»A«
Gedanken zur Uraufführung des »Requiem A« von Sven Helbig
Wir hätten uns so gern überraschen lassen. Überraschen lassen von Sven Helbig und seinem »Requiem A«, das am 9. Februar in der Dresdner Kreuzkirche uraufgeführt werden sollte. Aber dann … Dann saßen wir in der vollbesetzten Kreuzkirche und blickten auf ein weißes Segel, das über dem Altarraum aufgespannt war und ein riesiges A dargestellt hat. A wie Anfang, A wie Aufbruch - und das vage Ziel müsste logischerweise ein Omega sein. Ein Kreis, ein Lebens- und vielleicht auch ein Sterbenskreis, der sich allerdings weder eröffnet und schon gar nicht er- oder geschlossen hat. Überraschungen gab es dennoch. Während des Abends sowie vor allem im Rückblick darauf.
Die einleitende Trauermotette »Wie liegt die Stadt so wüst« von Rudolf Mauersberger klingt tatsächlich heute noch moderner als das gleich darauf uraufgeführte »Requiem A« für Chor, Orchester, Bass und Elektronik von Sven Helbig. Weil das 1945 entstandene A-Capella-Chorwerk des einstigen Kreuzkantors näher dran gewesen ist an der Zerstörung von Dresden? Mauersberger hatte das Unvorstellbare direkt vor Augen, hatte mitsamt seinem Knabenchor - der in den Bombennächten vom 13. und 14. Februar ‘45 immerhin selbst 13 Opfer beklagen musste - das Undenkbare leidvoll überstanden. Die Motette steht als klingendes Denkmal für den zerstörerischen Ungeist von Krieg und jedweder Gewalt, steht bis heute nicht nur für Dresden und den hier nach wie vor zelebrierten Gedenkkult. Und dennoch sollten diese Februar-Konzerte zum Innehalten und Nachdenken anregen, also auch stets ohne Applaus ausklingen.
Betreten schwieg das Publikum im Anschluss an dieses eindringlich nachwirkende Werk Rudolf Mauersbergers und erwartete nach einem Lichtwechsel das Requiem von Sven Helbig. Überraschend waren hier die eher konventionellen Klangstrukturen der Komposition, noch überraschender das mulmig blechern tönende Solo des Bassisten René Pape, am überraschendsten jedoch die von waberndem Trommelklang untersetzten Chorpartien. Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle begleiteten die neun auf Wirkmacht setzenden Teile, in denen herkömmliche Liturgie wie Introitus, Kyrie, Sanctus und Agnus Dei mit neuen, eigenen Texten von Sven Helbig zusammengeflossen sind - und leider doch keine Einheit ergaben.
Als positive Überraschung durchzog den Kirchenraum eine filmmusikalische Dramatik, die sich mit elektronischem und orchestralem Bombast deutlich von befürchteten Banalitäten abzuheben vermochte. Auf anderer Ebene überraschten - leider, Sven Helbig, leider! - erwartbare Melodieführungen und Akkordschemata. Die Orchesterstruktur funktionierte nur ansatzweise, da ein Streicherklang über weite Strecken nicht zur Entfaltung kam, die Bläser sich hingegen wirkmächtig in den Vordergrund spielten. Ergreifend geriet das Sanctus mit dräuendem Voranschreiten, fast wie ein Marsch ins ungewiss Lichtvolle (oder in endgültige Düsternis?), mal anschwellend, dann aber auch mit dem Verzicht auf orchestrale Entfaltung, als sollte die Staatskapelle nur einen Klangteppich auslegen. Mit chorisch geatmetem Silbenhauch klang das von Kreuzkantor Martin Lehmann sehr umsichtig geleitete Werk aus, das durchgängig von eher fragwürdigen Visualisierungen auf dem sonst weißen A-Segel begleitet worden ist. Auch hier hat eher das Banale überrascht, ja geradezu erstaunt: Der isländische Filmemacher und Videokünstler Máni Sigfússon lieferte simple Abbilder von Pflanzenwelt und Sonnenlicht, von glitzerndem Wellenspiel und seichter Romantik. Putten standen in schroffem Kontrast zu einem (KI-generierten?) Ringspiel, wie es auf Streaming-Plattformen und kaum banaler zu haben ist.
Und wir hätten uns doch so gern überraschen, eines besseren belehren lassen …
Michael Ernst
Requiem A Uraufführung 9. Februar 2025, Kreuzkirche