Wiedersehen macht Freude
Lorette Velvette am 26. Juli im Riesa efau
Es ist Ewigkeiten her, dass Lorette Velvette in Dresden vorbeischaute. Zuletzt wohl anlässlich eines Konzertauftritts im Beatpol, als der noch Starclub heißen durfte. Offenbar fand sich seither keine geeignete Andockmöglichkeit mehr in der sächsischen Elbmetropole, konnte sich vielleicht gar nicht finden, weil zwischenzeitlich der Eindruck entstanden war, die Musikantin hätte ihre Profession an den Nagel gehängt. Dem ist nie so gewesen, es ging immer weiter, auf deutlich kleinerem Fuß zwar, aber jederzeit entlang der Ursprungsorientierung.
Lorette Velvette spielt Roots Music – entweder im von avantgardistischer Kunst geprägten New York mit The Kropotkins, einer Formation um John Cales Interimsmitstreiter Dave Soldier sowie Moe Tucker, ehemals Schlagzeugerin von Velvet Underground, oder in ihrer einstigen Wahlheimatstadt Memphis, Tennessee. Hier, im Herzen der amerikanischen Südstaaten, liegt ihre Operationsbasis, wo Roots-Spielweisen aus rein geografischen Gründen nichts Geborgtes sondern organischer Alltagsbestandteil sind; das Mississippidelta mit seiner überaus reichen Bluestradition liegt praktisch vor der Haustür. Sam Phillips gründet 1952 Sun Records in Memphis, im angeschlossenen Sun Studio entstehen Schallplatteneinspielungen von Howlin' Wolf, Ike Turner, Rufus Thomas oder Junior Parker. 1954 veröffentlicht das Label »That's All Right«, Elvis Presleys Debütsingle und nichts Geringeres als die Geburtsstunde des Rock'n'Roll. Jerry Lee Lewis, Carl Perkins, Roy Orbison oder Johnny Cash folgen auf dem Fuß. Inspiriert vom Gospel und beflügelt durch die Bürgerrechtsbewegung entwickeln sie bei Stax Records ab 1962 eine bedeutende Form des Southern Soul, vertreten unter anderem durch Otis Redding, Carla Thomas, Eddy Floyd, Isaac Hayes oder die hauseigene Studioband Booker T & The MGs. Von den Box Tops und Big Star, zwei Rockbands mit Alex Chilton als Sänger, wird das bis dahin aufgelaufene Musikerbe der Stadt nach 1964 zum britischen Beat von Beatles & Co. ins Verhältnis gesetzt, wiederum anderthalb Jahrzehnte später von Tav Falco & Panther Burns verschmolzen mit der Do-it-yourself-Ästhetik des Punkrock; Produzent von »The World We Knew«, einem Albumklassiker der Panther Burns, war Alex Chilton, eine der Backgroundsängerinnen war damals Lorette Velvette.
Dem flüchtigen Betrachter mag sich Memphis als amerikanische Großstadt wie jede andere darstellen, nichts Besonderes eigentlich. Bei genauerem Hinsehen geben sich Details von historischer Tragweite zu erkennen. Die Bluff City, wie Memphis auch genannt wird, weil gegründet am Mississippiriver oberhalb eines Steilhangs, gilt als bedeutendstes Epizentrum der angloamerikanischen Populärmusik, wie wir sie heute kennen, tief verwurzelt in der Südstaatentradition und doch stets der Zukunft zugewandt. Mit ihren drei Soloalben »White Birds«, »Memory Hotel« sowie »Lost Part Of Me« kann Lorette Velvette den Faden ab 1993 weiterspinnen, am ehesten ablesbar an den Coverversionen. Das Spektrum reicht von Othar Turners »Frog And Peach«, Fred McDowells »Kokomo Blues«, Eddie Floyds »Oh How It Rains« oder RL Burnsides »Going Down South« bis hin zum »Dirt« der Stooges, Marc Bolans »20th Century Man« oder »Boys Keep Swimming« aus der Feder von David Bowie und Brian Eno. Die gute Nachricht ist: Dresden hat inzwischen wieder eine Andockmöglichkeit für Musik dieser Art dank Head Perfume Records, wo 2022 die Compilation »Always Memphis Rock'n'Roll« erschien, unter anderem mit Jack Oblivian & The Sheiks, Tyler Keith oder den Turnstiles, die inzwischen mit einem eigenen Album vertreten sind. Wenig überraschend ist Labelgründer René Seim Veranstalter des Konzerts mit Lorette Velvette im Riesa e.V. Für Vinylliebhaber wird am Merchandisingstand voraussichtlich die Best-of-Compilation »Don't Crowd Your Mind« im Angebot sein. Schön, dass das klappt. Wiedersehen macht Freude.
Bernd Gürtler
Lorette Velvette 26. Juli, 18 Uhr, Riesa efau, www.lorettevelvette.univer.se