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Die Türen pflegen eine sträflich vernachlässigte Kulturtechnik

Zweifellos, "Exoterik" ist ein phantastisches neues Album! Selbstverständlich nicht ohne einen ordentlichen intellektuellen Überbau bei einer Band, die zum Mitdenken einlädt. Wobei der Grundgedanke, hinterlegt im Albumtitel, kein übertrieben verstiegener ist und hervorragend mit der beim westdeutschen Krautrock abgelauschten Spielauffassung korrespondiert. Den Interviewtermin bestreitet Maurice Summen, der Bandchef und darüber hinaus Betreiber des Schallplattenlabels Staatsakt, das, was die Qualität des Repertoires angeht, direkt an ZickZack Records, What's So Funny Abou beziehungsweise L'age d'Or anknüpft. Die Türen veröffentlichen seit 2004 bei Staatsakt, wenn auch unterbrochen von jeweils längeren Pausen.

Bleiben wir zunächst beim Albumtitel und halten uns an Lehrer Bömmel aus der "Feuerzangenbowle, wenn er im Physikunterricht auf seine eigene Frage "Wat is 'ne Dampfmaschin'" im schönsten Rheinländisch sich selbst antwortet "Da stelle ma uns mal janz dumm". Also in welchem Sinne wird der Begriff "Exoterik" im Zusammenhang mit dem neuen Die-Türen-Album verwendet?
Der griechische Philosoph Aristoteles und seine Mitstreiter saßen so manches Mal beisammen und führten tiefschürfende Debatten. Irgendwann dachten sie, vielleicht sollten wir den Leuten mitteilen, worüber wir reden. Wie könnten wir das am besten anstellen? Indem wir Schriften verfassen, das könnte doch ein geeignetes Mittel sein. Bereits Aristoteles bezweifelte, dass das funktioniert. Das, was wir in unserem Zirkel besprechen, argumentierte er, geht über das Besprochene hinaus. Ein bestimmter Geist steht im Raum, der sich nicht abbilden lässt. Und je breiter das Publikum, an welches sich die Schriften wenden, umso mehr verwässert das Gesagte. Die geschlossene Gruppe, den Expertenkreis, der sich tief in die Materie einarbeitet, bezeichnete Aristoteles als esoterisch, die Außenstehenden als exoterisch. Dank Internet leben wir heute in einem exoterisch geprägten Zeitalter. Ohne nennenswerten finanziellen Aufwand kann sich prinzipiell jeder über Onlineenzyklopädien wie Wikipedia das gesammelte Wissen der Menschheit aneignen. Natürlich birgt das auch Gefahren, wenn sich beispielsweise Donald Trump auf Twitter zu komplexen Themen als Experte ausgibt. Klar, viele folgen seinem Account, weil das, was da geschrieben steht zwar dämlich, aber unterhaltsam ist. Man darf aber nicht vergessen, dass es nicht wenige sind, die glauben was sie lesen.

Mit anderen Worten, exoterisch bedeutet, dass Teilhabe ohne esoterisches Insiderwissen möglich ist.
Genau, Geheimwissen ist keins erforderlich, du verstehst das auch so. Rockmusik zum Beispiel erfüllt auch dieses Kriterium.

Eben, Rockmusik ist von jeher eine exoterische Kunstform, zugänglich für jedermann und über Jahrzehnte ein soziales Medium, das Gleichgesinnte zusammenbrachte.
Absolut, wir verwenden bloß einen in Vergessenheit geratenen, bildungsbürgerlichen Begriff. Bei Esoterik wissen die meisten sofort Bescheid, oder glauben Bescheid zu wissen. Exoterik, das war lange nicht so präsent. Lustigerweise dachten viele selbst in meinem Umfeld, der Begriff sei eine Wortschöpfung. Ist es aber nicht. Ich mag es, alte Wortschätze auszugraben. 2019 scheint ein gutes Jahr, Exoterik neu auf die Tagesordnung zu setzen.

Rock selbst ist exoterisch, eine Rockband dann wohl eher ein esoterischer Zirkel von Insidern?
Ja, und man versucht das Lebensgefühl innerhalb der Gruppe mit Außenstehenden zu teilen. Für uns gilt, dass das, was wir zusammen erleben, das tollste ist. Und ich denke, dass wir das diesmal sehr gut vermitteln konnten. Auf dem Tonträger finde ich mich wieder. Die Konzerte sind noch um einiges intensiver. Kann sein, dass jemand, der nicht dabei war meine Begeisterung schwer teilen kann. Aber Missverständnisse sind auch willkommen.

Bei frühen Die-Türen-Alben oder auch bei deinem Soloprojekt Maurice & Die Familie Summen schien es, als würden die Beteiligten ein bestimmtes musikalisches Vokabular aus Rock, Soul oder Funk hervorragend beherrschen, es aber einsetzen um die Stilformen, übertragen auf deutschsprachige Songtexte, nachzuempfinden. Bei "Exoterik" gelingt es Musikern, die inzwischen über einen unerschöpflichen Stilmittelfundus verfügen, etwas sehr Eigenständiges entstehen zu lassen, das um seiner selbst willen existiert.
Das denke ich auch. Wir hatten uns die letzte Woche im August, der heißesten Woche des vergangenen Jahres im Festsaal des Gasthofs zur Eisenbahn in Ringenwalde in der Uckermark eingemietet und alles dort in diesem Raum entstehen lassen. Kein einziges Stück war im Vorfeld ausformuliert, alles wurde von uns vor Ort gemeinsam entwickelt. Wir wollten das bewusst im Kollektiv erschaffen. Welche andere Kunstform bietet schon diese Möglichkeit? Im Rock geht das. Die Musik auf "Exoterik" ist aus dem Improvisationsfluss heraus geformt worden und meiner Meinung nach einer fertigen Komposition weit überlegen. Eine individuelle Handschrift lässt sich schwer ausmachen. Teilweise wissen wir selbst nicht mehr genau, wer was beigesteuert hat. Sogar ich kann mir das Album gut anhören, weil sich mein Ego nirgendwo wiederfindet.

Die Musik enthält zahllose Referenzen, die zu erwähnen kaum Sinn macht, weil es darum nicht geht. Um eine Vergleichsgröße freilich führt kein Weg herum, die Kölner Krautrockformation Can. Deren Instant Composing, das Entwickeln von Kompositionen aus der freien Improvisation heraus, scheint eine wichtige Inspiration für euch gewesen zu sein.
Can brachten uns das bei, richtig. Das heißt nicht, dass wir in Zukunft keine Songs mehr schreiben. Überhaupt nicht, wir lieben Songs. Diesmal jedoch wollten wir keine einsamen Schreibtischtäter sein, nicht jeder für sich mit der Gitarre auf der Bettkante sitzen. Wir wollten etwas gemeinsam erschaffen. Was sich auf dem Album befindet, hätte keiner von uns alleine zustande gebracht. Eine Gemeinschaft stützt in gewisser Weise auch. Eine wichtige Aussage gerade heute, wo wir mit einer massiven Zwangsindividualisierung konfrontiert sind. Wir wollten sagen, seht her Leute, wenn etwas im Kollektiv entsteht, entsteht etwas anderes als gewöhnlich. Aber das ist auch großartig.

Stimmt, und es sind eben auch reale Menschen, die etwas gemeinsam hervorbringen, keine virtuellen Facebook-Persönlichkeiten.
Auf jeden Fall, es gibt dieses Bedürfnis, gemeinsam Musik zu machen, gemeinsam Theater zu spielen. Das ist etwas sehr Spezielles, im Netz kann ich immer auch jemand völlig anderes sein. Es entsteht etwas grundlegend anderes, wenn sich Menschen zusammentun. Wieder zurück in Berlin, wurden die Einspielungen aus Ringenwalde editiert. Auch ähnlich wie bei Can oder Faust, deren Alben schlussendlich wie beim Film am Schneidetisch entstanden sind. Sieben Stunden Rohmaterial wurden für ein vinyles Dreifachalbum aufbereitet. Ansonsten ist "Exoterik" nur als Download veröffentlicht, nicht auf CD.

Durch dass es keine klassischen Songs gibt auf dem neuen Album, entsprechend auch keine der üblichen Songtexte sondern nur sporadisch hingeworfene Slogans, erschwert das einerseits zwar das Verständnis, erleichtert vielleicht aber einem Publikum den Zugang, dass sich die Band und ihre Themen erst noch erschließen will.
Es wäre aber eben auch schwierig gewesen, sowas wie "Miete, Strom, Gas" in eine traditionelle Songform zu bringen. Man hätte eine Songfigur gebraucht und die beobachtet wie sie zum Beispiel ihren Job verliert und ins Bodenlose stürzt. Schwierig umzusetzen, und wer uns kennt, weiß, was gemeint ist.

Woher kommt eigentlich der Bandname Die Türen? Bezieht sich das auf die amerikanische Rockband The Doors, die sich wiederum nach Aldous Huxleys Drogenessay "The Doors Of Perception" benannten?
Kurioserweise heißt die Huxley-Schrift in der deutschen Übersetzung "Die Pforten der Wahrnehmung". Wir hätten uns Die Pforten nennen müssen, wenn die Doors Pate gestanden hätten.

Aber es geht bei Die Türen darum, die Sinne zu schärfen, für gesellschaftliche Belange freilich eher?!
Das auf jeden Fall. Das ist das, was ich an guten Rockbands schätze, dass sie eine andere Seite von etwas aufzeigen.
Bernd Gürtler

Die Türen
www.dietueren.de