Eine Unverwechselbare

Gespräch mit Sarah Lesch über ihr neues Album

Die rebellischen Dreadlocks sind einer ländlich luftigen Steckfrisur gewichen, und als erste Veröffentlichung nach zweijähriger Tonträgerpause erscheint im Herbst 2019 eine EP, kurz für Extended Play, ein Schallplattenformat aus Vinylzeiten, gedacht zu Überbrückung bis zum nächsten Album. "Den Einsamen zum Troste" heißt die Scheibe und enthält keinen einzigen selbstgeschriebenen Song, sondern Coverversionen. Dennoch bleibt festzuhalten: Sarah Lesch war und ist eine unverwechselbare Stimme unter den Sängerbarden deutscher Sprache.

SAX: Weshalb Coversongs auf "Den Einsamen zum Troste"?
Sarah Lesch: Man wird als Kreativer oft bewundert für seine Ideen. Das ist schön, dieser Job bringt viel Anerkennung. Aber oft denke ich, naja, die Knetmasse, aus der ich meine Songs forme, ist aus dem gewonnen, das mir andere Künstler erzählen. Deshalb die EP, um zu zeigen, wer meine Vorbilder sind. Ich verfasse Liederbücher mit meinen Songs. Menschen kaufen das und erzählen mir, dass sie die Lieder spielen und selbst gern welche schreiben würden, aber nicht richtig wüssten, wie. So hat es bei mir auch angefangen.

SAX: Eine einzige der fünf Coverversionen deiner EP deutet auf eine Frau als Vorbild, und – sehr naheliegend – ist das Dota Kehr.
Sarah Lesch: Richtig.

SAX: Ist Dota Kehr wirklich ein Vorbild oder nicht eher eine Zeitgenossin, die zufälligerweise dasselbe macht?
Sarah Lesch: Wenn, dann ist Dota sogar mein wichtigstes Vorbild. Und warum? Weil sie eine Frau ist wie ich. Für mich hat lange die Vorstellung nicht funktioniert, dass ich auch so kluge, tolle politische Songs schreiben könnte wie Gerhard Schöne oder Franz Josef Degenhardt. Bis ich Dota hörte. Auf einmal dachte ich, ach so, na dann! Dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Eines Tages rief sie an und erzählte, sie hätte zwei Gedichte von Mascha Kaléko vertont. Eins davon, "Kein Kinderlied“, ist eins meiner Lieblingsgedichte. Es beschreibt, wie ich mich als Kind gefühlt habe und noch heute fühle. Immer mit so einer Grundeinsamkeit. Egal, wohin ich komme, ich komme nach Nirgendland. Jetzt singen Dota und ich das gemeinsam! Mein zwanzigjähriges Ich fällt vom Küchenstuhl, wenn ich ihm das erzähle.

SAX: Erstaunlich eigentlich, dass du überhaupt Vorbilder hattest. Du bist einzigartig. Eine zweite Sarah Lesch? Da wird man lange suchen müssen.
Sarah Lesch: Oh, danke!

SAX: Deine Songs sind mindestens so klug, so toll politisch wie die der berühmten männlichen Kollegen. Selbst Dota Kehr könnte nicht wirklich mithalten.
Sarah Lesch: Findest du?

SAX: Aber sicher doch! "Der Kapitän", über den Flüchtlingsretter Stefan Schmidt von der Cap Anamur, zeitweise dein Schwiegervater, oder "Testament" reihen sich nahtlos an Georg Danzers "Die Freiheit", das ebenfalls auf "Den Traurigen zum Troste" als Coverversion vorliegt. Wer dir zuhört, könnte dich für eine Enkelin der selbstbestimmten Frauenfiguren aus den Vorwendesongs der Gruppe Silly halten, als Tamara Danz noch Sängerin der Ostberliner Rockformation war. Was einerseits kaum überraschen sollte, andererseits wiederum doch verwundert. Du bist 1986 in Thüringen geboren, lebst heute in Leipzig, warst aber im Alter von fünf Jahre mit deiner Mutter nach Schwaben gezogen. Was meinst du, wieviel Ostdeutschland steckt in deiner Biographie?
Sarah Lesch: Gute Frage, ich bin dabei, das herauszufinden. Zugehörig fühle ich mich dem Osten. Meine Familie hat mich natürlich maßgeblich geprägt, gerade wenn man kurz vor der Einschulung aus seiner gewohnten Umgebung gerissen wird. Für mich war der Westen wirklich ein fremdes Land, die Menschen sind unglaublich anders gewesen als bei mir zu Hause. Ich würde schon sagen, dass die Frauen meiner Familie starke Frauen sind. Meine Mutter hat alles allein gewuppt, war alleinerziehend mit Vollzeitjob. Sie hatte es schwer im Schwäbischen. Man macht das dort nicht, man geht nicht arbeiten, wenn man Mama ist. Das habe ich selbst erfahren müssen, als ich mit achtzehn Mama geworden bin, mitten in der Ausbildung. Wahrscheinlich habe ich den Druck, der auf meiner Mutter lastet, gespürt und ein Gefühl entwickelt, wie ich später selbst sein will. "Testament", das Lied von mir mit der meisten Reichweite bisher, gefällt meiner Mutter gar nicht. Sie denkt, sie sei verantwortlich für gewisse Seelenschmerzen, die ich in dem Song besinge. Zu Weihnachten habe ich ihr mal einen Brief geschrieben und ihr gesagt: Weißt du, Mama, wenn ich dich nicht gehabt hätte, hätte ich mich niemals getraut, mich so hinzustellen und das alles zu erzählen. Das ist etwas, das ich mir von dir abgeschaut habe, dieses Emanzipierte. Wo dieser Charakterzug sonst noch herkommt? Schwer zu sagen. Aber ein spannendes Thema, dass ich mich dem Osten zugehörig fühle, obwohl ich noch so klein war, als wir weggegangen sind.

SAX: Mit "Alles da" enthält deine aktuelle EP den Coversong eines Ostkollegen, der tatsächlich ein Zeitgenosse sein dürfte. Sebastian Bandt sein Name. Magst du ihn vorstellen?
Sarah Lesch: Bastian Bandt stammt aus der Uckermark, lebt auch noch dort und hat mal gesagt, er schreibt sich die Lieder, die er selbst braucht. Wir kennen uns sehr gut, er hat an den Songs meines dritten Albums "Da draußen" mitgeschrieben. "Alles da" ist ein absolutes Trostlied, ein Lied vom kleinen Glück. In diesen Zeiten, in denen immer alles toll sein muss, jeder in der Großstadt leben will, da kommt Bastian Bandt daher, latscht durch sein Dorf und sagt, irgendwie alles echt okay so wie es ist.

SAX: Dass sich auch ein Song von Gerhard Schöne unter den Coverversionen auf "Den Einsamen zum Troste" findet, war fast zu erwarten. Seine Kinderlieder aus DDR-Tagen gehörten zum Soundtrack deiner Jugendjahre, wie du in früheren Interviews verrätst.
Sarah Lesch: Gerhard Schöne ist tatsächlich einer meiner Herzensliedermacher. Als ich anfing, Gitarre zu lernen, spielte ich seine Lieder. Noch heute ist es so, dass ich, wenn ich beginne Songs zu schreiben, Gedichte lese oder Songs nachspiele, die mir gefallen. Beim Gerhard-Schöne-Lied auf der EP, "Spar deinen Wein nicht auf für morgen", dachte ich, dass ich mich eigentlich äußern sollte zur Situation – obwohl ich auf "Da draußen" gesagt hatte, ich schreib' euch keine Parolen, ich weiß nur Lieder und keine Lösung. Aber oft ist es ziemlich einfach, vieles wissen wir eigentlich. Da muss man nichts Neues schreiben, sondern kann auf etwas zurückgreifen, das schon immer gestimmt hat. Zum Beispiel Gerhard Schönes Aussage: Durch Schenken wird man reich allein.

SAX: Was aber auch auffällt, ist, dass die Scharfsinnigkeit, das Wortgewandte früherer Songs neuerdings einer stärkeren Emotionalität Platz macht.
Sarah Lesch: Ich würde sagen, mein erstes Album "Lieder aus der schmutzigen Küche" ist auch schon so. Dort sind noch mehr zarte Töne drin. Aber ich habe mit meiner Familien in Tübingen gelebt, habe angefangen Musik zu machen und Schicksalsschläge bewältigt, die mir widerfahren sind. Plötzlich hatte ich Erfolg, geriet in das übliche Musikerhamsterrad aus dem nächsten Album, der nächsten Tour, dem übernächsten Album, der übernächsten Tour. Ich brauchte dringend eine Pause und musste mich fragen, was ich eigentlich will und nicht, was das Publikum von mir erwartet. Ich habe gemerkt, es ist toll, radikal zu sein, wütend zu sein, zu sagen, hey, hier bin ich, hört mir zu. Diese Sarah, dieses Pipilangstrumpfige in mir gibt es immer noch. Aber es gibt auch eine Verzweiflung in mir, eine Verletzlichkeit. Ich war lange in einer Männerdomäne unterwegs und bin, ohne es zu merken, immer ellbogiger, immer derber geworden. Irgendwann stellte ich fest: Meine innere Königin, die gibt es auch noch, und die ist sehr zart. Die ist genauso selbstsicher, aber hat keine Scheu vor dem kleinen Gefühl. Erzählt habe ich das früher schon, mit lautem Geschrei, dass ein kleines Gefühl reicht. Jetzt habe ich das verinnerlicht. Auf meinem nächsten Studioalbum, das im Mai 2020 erscheinen und "Der Einsamkeit zum Trotze" heißen wird, gibt es ein Lied über meinen Opa und wie ich ihn immer zum Kaffeetrinken besuche. Ein anderes Lied heißt "Der rosa Elefant" und handelt von den Familientreffen, bei denen immer über ein bestimmtes Thema nicht gesprochen wird. Solche Sachen, kleine Sachen, über die zu singen viel mehr Mut erfordert. Laut zu schreien erfordert viel weniger Mut als einfach zu sein.

SAX: Und deshalb, weil du dabei bist, dich zu verändern, mussten die Dreadlocks dran glauben?
Sarah Lesch: Ja, jedenfalls vorerst, um den Wandel äußerlich sichtbar zu machen, haben wir verschiedene Frisurvarianten ausprobiert. Aber ich denke, ich werde zu den Dreadlocks zurückkehren. Ganz bestimmt sogar.

SAX: Dein nächstes Album wird entsprechend seinem Titel ganz der Einsamkeit gewidmet sein. Die EP "Den Einsamen zum Troste" nimmt das Thema bereits vorweg. Mit "Kein Kinderlied" oder dem "Liebeslied im alten Stil", im Original von Konstantin Wecker, der auch ein Vorbild war?!
Sarah Lesch: Auf jeden Fall, und ich kann es gar nicht genau sagen, aber besonders sein "Liebeslied im alten Stil" hat mich unendlich berührt. Das habe ich nächtelang durchgehört! Wenn er singt, wir tun mal so wie es früher war, macht das die Einsamkeit greifbar, die sich in vielen Paarbeziehungen breitmacht, wenn die beiden die Fähigkeit verlieren, miteinander zu reden. Sie spüren, es gab da mal so eine innige Verbindung, aber wir haben uns so treiben lassen. Das beschreibt ein Gefühl, das ich ganz tief in mir gespürt habe. Ich wollte so gern meine eigene Interpretation von dem Song.
Interview: Bernd Gürtler

www.sarahlesch.de