Herz im Anschlag

Neue Gedichte von Volker Sielaff

Volker Sielaff, der in der Lausitz geboren wurde und heute als Schriftsteller und Publizist in Dresden lebt, debütierte 2003 mit dem Gedichtband »Postkarte für Nofretete«. Nun, knapp anderthalb Jahrzehnte später, legt er seine mittlerweile vierte kompakte Lyrik-Veröffentlichung »Barfuß vor Penelope« auf den Tisch, deren Titel wiederum (da entpuppt sich Sielaff als Wiederholungstäter) auf eine ausgewachsene Antikenaffinität des Dichters schließen lassen könnte, was sich allerdings recht bald als Trugschluss erweisen dürfte, denn der Dichter fühlt sich Heutigem verpflichtet und (er selber formuliert es so): »Ich bin in hohem Bogen ein Diesseitiger.« Auch wenn so manche seiner (wohl bewusst gesetzten) sprachlichen Fügungen in vergangene Jahrhunderte zurück zu verweisen suchen. Ergo: Die thematische und formale Breite des jüngsten Bandes reicht (so steht es im Internet zu lesen) vom »Banalen bis zum Unerhörten«. Dies ist, als Anspruch postuliert, nicht wenig, und es weckt Erwartungen, die sich, zu meiner angenehmen Überraschung, bereits während der Lektüre des ersten Beitrags, dem nachgerade rhapsodisch strömenden, zweigeteilten Text in acht Abteilungen »Mystische Aubergine« durchaus erfüllen sollten.

Denn hier kommt (zum Glück reichlich augenzwinkernd vorgeführt) beinahe vollständig und höchst poetisch aufs Tapet, was heutigentags einen heutigen Dichter zum Lieben veranlassen könnte, unter der Voraussetzung wohlgemerkt, er ist dazu bereit und fähig und hat nix am Hut mit den sattsam bekannten bürgerlich-individualistischen, einem einzigen DU zugedachten Floskeln á la »das hat deine Schönheit gemacht, die hat mich zum Lieben gebracht«. Nein, hier geht es mindestens (wie bei Volker Braun um Butter) um ein »Großes & Ganzes« und zwar stets im Sinne des Whitmanschen Bekenntnisses zur allumfassenden Empathie für eine schier unmöglich schätzbare Anzahl von Dingen, Personen, Sachverhalten, Tieren, Krankheiten, Naturereignissen, Ideen, Körperteilen, inneren und äußeren Organen, Himmelskörpern, Geräuschen und Gefühlen. Was, oberflächlich betrachtet, zunächst wie ein beiläufig und mit sachgerechter Unterstützung des Steputat’schen Reimlexikons oder Matters geschätztem rückläufigen Wörterbuch der deutschen Sprache verzapftes Sammelsurium anmuten mag, erweist sich rasch als hintersinnig und durchdacht. Der privatim ausgerichteten Zuneigung ist dennoch eine stattliche Zahl von Gedichten gewidmet. Sie heißen u. a. »Ich bin dir Körper«, »Dein Gesicht«, »Dein Denken« oder »Ich liebe beim Lieben dein Gesicht«, und (die Aufzählung der Überschriften deutet es bereits an) sie ähneln sich sehr und verkraften nur leidlich den mit erhöhtem Aufwand betriebenen Gebrauch gängiger End-, Binnen- oder Haufenreime und Assonanzen. Völlig anders, frisch und unvermittelt hingegen, kommt das sanfte »Als ich auf dich wartete« daher, in dem sich die schönen Zeilen finden: »Ich halte es nicht aus nicht eine Stunde / dich nicht zu denken braucht es Phantasie / Ich drehe einsam wie ein Köter meine Runde /...«

Fantasie stellt Sielaff allemal unter Beweis. Zum Beispiel, wenn er seine Hugo Ball (dem abgründigen Dadaisten) zugedachten Verse in Wortwahl, Duktus und Ton des frühen Expressionisten Jakob van Hoddis auf den Sound des neusachlichen Ironikers Erich Kästner stoßen lässt. Das ist gekonnt und kommt an: »Granaten fliegen, Mörder machen Schule, / und Ball geht einsam durch den Regen. / Die Zeit fährt Auto und gibt keine Ruhe, / sein Herz im Anschlag, wirkt er fast verlegen. //«

Dies mit großem Vergnügen lesend, nimmt man gewappnet die Mehrzahl der im Kapitel »Diogenes spricht zu einem Maler« versammelten, dem Erzählen und Beschreiben zugeneigten Poesien (allen voran »John Lennons Gedicht«) eher leicht nickend zur Kenntnis, um nachfolgend in der »Oberlausitzer Wagenspur« aufatmend wieder ganz und gar heimisch zu werden.
Norbert Weiß

Volker Sielaff: Barfuß vor Penelope
edition
AZUR Dresden, 19 Euro

Lesung am 12. August im Rahmen des Palais-Sommers