Unterleuten – Das zerrissene Dorf
Corona-Heimkino-Tipp: Dreiteiler nach Juli Zeh
»Matti Geschonneck verfilmt Juli Zehs Roman ›Unterleuten‹ fürs ZDF« – als mich diese Schlagzeile Mitte 2019 in einer Branchenzeitschrift ansprang, war mein erster Gedanke: »Mist, das muss doch ins Kino!« Juli Zeh erzählt in ihrem Buch treffsicher vom Mit- und Gegeneinander der Bewohner des fiktiven Brandenburger Dorfs Unterleuten in den 2010er-Jahren. Dabei blitzen unter anderem auch immer wieder Konflikte um die »landwirtschaftliche Kollektivierung« der 1950er-Jahre auf, die in die Gegenwart hineinwirken. Für die Alteingesessenen ist das Dorf seit Generationen emotionaler Identifikationsort, während die zugezogenen, großstadtmüden Neudörfler ihre Erwartungen und Hoffnungen in die scheinbare Idylle des Landlebens projizieren. Im Kampf um die Errichtung eines Windparks werden alte und neue Dorfbewohner von Freunden zu Feinden, von Feinden zu Mitstreitern und von Mitstreitern zu Gegnern, je nachdem, wie sich mit den Umständen die jeweiligen Interessenslagen ändern.
Diese unterhaltsame Gesellschaftsstudie mit ihrem umfangreichen Hauptfiguren-Ensemble – die Kapitel des Buches tragen ausnahmslos die Namen der Protagonisten – filmisch zu adaptieren, war zweifellos eine Herausforderung. Zu oft enden Literaturverfilmungen im Mediocren (zum Beispiel »Kruso« als Fernsehfilm) oder scheitern gänzlich. Dafür, was Regisseur Matti Geschonneck gemeinsam mit seinem langjährigen Partner in Sachen Drehbuch, Magnus Vattrodt, hier gelungen ist, gibt es nur eine Wertung: Meisterhaft. Großartig verdichtet und mit beeindruckender Ruhe und Klarheit gelingt es dem Dreiteiler in seinen insgesamt 270 Minuten, die Konflikte präzise auf den Punkt zu bringen und dabei mindestens so spannend zu sein wie die Romanvorlage. Mit ganz starken Dialogen wird die tragikomische Komponente des Geschehens betont.
Die herausragende Casterin Simone Bär hat mit Dagmar Manzel, Thomas Thieme, Hermann Beyer, Charly Hübner, Christine Schorn, Rosalie Thomass, Ulrich Noethen, Bjarne Mädel und Jörg Schüttauf nicht nur renommierte Namen zusammengestellt, sondern auch jede Rolle so stimmig und überzeugend besetzt, dass das unbedingte Gefühl entsteht, wirklich den Figuren des Buches zu begegnen.
Der Off-Kommentar am Ende des Dreiteilers könnte von Juli Zeh stammen: »Und jeder erzählte seine eigene Geschichte. Und jeder glaubte sich im Recht. Und jeder hatte seine Gründe.« Im Roman ist er mir nicht begegnet.
Sven Weser (Programmkino Ost)
Unterleuten Deutschland 2020, Regie: Matti Geschonneck
Drei Teile à 90 Minuten in der ZDF-Mediathek