Hipster unterm Sputnikhimmel
Michael Wüstefelds »Post-Beat-Gedichte«
»Alle Götter gestorben, alle Schlachten geschlagen …« glaubten die Stimmführer der »Lost Generation«, die sich nach dem Weltkrieg Nummer I anschickten, die amerikanischen Zeitschriften, die literarischen Magazine und den Buchmarkt zu dominieren: Ernest Hemingway zuvörderst mit seinem Roman »Fiesta« und F. Scott Fitzgerald, dem die Weltliteratur den »großen Gatsby« verdankt. Als legitime Erben der »Verlorenen« zu gelten, diesen Anspruch erhoben nach dem Weltkrieg Nummer II jene Autoren, die sich – »unkonventionell, spontan, chaotisch und überaus kreativ« – als »Heroen der Subkultur« feierten: Jack Kerouac, Allen Ginsberg oder Lawrence Ferlinghetti, die noch in den späten Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts, nach dem allmählichen Verblassen ihrer Werke, prägenden Einfluss auf die deutschsprachige Popliteratur und deren explizite Vertreter Rolf Dieter Brinkmann, Jörg Fauser und Jürgen Ploog ausübten.
Zum standfestesten Heger und Bewahrer der Werke von Kerouac und Co, entwickelte sich im deutschsprachigen Raum von 1999 an das kleine Verlagsunternehmen Stadtlichterpresse, welches sein Kerngeschäft auf die Herausgabe der hartnäckig und sukzessive ergänzten »Bibliothek der Beat-Generation« ausgerichtet hat und dennoch nicht vollständig auf die Edition von Werken deutscher Autoren verzichtet. So zählt seit kurzem der Dresdner Lyriker Michael Wüstefeld mit einer stringenten Auswahl »Post-Beat-Gedichte« zum stabilen Stadtlichterpoetenkreis.
Wüstefeld, hineingeboren und hineingewachsen in die abebbende Nachkriegszeit, knapp nach der deutschen Teilung, in jene Jahre mithin, da Kerouac die Urfassung des Huckleberry Finn-Romans »On the Road« auf gerolltes Fernschreibpapier hämmerte, Ferlinghetti die City Lights Buchhandlung in San Francisco eröffnete, ein besternter Sputnik piepsend durch den Äther rollte, während der Dichter Allan Ginsberg davon unberührt aber stimmgewaltig damit begann, die Verfechter der wohltemperierten Poesie mit seinem markerschütternden »Geheul« zu schrecken. Bei diesen Vorzeichen war es naturgemäß gewiss kein wirkliches Wunder, dass Wüstefeld, wenngleich Jahrzehnte später, im Debütband »Heimsuchung« schamlos bekannte: »Immer wieder gehe ich durch / Ginsbergs Gärten der Erinnerung/ … in den durchnummerierten Straßen / einer aufregend langweiligen Geometrie / … Und ebenso kein Wunder, dass M.W. der bislang namenlose Dichter, anno 1987 vom ahnungslosen Dresden im geteilten Deutschland aus, sich anzumaßen wagte, seinen brüderlichen Gebetsmühlengruß an L. F. in den Vereinigten Staaten zu senden: »Ich grüße dich L. F. / der du mich erreichst im schönen September / sind deine Verse über mich gekommen / aus meterhohem Wasser / des gesalznen Ozeans zwischen uns / aus ungelesnen Büchern / ihrer hellen Verbrennung im Draht zwischen uns / aus gelebter Fremde / deiner und meiner Macht zwischen uns / …«
Beide an dieser Stelle bruchstückhaft zitierten Texte finden sich in der Sammlung »Nachschlag« neben fünfzehn weiteren, allesamt lange nachklingenden »Post-Beat-Gedichten«, (»Dylan neben dem Ehrenmal«, »Bericht des europäischen Domestiken« und »Mit Brinkmann in Fürstenau« darunter) sinnvoll ergänzt durch das lesenswerte Geleit des Bremer Dichters Uwe Herkt und Wüstefelds erhellende »Postnotate«, aus denen u. a. zu erfahren ist: »Weshalb mir also die Gedichte der Beats und Freaks in mein Gehirn stürmten und von dort allmählich zum Herzen hin absanken, das vermag jetzt, Jahrzehnte später, niemand mehr genau zu sagen, fest steht nur, es geschah, als Bücher zu einer außerordentlich gefragten, zwar nicht vom Aussterben, aber immerhin doch bedrohten Spezies gehörten, weil sie als ‚Geschenksendung. Keine Handelsware!‘ nicht nur gegen Zollgrenzen, sondern auch gegen verordnete Erkenntnisgrenzen anrannten.«
Norbert Weiß
Michael Wüstefeld: Nachschlag Post-Beat-Gedichte Stadtlichter Presse Wenzendorf, 14 Euro