Wie lange darf man zugucken?
Ein Interview mit Julia von Heinz zu ihrem Film »Und morgen die ganze Welt«
In ihrem sehr persönlichen und sehr politischen Drama „Und morgen die ganze Welt“ zeichnet Julia von Heinz mit emotionaler Wucht ein Bild vom heutigen Deutschland und lässt reale Erfahrungen aus ihrer Jugend in der Antifa einfließen, setzt sie in die Gegenwart um. Im Fokus steht Jurastudentin Luisa aus einer konservativer Familie, die sich der Antifa anschließt und mit dem Einsatz von Gewalt konfrontiert wird. Sie stellt sich die Frage: Wie weit darf oder muss man für eine gute Sache gehen? Margret Köhler hat für SAX mit der Regisseurin gesprochen.
SAX: Was treibt junge Menschen heute noch zur Antifa?
Julia von Heinz: Gerade wächst eine Generation heran, die wieder politischer ist. Linke Bewegungen haben mehr Zulauf, ob Black Lives Matter oder die Klima-Demos und mich freut das sehr. Die jungen Leute spüren, es geht um ihre Zukunft. Aber es ist loser und offener als damals in den 1990er Jahren. Die straffer organisierte bundesweite antifaschistische Aktion hat sich 2001 offiziell aufgelöst. Heute würde ich Antifa eher als Haltung bezeichnen.
SAX: Luisas Vater zitiert Winston Churchill „Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer mit 30 noch Kommunist ist, hat keinen Verstand“. Stimmen Sie dem zu?
Julia von Heinz: Es gab eine Zeit, in der Familie und Beruf bei mir so viel Raum einnahmen, da konnte ich keine Demos mehr organisieren, konnte nicht mehr zu Gruppentreffen gehen, oder eine Jugendgruppe leiten. Das war ja damals ein Fulltimejob. Aber ich habe immer darauf gewartet, meine Haltung in meine Kunst stärker einfließen lassen zu können. Ich habe mich ja nie zu 100 Prozent von der Antifa verabschiedet oder mich gar widersprechenden Ideen angeschlossen. Aber ich wurde offener, teile nicht mehr alles rigoros in Gut oder Böse, Richtig und Falsch ein, stelle eher Fragen, als dass ich Antworten habe
SAX: Es stehen sich zwei Richtungen gegenüber: Anführer Alfa, dem viel in den Schoß fällt, und der vorsichtige Lenor, der ihm vorwirft, nur mal in die Bewegung hinein zu schnuppern, aber keinesfalls die Karriere nach dem Studium zu gefährden. Ist das symptomatisch für einen Teil der Jugend, den Rebellen auf Zeit zu spielen?
Julia von Heinz: Ich habe diese Tendenz mal Durchlauferhitzer genannt. Die Gruppendynamik ist sehr ausgeprägt, junge Leute verbringen eine sehr intensive Zeit miteinander, finden eine Ersatzfamilie. Aber irgendwann kollidiert das mit dem sich ergebenden Lebensentwurf, neuen Plänen. Ich thematisiere in meinem Film das Phänomen, dass sich oft weiße, privilegierte Mittelschicht-Kids linken Bewegungen anschließen, die diese auch jederzeit wieder verlassen können. Denn ich wollte nichts romantisieren, sondern präzise eine solche Gruppe darstellen. Auch Luisa kommt aus gutem Hause. Ihre Herkunft wird ihr auch vorgehalten, sie ist dem Vorwurf ausgesetzt, ihre Eltern würden sie aus jeglicher Notsituation herausboxen. Und das ist gleichzeitig Teil ihrer Motivation. Sie hat Schuldgefühle und will beweisen, dass sie ihr Engagement ganz besonders ernst nimmt.
SAX: Über den Einsatz von Gewalt streitet sich die Gruppe. Wurden Sie in Ihrer Antifa-Zeit mit der Frage der Gewalt konfrontiert?
Julia von Heinz: Ja und ich stelle mir heute diese Frage zunehmend wieder. Es gibt so viele Überschneidungen von rechten Strukturen mit Staatsorganen wie Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr, dass das Vertrauen in die Gewaltenteilung verloren geht. So geht es leider vielen und so bricht irgendwann die demokratische Mitte ein. Wie weit dürfen wir Rechten wieder Raum geben und sie unsere Gesellschaft übernehmen lassen, wie lange darf man zugucken und mit welchen Mitteln muss man sich dem irgendwann entgegensetzen? Das sind Fragen, die wir uns heute alle wieder stellen müssen.
SAX: Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen rechter und linker Gewalt?
Julia von Heinz: Auf jeden Fall. Rechte Gewalt richtet sich gegen Menschen, die sind, wer sie eben sind. Vielleicht sind sie behindert oder dunkelhäutig. Fliehen aus Kriegsgegenden nach Europa. Sie haben sich dieses Leben nicht ausgesucht und werden dafür angegriffen oder gar ermordet. Linke Gewalt – wenn überhaupt – richtet sich gegen Nazis, die selbst entschieden haben, unmenschliche Ideologien zu vertreten. Sie können jederzeit entscheiden, damit aufzuhören.
SAX: Ist Gewalt ein legitimes Mittel, wenn sie sich gegen Menschen richtet?
Julia von Heinz: Ich würde niemals Gewalt gegen Menschen als adäquates Mittel bezeichnen. Aber auch das Naziregime in Deutschland wäre 1945 nicht freiwillig abgetreten. Die Alliierten haben es mit Gewalt beendet. Nicht mit Diplomatie und gutem Zureden.
SAX: Seit 20 Jahren wollten Sie diesen Film realisieren. Wieso mussten Sie so lange um Finanzierung kämpfen?
Julia von Heinz: In Deutschland werden politische Themen dem Kino zu wenig zugetraut. Man meint, im Fernsehfilm könnten sie schneller und aktueller umgesetzt werden. Seit 20 Jahren wollte ich diesen Film machen und jedes Jahr hörte ich, er sei womöglich zu aktuell. Diese Vorbehalte kamen von möglichen Senderpartnern, Verleihern, Weltvertrieben und einigen Förderern. Aber zum Glück gab es die, die daran glaubten und jetzt ist er so aktuell wie nie, genau der richtige Zeitpunkt! Die Handlung musste im Deutschland von heute spielen. Auf großen internationalen Festivals gibt es ein Interesse an politischem Kino aus Deutschland. Mir ist ein Rätsel, warum da nicht mehr aus Deutschland heraus entsteht.
SAX: Sie übernehmen mit Marcus H. Rosenmüller die Leitung des Studiengangs Regie Kino- und Fernsehfilm an der HFF München. Was geben Sie Ihren Studenten mit auf den Weg?
Julia von Heinz: Die Notwendigkeit der persönlichen Herangehensweise. Je tiefer sie in das eintauchen, was sie selbst gefühlt und erlebt haben, umso stärker und präziser werden die Erzählungen. Je weiter man von sich weg ist, umso mehr droht die Gefahr, sich in Klischees zu verlieren. Zum anderen wünsche ich mir einen offenen Umgang mit Konkurrenzdruck und der daraus resultierenden Vereinzelung. Bei der Antifa hieß es immer, bildet Banden. Das zeigt auch mein Film. Ich versuche, mich zu vernetzen und gebe jeden nützlichen Kontakt an Kollegen weiter, wenn sie mich danach fragen. Und dasselbe bekomme ich auch zurück.
Interview: Margret Köhler
Und morgen die ganze Welt Deutschland 2020, Regie: Julia von Heinz
Mit Mala Emde, Noah Saavedra, Luisa-Céline Gaffron, Tonio Schneider
Ab 29. Oktober im Programmkino Ost, in der Schauburg im Zentralkino.
www.undmorgendieganzewelt-film.de