Eine humanistische Vision
Interview mit Jens Friebe vor seinem Konzert am 25. Oktober im Ostpol
Es geht ans Eingemachte inzwischen, aus Gründen, die geläufig sein dürften. Wie den Kopf oben behalten angesichts dessen und nicht verzagen? Die Ratgeberindustrie reagiert bereits und füllt Zeitungsspalten, bestückt reihenweise Bücherregale. Eine lohnende Alternative bietet Jens Friebes siebentes reguläres Studioalbum, das nicht nur »Wir sind schön« heißt, sondern schön geworden ist, mit seinen eingängigen Ohrwurmmelodien und waldwiesenbunten Elektronikklängen etwas Einladendes hat. Das war Absicht, gab der Künstler beim Interviewtermin im Büro seines Berliner Schallplattenlabels zu Protokoll.
SAX: Die Elektronik auf »Wir sind schön« wurde von dir allein ausgetüftelt?
Jens Friebe: Platten mache ich eigentlich nie ganz allein. Das Basisteam besteht seit meinem dritten Album immer aus meinem Produzenten Berend Intelmann, mir und Chris Imler. Da es auf der Platte kaum echtes Schlagzeug gibt und ich im Wesentlichen die Drumcomputer programmiert habe, ist mein Anteil an der Produktion diesmal wohl etwas größer. Aber Chris hat viel zusätzliche Perkussion und Synthesizer gespielt und auch den Drumcomputer auf »Die schrumpfende Stadt« beigesteuert. Das erkennt man auch, finde ich, dass das ein Chris-Imler-Beat ist. Malonda und Pola Lia Schulten singen die markanten Chöre, Herman Herrmann spielt Bass.
SAX: Wunderbar ist auch der Blechbläsersound, der nirgendwo sonst vorkommt, völlig überraschend aber im allerletzten Song »Nicht nach Haus«. Das scheint eine Trompete zu sein?
Jens Friebe: Das ist auch Chris Imler, keine echte Trompete, ein Chaos pad oder so was. Live wird eine echte Trompete zum Einsatz kommen, gespielt von der Schlagzeugerin, die mich auf Tour begleitet. Und ich spiele ein Gitarrensolo im letzten Song, mein erstes Gitarrensolo überhaupt! Noch nie schien einer meiner Songs nach einem Gitarrensolo zu verlangen, »Nicht nach Haus« brauchte eins.
SAX: Man merkt jedenfalls, dass mit Hingabe gearbeitet wurde und fragt sich, ob die Coronapandemie vielleicht sogar von Vorteil war. Konzerte konnten kaum stattfinden, entsprechend blieb mehr Zeit, sich in Albumproduktionen zu vertiefen?
Jens Friebe: Während der Lockdowns sind wir nicht im Studio gewesen, geschrieben habe ich teilweise schon. Man hört es in »Das Nichtmehrkönnen«, wo ich zwar nicht explizit auf die Lockdowns eingehe, sich die Situation aber widerspiegelt. Den ersten Lockdown nahm ich noch als willkommene Schreibklausur und war einigermaßen produktiv. Als es nach dem zweiten Lockdown schien, dass sich die Lage normalisiert, es dann aber doch nicht so richtig normal wurde, hat es einen Stopp gegeben, wie wenn beim Computer der Ladebalken bei siebzig Prozent einfriert. Es war eine Quälerei, weiterzumachen. Aber wir lassen uns generell für jedes Album reichlich Zeit. Berend Intelmann muss zwischendurch ab und zu andere Jobs übernehmen, Werbung zum Beispiel, und macht mir dafür einen Freundschaftspreis. Die Lücken, die dadurch entstehen, finde ich nicht schlecht. Man kann sich alles noch mal mit Abstand anhören und daran feilen. Bedingt durch die Coronazwangspausen hat es dann doch länger gedauert. Aber das ist nichts Neues, »Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus« war wegen der Streicher ziemlich aufwendig und hat auch länger gedauert.
SAX: Gibt es etwas, das dich die Pandemie generell gelehrt hat?
Jens Friebe: Vielleicht ein bisschen das, was Hannah Arendt über Intellektuelle gesagt hat. Ich will das nicht direkt vergleichen, weil sie sich auf die Nazi-Zeit bezog und ich Leute, die in der Pandemie radikal anderer Meinung gewesen sind als ich, keinesfalls in diese Ecke rücken will. Aber Hannah Arendt sagte, dass Intellektuelle in solchen Extremsituationen verrückter sind, weil sie sich irgendeine Theorie zurechtlegen können und über das, was auf der Hand liegt, hinwegfantasieren. Es hat mich schon fasziniert in einer negativen Weise, wie Intellektuelle völlig unmögliche Positionen bezogen, die mit Querdenkern in Verbindung stehen, und das in hochtrabende, subtile Gedankengebäude zu kleiden verstanden. Ich stritt mich mit Leuten, die ich schätze und von denen ich weiß, dass sie gebildet und klug sind, aber Giorgio Agamben geteilt haben und meinten, von dieser Warte müsste man das doch auch betrachten können, und Giorgio Agamben verglich in seinem Artikel Befürworter von Coronamaßnahmen mit Adolf Eichmann! Ich dachte, irgendwann muss doch Schluss ein. Irgendwann muss man doch sagen, dass das Quatsch ist, gefährlicher Quatsch zudem. Ich war überrascht, wie wenig Bildung und Kultiviertheit davor schützt, völlig wahnsinnige Narrative zu vertreten.
SAX: Ist die Gesellschaft solidarischer geworden? Zu Beginn der Coronapandemie hieß es, dass das passieren würde.
Jens Friebe: Kann ich nicht erkennen, hatte ich aber auch nicht erwartet. Ich bin skeptisch, wenn es in Krisensituationen heißt, dass das auch eine Chance sei. So eskalationstheoretische Positionen gab es ja auch, als Donald Trump US-Präsident wurde. Slavoj Žižek schrieb damals, jetzt könne die Linke zusammenrücken und sich vereint gegen diesen Feind stellen. Wenn etwas Beschissenes passiert, dann ist es etwas Beschissenes. Damit muss man klarkommen und darauf reagieren. Aber das in eine Chance oder sonst wie etwas Gutes umzulügen, finde ich fast ein bisschen spirituell.
SAX: Deine beiden Vorgängeralben »Fuck Penetration« und »Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus« enthalten jeweils mehrere Songs teilweise oder komplett in englischer Sprache. Auf »Wir sind schön« betrifft das lediglich »Sing It To The Converted«. Warum dort der Wechsel vom Deutschen ins Englische?
Jens Friebe: Weil der Vorwurf, ihr predigt zu den Bekehrten, im Deutschen meist auf Englisch angebracht wird. Der Gedanke ist etwas um die Ecke gedacht. Mitunter ist es dringend erforderlich, zu den Bekehrten, zu denen, die schon überzeugt sind, zu predigen. Priester tun das auch. Man denkt immer, alles Mögliche wäre selbstverständlich und muss in Extremsituationen erkennen, nein, was man für zivilisatorische Standards oder humanistische Gemeinplätze hält, das sind plötzlich gar keine mehr und man muss das Banalste noch mal sagen. Auf den beiden Albumvorgängern ist der Wechsel ins Englisch auch ein Versuch gewesen, ob sich nicht doch über die deutsche Sprachgrenze hinaus ein Publikum erreichen lässt. Das hat leider nicht geklappt. Außerdem war es bei »Wir sind schön« so, dass verschiedene offenkundige Stilreferenzen vorliegen. Das Titelstück ist leicht gospelig, »Am Ende aller Feiern« sixtiesangehaucht, Anleihen beim Afrobeat kommen vor. Ich dachte mir, musikstilistisch kennt man die englischsprachigen Originale, da wäre es langweilig, die Songtexte auch noch auf Englisch zu haben. Deshalb fast ausnahmslos deutsche Songtexte auf »Wir sind schön«. Bei »Worthless« von »Fuck Penetration« hatte ich auch zuerst einen deutschen Songtext, der englische klang aber besser. Der Albumtitel auf Deutsch hätte auch nicht funktioniert.
SAX: »Sing To The Converted« ruft also in Erinnerung, was offenbar nicht oft genug in Erinnerung gerufen werden kann?
Jens Friebe: Genau, dort sind Slogans dabei, die einem bekannt vorkommen dürften. Sachen, die banal klingen wie zum Beispiel, dass es kein Verdienst ist, wo man geboren ist. Solche Sprüche oder Zitate aus anderen Songs wie »Raven für Deutschland«, »Wer das Geld hat, hat die Macht«, teilweise abgeschmackte Sachen, bei denen man aber merkt, selbst die abgeschmacktesten Sachen können in Vergessenheit geraten.
SAX: Ein anderer Song heißt »Frei« und ist um eine Definition des Freiheitsbegriffs bemüht.
Jens Friebe: Definition ist vielleicht sehr theoretisch ausgedrückt, aber es geht um die Frage, was unterschiedliche Leute meinen, wenn sie von Freiheit sprechen. Es ist auf der einen Seite eine Stellungnahme gegen einen libertären Freiheitsbegriff, gegen so was wie »Freie Fahrt für freie Bürger« oder »Keine Ein-schränkung meiner Bequemlichkeit wegen vulnerabler Menschen«, was in dieser Coronadiskussion häufig vorkam. Es war mir aber auch wichtig, dass es nicht ein reines Statementlied, nicht bloß ein politisches Argument wird, sondern die Sehnsucht nach Freiheit zum Ausdruck kommt, in einer Tradition, wie es sie bereits gibt. Ich meine, ich würde mich auf gar keinen Fall mit Nina Simone vergleichen wollen, aber der Sache eine emotionale
Dimension zu geben, wie sie in ihrem »I Wish I Knew How It Would Feel To Be Free«, daran war mir gelegen, weil ich das rein Essayistische meistens nicht so toll finde. Obwohl ich das auch schon gemacht habe, »Deutsches Kino« von meinem Debütalbum »Vorher Nachher Bilder« wäre so was, ein kulturjournalistisches Lied, was super ankommt, aber nicht unbedingt mein Bestreben ist.
SAX: Wie würdest du Freiheit für dich persönlich definieren?
Jens Friebe: Für mich ist Freiheit eben nicht, dass jeder machen kann was ihm beliebt, sondern, dass man in einem Zusammenhang existiert, in dem man das Gefühl hat, man kann etwas Sinnvolles beitragen und in gewisser Weise mitbestimmen, worin das, wozu man beiträgt, besteht.
SAX: Wie ist das Frontcover des Albums zu verstehen? Das Schöne, verkörpert durch dich mit dem Blumenkranz auf dem Kopf, ist bedroht durch die pechschwarze Dunkelheit im Hintergrund?
Jens Friebe: Das Cover sollte etwas von dem widerspiegeln, worum es auf dem Album geht, dass die Abgründe, die Finsternis real sind. Aber es sollte am Ende schon eine tröstliche, einladende humanistische Vision sein, ohne unnötiges Pathos. Angelehnt ist das Cover an das Filmplakat zu einem tschechischen Film aus den Sechzigerjahren. »Daisies« von Veˇra Chytilová. Diese Avantgarde aus dem Ostblock hat etwas Fröhlicheres als vergleichbare Filme aus dem Westen, auch wenn sie gleichzeitig gern so ein bisschen spooky sind. Diese passte gut zu dem, was ich als Atmosphäre in den Songs höre.
Interview: Bernd Gürtler
Jens Friebe 25. Oktober, 20 Uhr, Ostpol, Karten bei SaxTicket und saxticket.de