Future Music vor altehrwürdiger Kulisse

Kraftwerk am 14. September auf dem Theaterplatz an der Semperoper

Überragend ist ohne Frage Kraftwerks kulturelle Leistung, neuerdings aber auch die mit Bedacht ausgewählten Spielorte. Derzeit präsentieren die Düsseldorfer Elektronikpioniere ihre Future Music gern vor altehrwürdiger Kulisse. Österreichs Hauptstadtmetropole Wien stellte kürzlich Schloss Schönbrunn zur Verfügung, das bislang einzige Deutschlandkonzert des Jahres geht auf dem Theaterplatz an der Semperoper über die Bühne. Womöglich kein Zufall, diese Wahl. Zu Kraftwerks Vorreiterrolle in Sachen Krautrock, Elektropop, HipHop oder Techno lässt sich vieles sagen.

Ein ebenso beredtes Zeugnis ihrer immensen Bedeutung liefern die aufgelaufenen Coverversionen. Deren schiere Unzahl vergleichbar höchstens mit den Coversongs der Beatles, was insofern passt, da Kraftwerk als die Beatles der Elektronikmusik gelten. Unter den Ersten, die Kraftwerk als Coverstoff für sich entdeckten, war Steve Albini. Mit seiner Formation Big Black interpretiert er »The Model«, die Einspielung war zugleich ein Hinweis, dass es der Amerikaner nicht bei Hardcore belassen wollte, sondern neben den Grunge-Ikonen Nirvana dereinst PJ Harvey oder die Harfenistin Joanna Newsom produzieren würde. Ebenfalls beizeiten aus den Startlöchern kamen Siouxsie & The Banshees, die »Spiegelsaal« für ihr Album »Through The Looking Glass« covern. Das Balanescu Quartet konnte mit reichlich der ersten Hälfte seines Langspielers »Possessed« überzeugend darlegen, wie gut sich Kraftwerk auf Streicherensembles übertragen lassen. Señor Coconut, das Bühnenalterego des Elektronikers Uwe Schmidt aus Frankfurt/Main, wendet die Musik mit »El Baile Alemán« ins Comedyhafte. Aber jeder Einzelne von ihnen war lediglich Vorbote der regelrechten Coverschwemme heute. Es gibt Kraftwerk zur Hurdy Gurdy, auf dem Theremin, im Reggae-Gewand. Die Schüler einer ersten Klasse der Mainzer Grundschule Am Lämmchen bastelten sich für ihre Version von »Die Roboter« gleich die entsprechenden Kostüme.

Wer aber die Hoffnung auf neue Musik von Kraftwerk nicht aufgeben will, dürfte weiterhin vergeblich warten. Der Zeit voraus bleibt die Band trotzdem. Eine Bühnenshow in 3D gehört mittlerweile zum Standard. Angeregt durch ihre retrospektive Konzertreihe im New Yorker Museum Of Modern Art, entdecken auch Museen anderswo Rockkultur als ernst zu nehmenden Ausstellungsgegenstand; das Londoner Victoria & Albert Museum ging mit einer Schau zu David Bowie mutig voran, vermerkt sei zudem die unbedingt lesenswerte Buchpublikation »Kraftwerk: Future Music From Germany« von Uwe Schütte. Ebendort enthalten ist ein weiterer Hinweis von nunmehr überraschender Relevanz, nämlich, dass sich Kraftwerk in der Tradition des Gesamtkunstwerks sehen. Maßgeblich geprägt wurde der Begriff durch Richard Wagner, dessen Wirkungsstätte ab 1842 die Semperoper war, bis er keine fünf Jahre später wegen seiner Unterstützung der Maiaufstände die Flucht ergreifen musste. Nicht von ungefähr gewählt ist der Theaterplatz vor der Semperoper als Dresdner Auftrittsort? Wer weiß.
Bernd Gürtler

Kraftwerk 14. September, 20 Uhr, Theaterplatz
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