grüner winter
Loschwitzer Lyrik von Andreas Reimann
Mäzene, die namenlos bleiben wollen, sind die absolute Ausnahme in der kulturellen Förderlandschaft. Das Görlitzer Beispiel macht Schule. Dort fließt jährlich eine halbe Million Euro ins historische Stadtbild. An der Dresdner Friedrich-Wieck-Straße mag die Summe geringer ausfallen, deutlich geringer, doch sie beschert seit nunmehr drei Jahren einem lyrisch besonders begabten Menschen ein hübsches Aufenthaltsstipendium. Drei Monate freie Logis im Kulturhaus Loschwitz, dazu ein quadratisches Heftchen mit den literarischen Hervorbringungen aus dieser Zeit.
Der Leipziger Dichter Andreas Reimann war nach Carl-Christian Elze und Bertram Reinecke Anfang 2015 der dritte Stipendiat, er hatte die Zeit für gründliche Recherchen vor allem in Klotzsche nutzen wollen, weil dort eine Ahnin seiner Familie gelebt hat. Sie war die Ex-Frau seines Großvaters Hans Reimann (»Die Feuerzangenbowle«). Statt dessen aber ist Loschwitzer Lyrik entstanden, die nun als Auswahl im schmalen Band »grüner winter« vorliegt. Auch wenn da »nur« 18 Texte enthalten sind – und zusätzlich ein Autograf –, zog Reimann seine Kreise bald größer und hat treffliche Dresden-Gedichte verfasst.
Ist der am 11. November 1946 in Leipzig geborene Dichter dem Elb-Nest etwa auf den Leim gegangen? – Mitnichten. Er ging mit offenbar hellwachem Blick durch die Stadt, beschreibt die Sicht vom Hausberg aus, kommt wie selbstverständlich auf die im Februar '45 heil gebliebenen Villen zu sprechen, erinnert an das Ausglühen der Frauenkirche (»drei tage lang noch / stand die kirche«), verwundert sich am Trödelmarkt ob der feilgebotenen Devotionalien, denn dort »kann unzensiert sich die vergangenheit / der gegenwart im zarten zwielicht brüsten« und stellt die allzu berechtigte Frage: »Ist hier der ort des vergessens?« Dazu merkt der Autor scharfsinnig an: »Am ort des vergessens / gedeiht das vergessen / am üppigsten stets.«
Bemerkenswertes scheint ihm bei den Trödlern aufgefallen zu sein, wo in der Tat befremdliche Dinge angeboten werden und auf offenkundiges Interesse stoßen. Es fällt auf, wie hellsichtig Andreas Reimann auf Dresden blickt, indem er vermeintliche Marginalien aufspürt und damit doch das süße Gift des ewigen Gestern erkennen muss. Seine Fundstücke hat er in eine konkrete, teils barock wabernde Sprache gesteckt: »an des flusses flanken« »Das ist kein pfad denn der, den einer gehtq. Beim Lesen können wir dem Loschwitzer Gast aus Leipzig abstandsvoll nachfolgen, seine Wege sichten und uns an den Gedankengängen erfreuen.
Dass »Die bürger der stadt D.« noch immer ein gefundenes Fressen für spitze Federn sind – Andreas Reimann hat es mal wieder auf den Punkt gebracht.
Michael Ernst
Andreas Reimann: grüner winter edition buchhaus loschwitz, 14,90 Euro
www.kulturhaus-loschwitz.de