Vom Angekommen­sein im Irgendwo

Nichtseattle am 7. September bei "Musik für Pflanzen und Menschen" in der Flora 1

Foto: Sascha Schlegel

Das Empfinden eines Großteils der Ostdeutschen, aus einem Land zu kommen, das nicht mehr existiert, aber nie angekommen zu sein in Gesamtdeutschland, obwohl die meisten unbedingt ankommen wollten, bei Katharina Kollmann fand es sich in wortgewandte Poesie und kraftvolle Gitarrenriffs gefasst. Verlorengegangen im Irgendwo, dem Gedanken sind die ersten beiden Alben der gebürtigen Ostberlinerin mit ihrer Formation Nichtseattle gewidmet. Auf »Wendekid« beziehungsweise »Kommunistenlibido« sollte Mitte April 2024 »Haus« folgen, dessen Albumtitel immerhin die Möglichkeit eines Ankommens andeutet, in Wahrheit aber höchstens vom Angekommensein im Irgendwo handelt.

Der knapp achtminütige Eröffnungssong »Beluga« thematisiert unschöne Datingerfahrungen in Zeiten des Neoliberalismus. Die Begegnung mit einem, der sich ausschließlich um sich selbst dreht, hinterlässt ziemlichen Frust. Wieder wird die Hoffnung auf Geborgenheit, auf Sicherheit enttäuscht. Die Protagonistin bleibt das Sportbeutelkind aus der »Treskowallee«, mit einem Zelt als mobiler Behausung wie abgebildet vorn auf dem Albumcover. Später in »Frau sein« gibt es eine Auseinandersetzung mit weiblichen Rollenklischees, unschwer zu erraten, wie die Sache ausgeht.

Wenn sich ein Unterschied zu den beiden Vorgängeralben abzeichnet, dann im Blickwinkel, angedeutet von »Heiterprofan«, wo es heißt »Ich will auch! Heiterprofan. Die habens warm, rufen zu Hause an. Die sagen: ›Ja, na klar, es war ein furchtbares Jahr, doch es ist ganz gut bei uns in Seevetal.‹ Reden von Urlaubstagen, von ›mal gar nichts machen‹, von ›Sandburg‹, ›Schneemann‹ oder ›steigendem Drachen‹, ›wohlverdienter Ruhe, höchstens kochen, mal alles vergessen und das viele Wochen‹.« Jene vom Schicksal weniger verschwenderisch Bedachten rücken stärker in den Fokus und mit ihnen ihre Utopien. »Unterstand« enthält die Textzeile »Wir sind alle verwandt« und verwendet das Bild von einem Unterstand, der wie ein Pilz wächst wenn es regnet; entlehnt ist die Metapher aus einem von Katharina Kollmanns Kinderbüchern, eine passende Zeichnung schmückt das aktuelle Tourneeplakat. Was bleibt im Schlusssong zu »Haus«, ist die ernüchternde Erkenntnis, dass jegliches Bemühen keinerlei Garantien bietet, egal ob in Ost oder West, Nord oder Süd. Eher ist es eine Frage von Oben und Unten, von Klassen und Schichten. »Ich hab gedacht, man muss nur ganz, ganz mutig sein und alles andere kommt verdientermaßen wie von allein. Ich bin immer sooo fleißig. Und trotzdem: irgendwie reichts nicht«, lautet eine Textstelle aus »Fleißig«.
Bernd Gürtler

Nichtseattle 7. September, 19 Uhr, Garstensparte Flora 1, Bergmannstraße 39, Eintritt frei

Programm "Musik für Pflanzen und Menschen"

La Rey & Miss Hyde (HipHop) 15 Uhr
Charmant und gelassen verbreitet die Dresdner Rapperin La Rey gute Vibes. Hinter diesem Feelgood-BoomBap steckt jedoch mehr: La Rey erzählt persönliche Geschichten, lässt Ängste und Verletzlichkeiten zu und spricht auch große Themen an.

HrayBery /ГрайБери (Folk) 17 Uhr
HrayBery/ГрайБери spielen Tanzstücke: Der aus dem Zusammenleben vieler Menschen entstandene musikalische Reichtum mit seinen polnisch-, ukrainisch-, jüdische und Roma-Einflüssen ist in dieser Musik spürbar. Anhand alter Noten und Tonaufnahmen erwachen Kasatschoks, Kolomyjkas, Mazurkas, Polkas und Walzer zu neuem Leben.

Nichtseattle (Indierock) 19 Uhr
Die in Berlin-Karlshorst aufgewachsene Liedermacherin Katharina Kollmann schreibt und singt seit 2017 unter dem Namen Nichtseattle grungige Gitarrenhooks und poetische Texte in deutscher Sprache. „Zärtlich“ stellt sie die soziale Frage: Das Album „Kommunistenlibido“ (2022) und ihre 2024 erschienen Platte „Haus“ sorgten mit ihren lyrisch-subversiven Songs für große Furore.

Mit dabei erstmals auch wieder der große musikalische Rundgang mit Konzerten in den privaten Gärten der Flora 1!
Mit Konzerten von Newmaker (Distilled & Bottled Kollektiv), VocalBerries (Chor), Diana Weidelt & Torsten Reitz (farbwerk e.V.), Corinna Kossek (Harfe), Beirich singt Gundermann (Gundermann 1:1), Moriana Krause (Querflöte)

Außerdem Special Guests Gartenkunst 14 bis 21 Uhr
Andreas Kempe: Pop-Up Ausstellung Kunst in der Laube zum Regenwald des Nordens, zu Flechten und Moosen und der Kunst des Überlebens durch Kooperation
Victoria Gentsch: Pop-Up Ausstellung und „Pflanzen-Kaleidoskop“ Gemeinsam mit der Künstlerin Victoria Gentsch werfen die Jüngsten von uns einen besonderen Blick auf die Pflanzenwelt: Ein Kaleidoskop, zum selbst zusammenbauen und mit nach Hause nehmen!
Theresa Tuffner: „Our Earth. A Mélange of Selves“ (Mitmach-Performance) Die Künstlerin Theresa Tuffner lädt zu einer kollektiven Improvisation ein. Gäste können gebrauchte Stoffe mitbringen und gemeinsam bearbeiten, die zu einem Zelt vereint werden.

Für Familien und Kinder:
Garten-Quiz & Schwarzer Garten: Wie grün ist Euer Daumen? Wir laden Euch ein zum Garten-Quiz und zum ‚Kohle-Machen‘ im ‚Schwarzen Garten‘ und natürlich zu Victoria Gentschs „Pflanzen-Kaleidoskp“!

Zu besichtigen sind außerdem wie immer die permanenten Gartenkunstprojekte in der Flora 1 von Gabriela Oberkofler, Nana Petzet, Olaf Holzapfel, Ulrike Mohr, Sonya Schönberger/ Norbert Lang sowie im Pavillon Parzelle 3 die Ausstellung „Urtica D.“ von Patrick Will.

Kuchen, Snacks & heiße und kalte Drinks von den Gartenfreund:innen des KGV Flora I e.V. – und erstmals auch in Zusammenarbeit mit dem El Horst!