten zehn Minuten zeigen, dass das hier kein Wellness-Ausflug wird, sondern eher ein Steinebeißen auf Augenhöhe. Christian Joe Conteh leistet sich schon nach vier Minuten den ersten Fehlpass samt Einladung zum Gegenzug, Tim Knipping probiert in der 10. Minute gleich doppelt die Abwehrarbeit in einem Mix aus Breakdance-Moves und Bodenturnen.
Und dann passiert es doch – eine Verkettung von Pleiten, Pech und Pannen führt zum Tor für die Heimischen. Weit offen zeigt sich die linke Dynamo-Seite, auf der Batista Meier in fataler Abwesenheit von Meier fast bis zur Grundlinie laufen kann und dabei genug Zeit hat, den Fünfer abzuchecken. Den scharf hereingespielten Ball verpasst erst Tim Knipping, dann hopst Stefan Drljaca am Leder vorbei und in der Mitte steht Kyrylo Melichenko falsch, falscher, am falschesten. So kann Joel Grodowski aus drei Metern Entfernung ins leere Tor einschieben. Ach ja: Wo war eigentlich Jakob Lewald?
Okay, dann machen wir das also mal wieder mit dem Rückstand. Zeit genug ist ja noch. Und da, ein feiner Pass in die Füße von Conteh, aber das Runde verspingt. Waren wir nicht gerade auf der Suche nach Lewald? Hier ist er und gibt den Bruder Leichtsinn, mittendrin im Auflegen einer Chance für – na klar – Batista Meier, der jedoch am Fünfer zu unklar agiert. Deswegen haben wir ihn also abgegeben?
Nach knapp 20 Minuten ist es aber erstmal vorbei mit der Verler Herrlichkeit. Die Machtverhältnisse auf dem Grün verschieben sich, auch wenn das noch nicht in Zahlen gegossen wird. Conteh und Arslan mal zu schlampig, Conteh nach superbem Durchbruch zu ungenau in den Sechzehner, ein ordentliches Wuhling am SC-Fünfer nicht genutzt. Und auch heute sitzen die Flanken nicht: zu hoch, zu weit, zu ungenau. Bis zur 29. Minute. Da sieht der stets agile Will jede Menge grüne unbesetzte Weise auf links und spielt vom Mittelkreis auf Niklas Hauptmann, der Meter macht und Dennis Borkowski schickt. Und die Neun zeigt jetzt, warum er auf Außen so viel wertvoller ist als in der Mitte. Er hat den Kopf oben, sieht, wie Ahmet Arslan im Rücken der gestreiften Abwehr angerauscht kommt und legt dem Dresdner Goalgetter direkt und genau den Ausgleich auf. Denn aus 15 Metern Entfernung lässt der Offensiv-Allrounder per Innenriststrahl in den linken Knick dem Torhüter keine Chance. Der im bayrischen Memmingen geborene Sohn türkischer Eltern vergisst aber auch im Moment des Triumphs nicht, was da eben in der Heimat seiner Familie vor sich geht, küsst den Trauerflor und wird auch vor den Kameras nach dem Spiel darauf hinweisen, was wirklich wichtig ist im Moment.
Nun wird das Spiel atemlos, noch vor der Pause will Dynamo das Spiel kippen. Fast wäre es Hauptmann mit einem satten Schuss gelungen, doch mit Ach und Krach patscht der Goalie das Ding zur Ecke. Borkowski nutzt eine Schlafeinlage an der Grundlinie, stibitzt sich den Ball zur nächsten Ecke. Aber ach, die Standards sind heute einfach nix. Auch ein Freistoß von Arslan verpufft wie heißer Mais. Hatte ich schon erwähnt, dass Conteh ein weiteres Mal hängen bleibt? Aber die Mission „Spieldrehung vor der Pause“ gelingt dann doch.
Es sind noch vier Minuten Zeit bis zum Pfiff, da ergattert sich Conteh den Ball an der linken Seitenlinie tief in der eigenen Hälfte. Und er läuft und läuft und läuft und läuft und läuft und läuft fast bis zur Strafraumlinie, lässt noch einen aussteigen, aber das Abspiel kommt zu spät. Doch wie ist das mit dem Glück und dem Tüchtigen? Der blockierte Ball springt Conteh wieder in den Fuß und jetzt sitzt das Abspiel nach rechts auf Borkowski. Der legt sich den Ball auf den linken Fuß, während die Verler Abwehr das genau beobachtet. Da sieht der Neuner in der Mitte zwei Gelbe vor dem Tor, hebt den Ball genau dorthin, aber Arslan verpasst knapp, der Torwart guckt verdutzt – derweil hoppelt das Leder zum 1:2 über die Linie. Abseeeeeiiiiits ruft der Chor der Heimelf unisono, doch der Linienrichter hat es richtig gesehen: Selbst, wenn Arslan das Tor erzielt hätte, wäre es kein Abseits gewesen. Überhaupt muss man sagen, dass die Crew um Referee Assad Nouhoum einen guten und unaufgeregten Job macht an diesem Nachmittag, auch als Hauptmann direkt vor dem Heim-Sechzehner gelegt wird. Die Verler stellen ein merkwürdig offenes Mäuerchen, wollen aber vielleicht dem eigenen Torwart nicht die Sicht nehmen. Der sieht den Donnerschlag von Arslan in den rechten Winkel jedenfalls kommen und hält. Jetzt aber schnell Pause.
Die zweite Halbzeit: Verl guckt beLemmert
Die Heimelf geht all in und tauscht mit drei Neuen die komplette Offensive aus, inklusive Batista Meier. Dresdens Meier ballert derweil an die Außenseite des Tornetzes. Auf der anderen Seite ist nun aber Drljaca gefragt. Nur drei Minuten sind rum, da kommt (schon wieder) Gefahr über die linke Dynamo-Seite. Die Hereingabe wird von Corboz mit Übersicht durchgelassen und Otto steht vollkommen frei vorm Dresdner Torwart. Aber der wartet das nicht, sondern hütet es mit einem Monsterreflex in Nahdistanz zum Schützen. Nur wenige Minuten später spielt Verl eine Hop-oder-Top-Bogenlampe nach vorn – und diesmal scheitert Meijer an Drljaca, der mit dem Fuß sensationell klärt, während Knipping, Lewald und auch Will interessiert zusehen.
Da haben wir es wieder, das Betteln um das Gegentor. Aber dann setzt sich Kutschke endlich mal am Strafraum durch und spielt scharf auf den Langen – Conteh donnert den Ball mit aller Wucht an den Pfosten, Arslan verfehlt das fast leere Tor per Aufsetzer. Geht ruft die innere Stimme, da fällt nur eine Minute später der Ausgleich. Wir schreiben die 68. Otto spaziert Richtung linkes Strafraumeck und alle Zeit der der Welt zu gucken, wer sich vor dem Tor so freiläuft. Meier ist vor allem darauf bedacht, Abstand zu halten. Warum eigentlich? So wird die Einladung zur Flanke angenommen, genau in der Mitte ist derweil Wolfram von den guten Geistern Lewald und Melichenko verlassen. Drljaca hat keine Chance, den platzierten Kopfball abzuwehren. Na toll!
Es geht hoch und runter, gelbe Karten pflastern den Weg. Lemmer und Kammerknecht spielen jetzt für Borkowski und Hauptmann, die in Halbzeit – wie einige andere – am Unsichtbarkeitszauber geübt haben. Das hilft erstmal nicht, denn wenig später ist bei einem Kopfball ein weiteres Mal das Aluminium Dresdens bester Freund. Immer wieder zeigen sich hinten drin Lücken und Löcher, die aber mit Kampf und Aufwand irgendwie wieder gestopft werden.
Der tragische Moment für Dynamo kommt dann in der 77. Minute, als Paul Will in der Bewegung nach hinten irgendwie umknickt. Sofort ist klar, dass hier etwas Besorgniserregendes passiert ist, denn ein Will bleibt nicht einfach so liegen. Auf der Trage verlässt er das Stadion und wird der Mannschaft einige Wochen fehlen, wenn sich auch der erste Verdacht eines Knöchelbruchs nicht bestätigt hat. Das ist menschlich wie auch personell eine Lücke, die nicht so einfach geschlossen werden kann.
Dass aber Markus Anfang nicht den erwarteten Michael Akoto, sondern den 18-jährigen Jonas Oehmichen für Will auf das Feld schickt, sorgt zunächst für Augenreiben. Für noch mehr Augenreiben sorgt, wie sich der Youngster für das Vertrauen revanchiert. Forsch am Leder, frech in der Balleroberung, ohne Angst vor Gegenspielern, die 120 Kilo schwerer und 2,10 Meter größer sind. Derweil hat Kammerknecht Glück, dass er nicht mit Gelbrot vom Platz fliegt, als er dem liegenden Otto – wenn auch ohne jegliche Absicht – auf das Knie tritt.
Beide Mannschaften wollen auch in den letzten Minuten den Sieg, aber auf der schwarzgelben Seite sind die Abschlüsse von Lemmer und Arslan sind zu schwach oder ungenau. Aber noch bevor die Nachspielzeit von fünf Minuten angezeigt ist, schlägt Dynamo doch noch zu. Lewald spielt aus der eigenen Hälfte flach in die Spitze auf Conteh, der artistisch mit der Hacke in den Lauf von Arslan weiterleitet. Und jetzt ist Platz auf der Weide bis zur rechten Strafraumgrenze, von wo der dynamische Sechser den Ball mit Schmackes an den langen Pfosten drischt. Das alles geht zu schnell für Verl, die in ihrer Panik übersehen, dass hinten Lemmer im D-Zug-Tempo anrückt. Und dieses Durchlaufen lohnt sich, denn mit der Innenseite des linken Schuhs erzielt, ja erzwingt der SGD-Neuzugang aus allerspitzestem Winkel die 2:3-Führung. Der schwarzgelbe Anhang tobt ausgelassen. Party in Paderborn!
Für wenige Minuten kommen noch Kevin Ehlers und Manuel Schäffler, die es beide gut verstehen, den Gastgebern Zeit zu rauben. Dann noch eine Ecke für Verl. Drljaca fängt diese aber sicher ab. Game over, der vierte Sieg in Folge ist geschafft.
Fazit
Dynamo Dresden ist noch lange nicht aus dem Schneider, schon gar nicht sind die Probleme überwunden, die sich diesmal vor allem in der Defensive zeigten. Die größte Baustelle liegt dabei wohl hinten links, wo weder Kulke und auch nicht Meier überzeugen konnten. In nun mehreren Spielen in Serie kam die Gefahr stets von dort. Trotzdem stimmen jetzt die Ergebnisse, fehlen zum Relegationsrang noch drei Punkte. Nun kommt Viktoria Köln, hoffentlich ohne Victory.
Uwe Stuhrberg
SC Verl vs. SG Dynamo Dresden
11. Februar 2023, Antoß 14 Uhr
Tore: 1:0 Grodowski (11.), 1:1 Arslan (29.); 1:2 Borkowski (41.), 2:2 Wolfram (68.), 2:3 Lemmer (90.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Melichenko (90. Ehlers), Lewald, Knipping, Meier, Will (78. Oehmichen), Arslan, Hauptmann (70. Kammerknecht), Borkowski (70. Lemmer), Conteh (90. Schäffler), Kutschke
Ohne Einsatz: Broll, Gogia, Kulke, Vlachodimos
Schiedsrichter: Assad Nouhoum
Fans: 1.963 Fans
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