Der Jahrhundertcoup
Ein Buch beleuchtet den Dresdner Juwelenraub aus dem Grünen Gewölbe
Ein Deal ist kein Weihnachtswunder und ein Raub bleibt ein Raub. Kaum ist was weg, kommt auch schon was Neues: »Wir Sachsen sind bestohlen worden«, maulte ein sächsischer Politiker im November 2019 nach dem Einbruch ins Grüne Gewölbe. Er habe damit »beim besten Willen nicht gerechnet«, so Kretschmers Michel. Beim besten Willen?! Die königlichen Klunker, immerhin Goldschmiedekunst von hohem Rang, feinstes Handwerk mit immensem Materialwert, bewertete er in vermeintlichen Superlativen: »Das ist Sachsen. Das ist unsere Identität.« Darüber mögen Sächsinnen und Sachsen gewiss unterschiedlicher Mei-nung sein, aber was weg ist, ist weg.
Als ein Teil der Beute aus bis heute nicht erhelltem Dunkel wieder auftauchte, schwärmte die Chefin des »wie Fort Knox« gesicherten Museums von einem »Weihnachtswunder«, noch so was Neues. Und ebenfalls neu ist eine ganze Reihe von Publikationen zu diesem Thema, so etwa ein Buch mit dem reißerischen Titel »Der Jahrhundertcoup«. Zwei Autoren eines Nach-richtenmagazins haben akribisch den Fall und die bisherigen Versuche dessen Aufklärung be-schrieben, einerseits gründlich (und wohl auch teuer?) recherchiert, andererseits lausig redigiert. Letzteres schmälert das Lesevergnügen, das ohnehin eingeschränkt ist, da man sich hier ja weit-gehend mit diversen Tatsachen konfrontiert sieht, die so gar nicht gefallen können. Einerseits die Chuzpe eines Familien-Clans, der archaisches Stammesdenken über jedes Recht und Gesetz stellt, in dem pure Gier jeglichen Ansatz von Respekt oder gar Demut mit Füßen tritt bezie-hungsweise mit Äxten demoliert. Da werden Menschenleben aufs Spiel gesetzt, um Gold und Diamanten zu rauben, sich mit diesem Coup zu brüsten und das Diebesgut möglichst rasch in Bares zu wandeln.
Andererseits ist von einem funktionalen Dilemma nach dem anderen zu lesen. Das fängt an mit dem Wachschutz im Museum, setzt sich fort mit mieser Kommunikation zur Polizei und ist mit deren an Landesgrenzen scheiternder Informationspolitik, derlei Hürden aber überschreitender Inkompetenz noch lang nicht am Ende. Mancherlei Aufklärung gelang wie in ganz schlechten Filmen nur durch Zufall. Wesentliche Fragen sind allerdings nach wie vor offen, bis hin zum Prozess und den daraus resultierenden, teils wieder aufgeweichten Urteilen: Wer alles steckte noch hinter diesem Raub und wusste über Sicherheitslücken Bescheid? Wie gelangten die An-wälte der Kriminellen an Teile des Raubguts? Wo ist der gestohlene Rest? Tja, und vor allem, dies freilich auch als moralische Frage: Wie kann sich das Gericht eines Rechtsstaats geradezu erpressen lassen, um sich auf Absprachen – vulgo: Deals – zugunsten der Täter zu verständi-gen? Das zu Land und zu Luft mit immensem Aufwand abgesicherte Verfahren beschreiben die Autoren so: »Insgesamt geht es zu wie auf einem Gebrauchtwagenmarkt.« Wer ist hier Dealer und was ist der Einbruch von Gangstern gegen einen Deal mit Gangstern?
Angesichts all dieser eklatanten Unverständlichkeiten ist das editorische Schludern (mal wird der Wert der Pretiosen auf mehrere Milliarden Euro beziffert, dann wird aus einem Audi ein Mercedes, zudem gibt es ein paar orthografische Freiheiten) zu vernachlässigen. Zumal das Ge-schehen zwar spannend, aber durchweg sachlich und nachvollziehbar dargestellt ist.
Michael Ernst
Thomas Heise/Claas Meyer-Heuer: Der Jahrhundertcoup DVA, 24 Euro