Abenddämmerung im Kammermusiksaal
Ein Klavierkonzert mit Alice Sara Ott
„Nightfall“ nennt die Pianistin Alice Sara Ott ihr neues Album und unter dem Titel stand auch ihr Konzert am 5. November im Kammermusiksaal der Philharmonie in Berlin. Mit einer launigen Ansprache, in der sie das Publikum ermunterte, sich bequem einzurichten, es ihr, die ihre Konzerte regelmäßig barfuß spielt, gleichzutun und im übrigen die Musik entspannt zu genießen, begründete sie den Titel. Die Werke, vor allem Debussys und Saties, aber auch die ausgewählten Stücke Chopins verrieten eine Art Abenddämmerungsstimmung. Sie habe erst den Begriff „twilight“ wählen wollen, davor aber zur Vermeidung von Assoziationen mit der gleichnamigen Vampir-Fernsehserie zurückgeschreckt.
Im passend abgedunkelten Raum spielte die junge Deutsch-Japanerin aus München, die längst in den Konzertsälen der ganzen Welt zu hause ist, und im letzten Monat ihr Debüt bei den Berliner Philharmonikern mit Ravels Klavierkonzert G-Dur gab, beliebte Evergreens: Debussys Suite Bergamasque mit dem stimmungsvollen Claire de Lune machte den Anfang. Ist die Referenzaufnahme des Rezensenten mit dem vor drei Jahren viel zu früh verstorbenen Zoltán Kocsis noch eine Spur akzentuierter und auch dynamischer, mußte sich Otts Interpretation dahinter nicht verstecken. Auch sie transportierte die Gefühlswelt aus den das viersätzige Werk inspirierenden Gedichten aus Verlaines Fetes galantes eingängig nachvollziehbar. Das Fröhliche, wie das Melancholisch-Nachdenkliche, das sich hinter den Masken der Protagonisten der Gedichtsammlung verbirgt. Von Debussy folgte die Reverie (Träumerei), ein vom Komponisten zu Unrecht nicht sehr geliebtes Werk. Lieblich und ausdrucksstark zugleich miteinander zu verbinden, ist eine Herausforderung, die Ott aber großartig meisterte.
Aus dem Schaffensschatz des Rosenkreuzers Erik Satie wählte sie die Gnossienes Nr. 1 und 3 und dazwischen die Gymnopédie Nr. 1. Hier übertraf Otts Interpretationskunst die vom Rezensenten bislang so geschätzte Referenzaufnahme mit Anne Quefélec. Die Verbindung tänzerischer Melodiebögen mit geheimnisvollen Andeutungen wurde bei Ott noch etwas deutlicher und machte regelrecht neugierig auf das, was Satie hinter der Musik andeutete und doch im Dunkeln ließ. Den Abschluß des Konzerts bildeten die Drei Nocturnes op. 9 und die Ballade Nr. 1 g-moll von Frédéric Chopin. Beide Stücke passen hervorragend zum Thema des Abends. Man merkt außerdem, daß sich Alice Sara Ott bei Chopin besonders wohl fühlt. Die feine Anschlagskultur, die Chopin erfordert, um zu wirken, ist dieser einfühlsamen und intelligenten Künstlerin in besonderem Maße gegeben. Es zeichnet sie aus, daß sie am Klavier auf Affektiertheit verzichtet und stattdessen dem Komponisten und seinem Werk Raum läßt, zum Zuhörer durchzudringen. Diese Bescheidenheit kommt gerade Chopin entgegen. Es waren auch Werke Chopins mit denen sie, damals noch Studentin am Mozarteum in Salzburg, dem Rezensenten auffiel, der den herrlichen Klängen nachgehend, eine junge hübsche Dame unbekümmert an einem Flügel, ohne Publikum nur zur eigenen Erbauung, großartig Chopin spielen hörte. Auf der CD sind statt der Chopin Stücke zwei Werke Ravels zu hören, auf die Alice Sara Ott an diesem Abend zugunsten der Chopin-Stücke verzichtete, nämlich Gaspard de la nuit und die Pavane pour une infante defunte, ebenfalls Stücke zur einbrechenden Nacht.
Das Publikum des ausverkauften Konzertes feierte Ott mit stehenden Ovationen und forderte die junge Künstlerin, die erst im letzten Sommer nach einigen Jahren in Berlin wieder in ihre Münchener Heimat zurückgezogen ist, immer wieder auf die Bühne. Natürlich gab es dafür auch noch eine Zugabe der vom Zuspruch sichtlich überwältigten Pianistin. Nach dem Konzert schloß sich noch eine Signierstunde an, die allerdings bedauerlicherweise nicht im Programmheft angekündigt war. Sonst wäre die Schlange sicherlich noch länger gewesen.
Ra.
Alice Sara Ott 5. November, Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin, www.alicesaraott.com