Von Hoywoy in die Unsterblichkeit

Der Film »Gundermann« von Andreas Dresen

»Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse. Ein Lachen, ein Sieg eine Träne, ein Schlag in die Fresse« dichtete Gerhard Gundermann auf die Melodie eines legendären Songs des Polen Marek Grechuta, den dieser zusammen mit der Gruppe Anawa in den 1970ern auch in der DDR bekannt gemacht hatte. Betrachtet man Gundermanns kurzes Leben, so scheint dieser Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein. »Gundi«, wie er stets nur genannt wurde, war Baggerfahrer und Liedermacher, flog wegen Renitenz von der Offiziershochschule und gleich zwei mal aus der SED, war Spitzel und Bespitzelter, Idealist, Anarchist, Rebell, Weltverbesserer. In der 1970ern, auf dem Höhepunkt der DDR-Singebewegung, in der Hoyerswerdaer »Gruppe Feuerstein« aktiv, trat er nach deren Auflösung als Solokünstler auf, sang über das, was ihn bewegte: die Arbeit in der Kohle, seine Heimatstadt Hoyerwerda, die Liebe. Noch in der Vorwendezeit schrieb Gundermann gemeinsam mit Tamara Danz Texte für das im Westen produzierte und im März 1989 veröffentlichte Silly-Album »Februar«. Anfang der 1990er tourte er mit seiner Band »Seilschaft«, verlor mit der Schließung des Tagebaus seine Arbeit und beschloss – immer bodenständig – neben seiner künstlerischen Arbeit Tischler zu werden.

Nach der Wende wurde der »singende Baggerfahrer« für viele Ostdeutsche zur Identifikationsfigur, trotz seiner Stasi-Vergangenheit und wohl auch, weil er sich ihr stellte, erst zögerlich, dann öffentlich, von der Bühne herunter und in Gesprächen mit den Menschen, deren Vertrauen er zwischen 1976 und 1984 als IM Grigori missbraucht hatte, enttäuscht und wütend über das eigene Versagen, den Verrat an den eigenen Idealen, aber ohne in »Sack und Asche« zu gehen, wie er in einem Zeitungsinterview sagte.

Einen Film über eine solch komplexe Figur, ein solch wiedersprüchliches zerrissenes Leben konnte wohl nur Andreas Dresen machen. Er, der nach eigener Aussage »Ostalgie hasst«, aber wie vielleicht kein anderer Filmemacher hierzulande ostdeutsche Befindlichkeiten in gesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen weiß, trifft auch diesmal den richtigen Ton, ist wie stets der Wahrhaftigkeit verpflichtet. Mit Wärme und Sympathie erzählt er in zwei Zeitebenen die Geschichte seines Helden, spart die schmerzhaften Wahrheiten nicht aus: In den 1970ern, macht Gundermann erste Schritte als Liedermacher und als Schichtarbeiter im Tagebau, ringt um seine große Liebe Conny, die noch mit einem anderen Mitglied der »Feuersteine« verheiratet ist, und wird von der Stasi angeworben. Mitte der 1990er schließlich muss er sich mit dem unrühmlichen Teil seiner Vergangenheit und mit dem Abschied von einer gescheiterten Utopie auseinandersetzen. Dresen legt seinem Protagonisten ein Gundermannsches Tagebuch-Zitat in den Mund: »Ich gehöre zu den Verlierern. Ich habe aufs richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen.«

Für alle, die Gundermann kannten, ihn in einem seiner Konzerte gesehen haben, ist das erste Bild des Films ein milder Schock, und es dauert ein paar Sekunden, bis das Gehirn begreift, dass dort nicht Gundermann selbst sitzt, sondern sein Darsteller Alexander Scheer. Der ist ihm nicht nur äußerlich geradezu unfassbar ähnlich, sondern hat sich auch dessen Mimik, Gestik und Tonfall »draufgeschafft« und dazu noch die 18 im Film verwendeten Songs selbst eingesungen. Überhaupt bilden diese Lieder mit Texten von poetischer Kraft, zornig und immer wieder melnacholisch, das Rückgrat des Films, den Scheer als seinen wichtigsten in den letzten 20 Jahren bezeichnet. (Allerdings wurde die Melodie von »Hoywoy«, bei der sich Gundermann einst bei ABBAs »Eagle« bediente, im leicht abgeändert – mutmaßlich der Musikrechte wegen.)

Gerhard Gundermann starb am 21. Juni 1998 mit nur 43 Jahren an einem Hirnschlag. Nach seinem Tod entwickelte sich eine regelrechte Gunderman(n)ia, mit verschiedenen Gruppen, nicht nur im Osten, die seine Lieder singen, mit Gedenkkonzerten und Festivals zu seinen Ehren. Gerade ist das »Poesiealbum 338« mit seinen Liedtexten erschienen, im August kommt das Buch »Gundermann: Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse (Briefe, Dokumente, Interviews, Erinnerungen)« von Andreas Leusink in den Handel.

Groß aufgezogen wird die Dresden-Premiere am 21. August bei den Filmnächten am Elbufer. Regisseur und Hauptdarsteller gesellen sich zu Axel Prahl (der im Film den Stasi-Führungsoffizier spielt) und seiner Band. Zwei Tage später kommt das Werk in die Kinos.

Will man versuchen, Gerhard Gundermanns Universum in einem Song zu finden, dann könnte man es vielleicht in seiner Songcollage »Old Dixie Down« entdecken, in der er Zeilen von »The Night They Drove Old Dixie Down« mit dem »Lied der Jaramafront« zusammenführt – Gesänge der Verlierer, der Geschlagenen, aufwühlend und dramatisch. Die letzten vier Zeilen aber zitieren »Die Internationale«: »Es rettet uns kein höh’res Wesen ...« Na dann. Aufstehen. Immer und immer wieder.    
Angela Stuhrberg

Gundermann
BRD 2018, Regie: Andreas Dresen
Mit Alexander Scheer, Anna Unterberger, Axel Prahl, Milan Peschel, Thorsten Merten, Leni Wesselman
21. August Filmnächte am Elbufer (Premiere mit Hauptdarsteller Alexander Scheer sowie Konzert mit Dresen, Prahl und Band, ausverkauft)
ab 23.8. Programmkino Ost, Schauburg, Kino in der Fabrik
Gundermann Spezial 26. August Programmkino Ost (mit »Gundermann«, der Doku Gundi Gundermann (DDR 1981) und Gespräch mit Laila Stieler (Drehbuch) und Conny Gundermann
www.gundermann-derfilm.de