Polyrhythmischer Kreuzknoten

Die Dresdner Sinfoniker bringen am 12. und 13. Oktober ihre »Roboter.Sinfonie« im Festspielhaus Hellerau zur Aufführung

Markus Rindt (links im Bild)

Spektakuläre Musikaufführungen sind das Markenzeichen der Dresdner Sinfoniker. Man denke bloß an die »Hochhaussinfonie«, bei der das Orchester gemeinsam mit den Pet Shop Boys von Balkonen eines Wohnblocks auf der Prager Straße in Dresden musizierte, der Dirigent postiert samt seinem Dirigentenpult auf einem Kran. Anlässlich seines fünfundzwanzigsten Gründungsjubiläums bringt der Klangkörper eine »Roboter.Sinfonie« auf die Bühne des Festspielhauses Hellerau. Orchesterintendant Markus Rindt lässt vorab im SAX-Gespräch hinter die Kulissen schauen.

SAX: Was darf das geneigte Publikum im Festspielhaus Hellerau erwarten?
Markus Rindt: Es wird eine zweigeteilte Konzertaufführung geben. Die Besetzung besteht aus acht Waldhörnern, vier Trompeten, vier Tuben und vier Schlagzeugern – also sehr blechbläserlastig mit viel Perkussion. Den ersten Konzertteil mit der Uraufführung einer Komposition von Markus Lehmann-Horn sowie Stücken von Konstantia Gourzi und Wieland Reissmann, dirigiert Michael Helmrath. Nach der Pause übernimmt ein Roboter.

SAX: Weshalb der Roboter?
Markus Rindt: Für die Kompositionen des ersten Teils braucht es keinen Roboter. Diesen liegt ein gemeinsames Metrum zugrunde, an dem sich das gesamte Orchester orientiert. Solche Stücke kann ein Mensch viel besser dirigieren. Was Menschen nicht können, Roboter aber schon, ist, mit beiden Händen unterschiedliche Tempi zu schlagen – die eine Hand kann langsamer, die andere gleichzeitig schneller werden, wie es beispielsweise der »Canon X« von Conlon Nancarrow verlangt. Ein faszinierendes Klavierstück! Die rechte Hand wirbelt zunächst wie wild herum, während die linke Hand in den Bässen langsam beginnt. Dann wird die linke Hand schneller und die rechte langsamer, bis beide Hände gleichauf sind und anschließend in entgegengesetzter Richtung auseinanderdriften. Nach demselben Prinzip hat uns Wieland Reissmann eine Orchesterkomposition geschrieben. Das Stück heißt »#Kreuzknoten« und eröffnet den zweiten Konzertteil, dirigiert vom Roboter.

SAX: Wer war Conlon Nancarrow?
Markus Rindt: Ein Protegé von György Ligeti, der, frustriert, weil Orchestermusiker sich nicht in der Lage sahen, seine Stücke korrekt wiederzugeben, nur noch für Player-Piano komponierte, ein mechanisches Selbstspielklavier, gesteuert durch Lochstreifen. Zu den Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik 2001 hatten wir Conlon Nancarrows »Studies For Player-Piano« arrangiert für Orchester aufgeführt. Bei den Proben monierte der Fagottist, dass er ein anderes Tempo und eine andere Taktart als die anderen Musiker zu spielen hätte und fragte den Dirigenten, nach wem er sich denn richten solle. Der Dirigent erwiderte, er sei nun mal ein Mensch und kein Roboter und könne sich leider nur auf eine Sache konzentrieren. Schon damals überlegte ich, was für ein schönes Experiment es wäre, so etwas mit einem Roboter zu versuchen. Wir dachten an einen Industrieroboter, suchten 2004 den Kontakt zur Gläsernen Manufaktur von VW in Dresden, wo sie begeistert gewesen sind von der Idee. Aber die Technik war noch nicht so weit. Es sollten Jahre vergehen, bis ich Christoph Schumacher von Infineon traf und über ihn in Kontakt mit der Firma Wandelbots und schließlich mit der TU Dresden kam, die uns die Roboter zur Verfügung stellte und die Entwicklung enorm unterstützt.

SAX: Eurem Roboter musste das Dirigieren erst beigebracht werden. Wie seid ihr vorgegangen?
Markus Rindt: Wandelbots hatte einen Eingabestift, den TracePen entwickelt. Bewegungen der Hand werden von Kameras aufgezeichnet und auf den Roboter übertragen, der übrigens kein Industrieroboter, sondern ein sogenannter kollaborativer Roboter ist. Dieser registriert, wenn ihm etwas in die Quere kommt und richtet somit keinen Schaden an. Als Nächstes versuchten wir, die Dateneingabe mithilfe von Datenhandschuhen zu bewerkstelligen, in Kooperation mit der TU Dresden, Professor Frank Fitzek ist der Leiter der Abteilung, Frank Peters, David Kuß, Tobias Spens und Richard Müller die Programmierer, die sich zum Teil seit zwei Jahren intensiv mit der Problematik beschäftigen. Leider erwies sich weder dieses noch ein anderes Eingabeverfahren als praktikabel. Irgendwann überlegten wir, dass wir den Roboter doch einfach packen könnten. Wir nahmen die Roboterarme, die jeweils mit sieben Gelenken ausgestattet sind und sich in verschiedene Richtungen drehen lassen, gewissermaßen an die Hand, was sich nicht ganz einfach gestaltete, die Arme leisten einen gewissen Widerstand. Aber man kann sie an Handgriffen anfassen, die im 3D-Druckverfahren speziell angefertigt wurden. Es kommt einem vor, als würde man einem Dirigierstudenten zeigen wie es geht – mit einem faszinierenden Nebeneffekt. Wenn Marionettenspieler ihre Emotionen auf die Marionette übertragen, erkennt das der Zuschauer aus der Haltung und der Bewegung der Marionette. Was, wenn Marionetten das von selbst könnten, ohne, dass jemand an den Fäden zieht? Ein kollaborativer Roboter kann jetzt schon bis zu einem gewissen Grad die Emotionen nachvollziehen, die ein Dirigent zum Ausdruck bringt, wenn er größere oder kleinere Bewegungen macht, sobald die Musik lauter oder leiser wird. Jeder erkennt, dass ein Mensch dahinter steht. Die Bewegungen wirken überhaupt nicht maschinell, man bekommt runde, organische Abläufe. Es lässt sich sogar die Handschrift desjenigen identifizieren, der den Roboter trainiert. Eine Kleinigkeit ist das freilich nicht, der Dirigent kann nicht so dirigieren, wie er es normalerweise täte– er darf nicht zu impulsiv sein und die Bewegungen nicht zu groß werden lassen. Die ursprüngliche Software ist nicht ausgelegt fürs Dirigieren. Normalerweise greift der Roboter ein Werkstück und legt es von links nach rechts. Oder er fertigt eine Schweißnaht an. Ein Dirigat aber ist komplex, jeder Takt ist anders. Uns wurde gesagt, dass sich der Roboter noch nie so schnell und so geschmeidig bewegen musste wie bei unserem Konzertprojekt.

SAX: An zweiter Stelle des zweiten Konzertteils steht ein Kurzfilm auf dem Programm, der Titel lautet »Spot.Me«.
Markus Rindt: Der Film ging aus einem Projekt mit Schülern des Gymnasiums Dresden-Johannstadt hervor. Der Roboterhund Spot von Boston Dynamics, der Treppen steigen, sich selbstständig in unwegsamer Umgebung bewegen kann, bekommt von den Jugendlichen nach einer Choreografie von Norbert Kegel das Tanzen beigebracht. Der Clou ist, dass die Jugendlichen und der Hund zu einer Musik tanzen – einer Slapstickmusik – die von den Dresdner Sinfonikern live gespielt wird. Wie lassen sich Film und Orchester perfekt synchronisieren? Indem der dritte, der mittlere Roboterarm zum Einsatz kommt. Dieser gibt das Tempo vor, sodass Film und Orchester miteinander verschmelzen. Sofort im Anschluss folgt der eigentliche Höhepunkt. Andreas Gundlach, von Haus aus Jazzpianist, hat sich überlegt, was er für drei Roboterarme komponieren könnte. Polyrhythmik würde passen, fand er und schrieb uns ein polyrhythmisches Stück mit dem Titel »Semiconductor’s Masterpiece«; Semiconductor bedeutet im Englischen so viel wie Halbleiter, und Halbleiter sind wesentliche Bauteile eines Roboters. Das Orchester ist von Anfang an unterteilt in drei Segmente, das eine Segment spielt zum Beispiel drei Halbe, das zweite vier Viertel, das dritte fünf Achtel, alles Rhythmen, die Achtel als gemeinsamen Nenner haben. Das wirkt wie eine Maschine, wie ein Uhrwerk, wenn die Musiker korrekt spielen. Eine echte Herausforderung, jeder muss auf den Punkt genau sein und sich strikt an dem für ihn vorgesehenen Roboterarm orientieren. Keiner darf schneller, keiner langsamer werden. Wer den Faden verliert, ist raus und kommt nicht wieder rein. Ob das gelingt? Wir werden es sehen. Wir betreten völliges Neuland. Der Roboter hört nichts, er spult stupide seine Programmierung ab, ist aber der Garant dafür, dass die drei Orchestersegmente nicht nur gemeinsam beginnen, sondern auch gemeinsam aufhören. Wir sind selbst gespannt, wie das klingen wird.

SAX: Welche Konsequenzen könnten sich aus eurer »Robotersinfonie« für die Zukunft ergeben?
Markus Rindt: Wir wollen keinesfalls Menschen durch Roboter ersetzen. Solche Versuche gab es mit Robotern von Sony oder Honda, die vor ein Orchester gestellt wurden und ein bisschen mit den Armen wedeln durften. Das ist Unsinn, das bringt keinen Mehrwert. Uns geht es um das, was der Mensch nicht imstande ist zu leisten, beziehungsweise wie sich durch Roboter menschliche Ausdrucksmöglichkeiten rhythmisch erweitern lassen. Dass der Mensch nach wie vor wichtig bleibt, zeigt sich am Ende, wenn der Roboter den Taktstock wieder abgibt und Michael Helmrath ein Stück des Amerikaners Aaron Jay Kernis dirigiert. Eigentlich für Streicher komponiert, wurde es von Wieland Reissmann für Blechbläser arrangiert und setzt einen ruhigen, atmosphärischen Schlusspunkt nach all dem Spektakel.

SAX: Ein anspruchsvolles Unterfangen wieder!
Markus Rindt: Ja, und wir sind der Ostdeutschen Sparkassenstiftung sehr dankbar, dass sie unser Projekt zusammen mit der Ostsächsischen Sparkasse maßgeblich finanziert hat.
Interview: Bernd Gürtler

Dresdner Sinfoniker: Roboter.Sinfonie 12. Oktober, 20 Uhr und 13. Oktober, 15 Uhr, Festspielhaus Hellerau
www.dresdner-sinfoniker.de

Komponist*innen, Werke und Leitung

Markus Lehmann-Horn (*1977):
f..A..lling. l..i..nes. (better stay human) (UA)
Konstantia Gourzi (*1962):
Voyager II (op. 97, 2022)
Wieland Reissmann (*1968):
Colours of Seikilos (deutsche Erstaufführung)

Pause

Wieland Reissmann (*1968):
#kreuzknoten (UA)
Kurzfilm Spot.Me (Premiere)
Andreas Gundlach (*1975)
Semiconductor’s Masterpiece (UA)
Aaron J. Kernis (*1960)
Musica Celestis

Dirigenten
Magnus Loddgard & kollaborativer Roboter