Die faszinierende Welt des Offbeats
Ein SAX-Gespräch mit Thomas Hellmich von Yellow Umbrella vor den finalen Konzerten
Nach fast auf den Tag genau 30 Jahren ist Schluss mit Offbeat: Am 26. Januar verabschieden sich Yellow Umbrella in Dresden in die Reggae-Rente, einen Tag später dann in Leipzig. Ungezählte Konzerte, neun Studioalben, zwei Liveplatten, eine Veröffentlichung von Remixen, ein paar EPs sowie eine DVD vom monumentalen Konzert bei den Filmnächten am Elbufer 2003 stehen zu Buche. Nicht zu vergessen sind mehrere Bücher und viele Shows mit dem Reggaehasen Boooo, megaaufwendige Nikolaus-Reggae-Partys oder das Engagement gegen jede Art von Rassismus und Diskriminierung. Zum Ende gibt es zwei Alben – ein gelbes und ein schwarzes. Das soll noch einmal gefeiert werden. Nicht nur darüber sprach Uwe Stuhrberg mit dem dienstältesten »Regenschirm«, dem Posaunisten Thomas Hellmich.
SAX: Yellow Umbrella treten mit großer Geste ab in eine unbestimmte Pause, von der man nicht weiß, ob sie endet – die Band legt gleich zwei Alben auf den nachweihnachtlichen Gabentisch. Warum dann kein Doppelalbum?
Thomas Hellmich: Irgendwie fanden wir die Ansage, zwei Alben herauszubringen, cooler, als ein dann doch gedrängt wirkendes Doppelalbum. Und wenn man sich die Optik ansieht, dann hat das ja auch was mit Schwarz und Gelb und dieser Stadt. Dazu gibt es ja auch zwei unterschiedlich farbige Poster zum Konzert. Ähnlichkeiten mit einem real existierenden Fußballverein sind natürlich rein zufällig.
SAX: Aber offensichtlich war ausreichend Material für zwei Alben da – insgesamt sind es 18 Stücke, auf jeder Platte neun.
Thomas Hellmich: Da waren noch einige Songs, die wir bei früheren Produktionen nicht fertigbekommen hatten, um die es aber viel zu schade war. Insgesamt ist das aber mit dem großen Aufwand ein Dankeschön an die Fans, denn wirtschaftlich ergibt das keinen Sinn.
SAX: Wie wurden die Titel nach den Farben sortiert, was kam auf Gelb, was auf Schwarz? Auf den ersten Blick sieht man nur, dass als Gast bei »Yellow« Longfingah dabei ist und auf »Black« Brandy San Marino.
Thomas Hellmich: Es gibt zwei Querverweise in den Titeln »Yellow Card« und »Black Sheep«. Ansonsten ist das »Yellow Album« etwas moderner gehalten, zeitgemäßer Reggae. »The Black Album« ist etwas Roots-orientierter, klarer am Rocksteady, entspannt am Jamaika-Sound dran.
SAX: Es ist aber auf beiden LPs nichts drauf, was auch schon auf anderen Alben enthalten war?
Thomas Hellmich: Es sind alles bisher unveröffentlichte Songs, was Alben betrifft. Die zwei Singles, die wir seit »Hooligans of Love« veröffentlicht haben, sind aber mit drauf, wobei wir »Test Of Time« als »Black Version« noch einmal neu aufgenommen haben. Den Song hatte während der Corona-Zeit jeder für sich in seinem Keller produziert, deshalb haben wir ihn jetzt noch einmal live im Studio aufgenommen. Mit »Black Sheep« und »Habits« sind auch zwei Coverversionen dabei, beide mit Brandy San Marino am Mikrofon.
SAX: Es gab 2023 kein Festival auf dem Konzertplatz Weißer Hirsch. Wurde das schon im Hinblick auf das letzte Konzert im Beatpol weggelassen?
Thomas Hellmich: Das hatte ganz andere Ursachen. Wir konnten den Reggeahasen nicht mehr aufführen, weil wir uns von den Puppenspielern getrennt haben. Wir sahen ja unser Konzert eher so als Auftakt und »Hase & Hirsch« war das eigentlich Wichtige (zwinkert, d.R.), Boooo war schließlich der Namensgeber und Hauptprotagonist. Ohne die Puppenspieler ging das jedoch nicht mehr. Die letzten Klubshows in Dresden und Leipzig waren da aber schon lange gebucht. Damals war das auch noch nicht so als Finale geplant, es sollte ein Klub-Wochenende in unseren beiden Heimatstädten sein. Die Entscheidung für den Abschied im Januar fiel erst später.
SAX: Die Ankündigung klingt schon sehr nach Abschied, enthält aber auch ein leises Sag-niemals-Nie. Täuscht der Eindruck?
Thomas Hellmich: Die emotionale Theatralik des Abschiednehmens haben wir ja schon einmal verbraucht, das können wir also nicht noch einmal zelebrieren. Also haben wir diesmal nicht so auf die Tränendrüse gedrückt, sondern sind etwas nüchterner herangegangen. Fakt ist aber: Es ist erst mal Schluss, den wir auch kreative Pause nennen.
SAX: Im Sommer 2003, vor etwas mehr als 20 Jahren, seid ihr bei den Filmnächten am Elbufer wortwörtlich eingeritten. War das – Festivals ausgenommen – euer größtes Einzelkonzert?
Thomas Hellmich: Ich denke ja, da waren knapp 10.000 Menschen dabei. Es gab damals sogar die Idee, direkt auf die Bühne reiten, was aber aus naheliegenden Tierschutzgründen wieder fallengelassen wurde.
SAX: Noch einmal knapp zehn Jahre zuvor, am 22. Januar 1994, ging es mit Yellow Umbrella mit einem Konzert im Bärenzwinger los, damals noch mit einer Sängerin. Das Englisch war eben wie es war damals im Osten, aber die Begeisterung an der Musik ist noch heute auf dem ersten, sehr frühen Demotape zu hören. Von der ersten Besetzung ist schon lange niemand mehr an Bord, du bist mit Posaunen-Amtsantritt im Mai 1995 der Dienstälteste in der Band. Kannst du dich noch an dein erstes YU-Konzert erinnern?
Thomas Hellmich: Klar. Das war im Vorfeld der BRN ’95 auf einer Freifläche an der Kreuzung Alaunstraße/Louisenstraße, auf der später das Espitas und jetzt ein Burger-Restaurant steht. Damals suchte die Band eine Posaune und eine Trompete. Ich war damals vor allem in der klassischen Musik unterwegs, fand das aber interessant, habe mich beworben und bin schließlich dabeigeblieben.
SAX: Hattest du vorher schon eine Beziehung zum Offbeat?
Thomas Hellmich: Ja, aber eher zum Ska, das habe ich schon gehört. Aber Reggae war für mich ziemlich neu – da hat sich mir eine neue, sehr faszinierende Welt erschlossen, inklusive der Beschäftigung mit diesem Universum. Als ich dann die Skatalites zum ersten Mal gehört und später dann auch live gesehen habe, war das wie eine Erleuchtung. Dazu kommt: Das ist eine für Bläser sehr dankbare Musik. Man ist vorn mit dabei, hat ständig was zu spielen und alle tanzen.
SAX: Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre gab es ja eine regelrechte Ska-Welle, eine Musik, die auch von vielen Skinheads gehört wurde. Da gab es sicher auch einige Verwirrungen. Ich selbst kann mich an ein Konzert mit Laurel Aitken in der Radebeuler »Sekte« erinnern, das voller Bomberjacken und Glatzköpfe war.
Thomas Hellmich: Da waren nicht nur die »guten« Skinheads unterwegs. Ich selbst war auch bei dem Konzert und habe vor der »Sekte« auf die Fresse bekommen. Ich kam ja aus dem Gothic-Bereich und war auch so angezogen. Das reichte damals schon – man kam aus der falschen Ecke, war allein, hatte das Falsche an. Ich weiß nicht, wie oft ich in den Neunzigern diese Probleme mit Skinheads hatte. Es kamen dann auch welche zu den Yellow-Umbrella-Konzerten – und es waren nicht nur die »korrekten«. Irgendwann hatte sich das dann erledigt, aber die Anfangsjahre der 1990er waren schon hart.
SAX: Was hat dich an Yellow Umbrella fasziniert?
Thomas Hellmich: Es gab, angeregt vom damaligen Sänger und Gitarristen Enrico Mildner, den Gründungsvertrag, dass die Band 50 Prozent Reggae und 50 Prozent Ska spielt. Ursprünglich sollte das Repertoire nur aus Ska bestehen, so Two-Tone-orientiert. Aber Enrico wollte unbedingt auch Reggae spielen. Die Idee war – langfristig gesehen – gut, damals sind wir aber sofort zwischen die Fronten geraten. Vor allem die Dresdner Skinheads konnten mit dem langsamen Reggae nichts anfangen. Ich selbst fand das absolut faszinierend. Mit dem Konzept, gleichzeitig Reggae und Ska zu spielen, waren wir der Zeit vielleicht auch etwas voraus. Heute zieht niemand mehr diese harten Grenzen. Allerdings gab es seinerzeit diese Diskussion nur in Ostdeutschland – in Westdeutschland, Frankreich oder später Polen war es selbstverständlich, dass man als Ska-Fan beides gehört und als Ska-Band beides gespielt hat.
SAX: Das Spezielle bei euch war aber auch, dass ihr irgendwann noch eine Brücke zur osteuropäischen Musik geschlagen habt.
Thomas Hellmich: Da steckte kein Plan dahinter, wir fanden einfach die Musik gut. Als nach Enricos Weggang Jens Strohschnieder Sänger und Hauptsongschreiber wurde, floss das mehr und mehr ein. Zudem hatten wir damals einen Saxofonisten, der dieses Klezmerhafte sehr gut spielen konnte. Und dann gab da es ja auch eine ganze Zeit lang das Seitenprojekt S.K.Å.L!, in dem wir Ska und Klezmer vermischt haben.
SAX: 2008 erschien mit »Same Same – But Different« ein Remix-Album mit euren Songs, beteiligt waren unter anderem Letzte Instanz, Dr. Ring-Ding und einer, der heute ein ganz Großer im Hip-Hop-Geschäft ist.
Thomas Hellmich: Ja, Trettmann, damals noch Ronny Trettmann. Zu der Zeit ging das bei ihm los, dass er nicht mehr nur dieses Spaßzeug mit Dialekt gemacht hat. Da kamen auch Inhalte dazu und der Sound ging Richtung Dancehall. Später hat er auch bei unserem Song »No Pegida« gesungen.
SAX: Kurz vor den Wendetagen entstanden die großartigen Messer Banzani, beheimatet in Dresden und Leipzig. Die Band um Leander »Lanni« Topp waren in vieler Hinsicht der Türöffner für Offbeat hier in der Region. Hatte diese eine Art Vorbildfunktion für euch?
Thomas Hellmich: Vor allem am Anfang waren das schon Vorbilder für uns. Wir haben uns das angeguckt und auch zu denen aufgeguckt, aber irgendwann fanden wir unseren eigenen Weg. Wichtig waren damals aber auch Michele Baresi oder Ten Colors. Eine Weile hat ja der Gitarrist von Michele Baresi auch bei uns gespielt.
SAX: Wie lange spielt eigentlich die heutige Besetzung schon zusammen?
Thomas Hellmich: Zählen Gitarristen auch? (zwinkert, d.R.) Auf der Position hatten wir nämlich die meisten Wechsel, deutlich weniger bei Trompete und Saxofon. Aber die Grundbesetzung mit Jürgen am Bass, Jens an Keyboards und Gesang sowie mir an der Posaune spielt seit 1997 zusammen. Gero am Schlagzeug ist seit 2000 dabei.
SAX: Wie funktioniert euer Songwriting-Prozess? Ist – oder man muss ja sagen – war da Jens Strohschnieder das bestimmende Element im Klangkörper?
Thomas Hellmich: Jens ist klar der Haupt-Songschreiber. Manchmal kommt er mit einem fast fertigen Song, dann ist es eine Melodie, ein Riddim. Manches landet schnell im Programm oder kommt auf ein Album, anderes braucht Jahre. Viele dieser seit langer Zeit schlummernden Stücke sind nun endlich auf den beiden neuen Alben zu hören.
SAX: Wird über Texte diskutiert oder ist das die alleinige Sache des Sängers?
Thomas Hellmich: Texte sind die Hoheit von Jens. Aber es interessiert uns schon manchmal, was seine Intentionen sind, damit wir als Musiker das auch musikalisch auf den Punkt bringen können.
SAX: Im Live-Geschehen sind Festivals eine wichtige Sache. Man trifft neues Publikum, aber auch andere Bands. Was war euer erstes Festival?
Thomas Hellmich: Das war in Freiberg das damalige Flower Power Festival. Später haben wir auf allen großen Festivals des Genres gespielt – von Summerjam über Rototom Sunsplash, This is Ska, Chiemsee Reggae und Mighty Sounds in Tschechien bis zu den großen polnischen Festivals Ostroda, Bielawa oder Przystanek Woodstock – heute Pol’and’Rock –, um nur einige zu nennen.
SAX: Wird man dort noch immer dort als Band aus dem Osten wahrgenommen oder hat sich das erledigt?
Thomas Hellmich: Das ist noch immer so, das ist zumindest mein Eindruck. Und das, obwohl von uns nur zwei im Osten geboren wurden. Diese Wahrnehmung hat es uns im Westen nicht immer leicht gemacht. Inzwischen hat es sich etwas entspannt, aber wenn du als Band aus Dresden schreibst, bist du eben Ossi. Um es mit Ronny Trettmanns YU-Remix zu sagen: »'s iss soe«.
SAX: Ihr habt seit sehr langer Zeit eine besondere Beziehung zu Frankreich. Kam das durch euren Saxofonisten Bernard?
Thomas Hellmich: Das ist viel früher passiert und war – wie so vieles im Leben – Zufall. Bei einem Konzert in Berlin begegneten wir einer französischen Festivalveranstalter-Crew, die uns zum Festival »Dance Ska La« nach Rennes in der Bretagne einlud. Das Publikum dort ist bei unserer Show förmlich explodiert. Wir bekamen daraufhin in Frankreich einen Plattenvertrag, eine Bookingagentur und ein Management – alles, was wir zu Hause nicht hatten. Nach der ersten Trennung unserer Band benötigten wir beim Comeback einen Saxofonisten, weil unser bisheriger zwischenzeitlich Moop Mama mitgegründet hatte. Da haben wird einfach Bernard gefragt, der nun seit 18 Jahren für jede Probe und jedes Konzert aus Frankreich zu uns kommt. Air France ist mittlerweile ein guter »Freund« von uns.
SAX: Viele Bands lebten maßgeblich auch vom Tonträgerverkauf, bei dem die CD-Basis aber mittlerweile weitestgehend zusammengebrochen ist. Nur Vinyl verkauft sich noch einigermaßen, ansonsten wird gestreamt. Wie seid ihr da aufgestellt?
Thomas Hellmich: Das hat auch uns hart getroffen. Es ist sowieso schon schwer genug, als Indieband in einer Nische wirtschaftlich zu arbeiten. Das digitale Geschäft gleicht den Einbruch beim Tonträgerverkauf in keiner Weise auch nur annähernd aus. Aber es hat auch keinen Sinn, zu jammern – es ist eben wie es ist.
SAX: Was wird bei den letzten beiden Konzerten passieren? Wird es Gäste geben?
Thomas Hellmich: Es wird Gäste und Überraschungen geben, ja. Aber im Grunde soll die Band Yellow Umbrella noch einmal im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Deshalb wollen wir kein übergroßes Rambazamba veranstalten, sondern noch einmal mit den Fans die Musik feiern.
SAX: Und danach?
Thomas Hellmich: Ich werde sicher weiter Musik machen, meine drei Kinder spielen ja auch Instrumente. Jens hat immer mehr mit seinen TV-Produktionen zu tun, Jürgen hat seine Bulli-Klinik in Sacka und alle anderen spielen sowieso in diversen Projekten und Bands. Man wird sich sehen und von uns hören.
Interview: Uwe Stuhrberg
Yellow Umbrella 30 Jahre Bandgeburtstag, Album-Release, Abschiedskonzerte, 26. Januar, Beatpol, 27. Januar, Werk 2 (Leipzig), www.yellowumbrella.de