Die Großen im Kleinen

Das Polimagie Festival vom 12. bis 16. April im Ostpol und Beatpol

Schlappe vier Jahre musste das Polimagie Festival notgedrungen pausieren. Nach so langer Zeit den Faden aufzugreifen, sagen Luisa Mühl und Carsten Becker vom Beatpol, fühle sich an wie ein Neustart. Unter verschärften Bedingungen wohlgemerkt, denn während der coronageschuldeten Zwangsunterbrechung sind die Kosten für Gagen, Energie, die gesamte Festivalproduktion gestiegen und schwer abschätzbar nach wie vor, ob das Stammpublikum zurückkehren wird beziehungsweise sich neue Publikumskreise erschließen lassen. Verständlich von daher, dass beschlossen wurde, sicherheitshalber zu klotzen anstatt zu kleckern, um das Festival wieder ins Bewusstsein zu rufen.

Zweiundzwanzig Künstler an fünf Tagen auf drei Bühnen in zwei verschiedenen Spielstätten stehen zur Debatte, beginnend mit dem britisch-mexikanischen Rockgespann Tom Allen & The Strangest aus Essen, den soulhaften, deutsch-kanadischen Monako sowie Rolf Blumig. Wegen gewisser Schlageranlehnungen gilt der Wahlleipziger als Wiedergänger von Manfred Krug, gehört aber eher mit Bryan Ferry und Roxy Music verglichen. Bevor seine Musikerkarriere Kontur bekam, studierte Ferry Kunst bei Richard Hamilton, einem Pionier der britischen Pop Art und schrieb später für Roxy Music »Virginia Plain«. Der Songtext verbindet verschiedenste visuelle Eindrücke ähnlich Hamiltons berühmter Kollage »Just What is It That Makes Today’s Homes So Different, so Appealing?«; nicht anderes verfährt Rolf Blumig mit den diversen, in seinen Songs verarbeiteten Musikstilformen.

Der Dreierhopp des Polimagie-Eröffnungsabends geht im Ostpol über die Bühne, die Konzerte der Folgetage sämtlichst im Beatpol, wo wie zum seligen Striezelbeat eine zweite Bühne eingebaut sein wird. Das Programmkonzept bleibt dasselbe, versichern Luisa Mühl und Carsten Becker. »Wir bedienen keine bestimmte Sparte. Bei uns ist die Relevanz die Sparte, das, was verschiedene Publikumsfraktionen im Moment gern sehen wollen. Die Leute können an einem Ort zusammenkommen und pro Abend drei bis fünf unterschiedliche Bands erleben, deren Unterschiedlichkeit kaum ins Gewicht fällt, weil das Qualitätsniveau jeweils auf dasselbe hinausläuft. Das Festival ist eine komprimierte Version unseres übrigen Programms und auf Augenhöhe mit Haldern Pop, Maifeld Derby oder Roskilde. Wir sind die großen Festivals im Kleinen.«

Ein Blick auf die gebuchten Künstler verrät: Hochgestapelt ist das keineswegs. Holy Moly And The Crackers wissen noch, wie der Folkrock ihrer Anfangstage im nordenglischen Newcastle geht, leisten sich ihrem jüngsten Album »Gold« zufolge inzwischen aber einen breitwandigen, epischen Kraftrock. Die Wahlhamburgerin Lina Brockhoff trifft laut ihrer Konzertagentur mit »einer Mischung aus Indierock und bittersüßem Pop in Kopf und Herz«. Jay McAllister alias Beans On Toast, vertritt die nachhaltigkeitsbewusste Gesellschaftskommentarfraktion Großbritanniens. Sein Album »The Inevitable Train Wreck« von 2019 enthielt Songs zur Lage der britischen Nation und der Restwelt. »On + On« betraf den Klimawandel, das Video dazu wurde gedreht in London auf einer Protestdemo von Fridays For Future.

Mit Shelterboy ist ein prominenter Lokalmatador vertreten. Das in Wien beheimatete Trio Sharktank bietet laut Webmagazin The Postie »atmosphärische Indiesounds, tanzbare Beats, und honigweiche Vocals«. Hinter Warhaus verbirgt sich Sänger und Songschreiber Maarten Devoldere von der belgischen Formation Balthazar, der sich auf seine Art dem Soul verschrieben hat. Die schwedischen Les Big Byrd, eine Supergroup aus Mitgliedern von Caesars, Fireside, Teddybears und Viagra Boys, lassen den westdeutschen Krautrock auferstehen, die belgischen Whispering Sons den britischen New Wave von Wire & Co. Nand, die One Man Band von Ferdinand Kirch aus Würzburg, rekapituliert die Neue Deutsche Welle mit ihrer unübertroffenen Fähigkeit, Emotionen auf die Sachebene herunter zu brechen.

Die New Yorker Moon Hooch sind eine Trioformation aus Schlagzeug und zwei Saxofonen, eine Konstellation, die wirklich nicht alle Tage vorkommt. Henge aus Manchester benannten sich nach den Steinkreisen, wie sie in Großbritannien neben Stonehenge zahlreich aus grauer Vorzeit erhalten geblieben sind und geben sich als kosmische Sendboten, die der Menschheit Frieden und Freude bringen. Sie selbst bezeichnen ihren elektronisch eingefärbten Konzeptrock als Cosmic Dross.

Der Neuseeländer Jonathan Bree gibt den Masked Singer in einer Rocktradition, die lange vor den Residents begann, mit Orion, einem Amerikaner, der aufgrund frappierender Stimmähnlichkeiten fast damit durchgekommen wäre, der auferstandene King Elvis zu sein. De Staat aus dem niederländischen Nijmegen füllen inzwischen ganz andere Veranstaltungsorte. Dasselbe gilt für den gebürtige Thüringer Manuel Bittorf, der mit seinem Darkpop unter dem Künstlerpseudonym Betterov als Shootingstar aus der Coronakrise hervorging und mit SAX Konzerte gerade erst Mitte Februar den Beatpol ganz allein ausverkaufte. Den krönenden Abschluss bildet das Berlin Nylonpunktrio Acht Eimer Hühnerherzen.

Jemanden vergessen? Richtig, Jungstötter und Kavka werden auch auftreten, ebenso Daniel Stoyanov von Malky als Bulgarian Car Trader. Und natürlich Uche Yara, die gebürtige Österreicherin mit nigerianischen Vorfahren, die mit ihrer Mischung aus Grunge und Afrobeat dermaßen für Furore sorgt, dass sie zu den Hauptattraktionen des Polimagie Festivals 2024 gehören dürfte. Im aktuellen Jahrgang findet sie sich noch im Vorprogramm platziert.
Bernd Gürtler

Polomagie Festival 12. April, Ostpol, 13. bis 16. April Beatpol
www.polimagie-festival.de/

Mittwoch 12.4. Ostpol
Tom Allan And The Strangest (UK/MEX/D), Monako (D), Rolf Blumig (D)

Donnerstag 13.4. Beatpol
Jonathan Bree (NZ), Jungstötter (D), Holy Moly And The Crackers (UK), Brockhoff (D), Beans On Toast (UK)

Freitag 14.4. Beatpol
Betterov (D), Warhaus (B), Les Big Byrd (S), Uche Yara (A), Henge (UK)

Samstag 15.4. Beatpol
De Staat (NL), Shelterboy (D), Moon Hooch (USA), Sharktank (D), Bulgarian Car Trader (D)

Sonntag 16.4. Beatpol
Acht Eimer Hühnerherzen (D), Nand (D), Whispering Sons (B), Kavka (D)