»Ich wollte Teil dieser unheimlich zärtlich erzählten Geschichte sein.«
Interview mit Sandra Hüller zu ihrem Film »In den Gängen«
Sandra Hüller ist ein Phänomen, sie kann alles spielen, von der Businessfrau in »Toni Erdmann« bis zur Arbeiterin Marion an der Seite von Franz Rogowski als Gabelstaplerfahrer Christian in Thomas Stubers »In den Gängen«. Unprätentiös und freundlich gibt sie sich beim Berlinale-Interview. Der Lärm drum herum stört sie nicht, sie ist Profi und redet Klartext. Auch über das Miteinander von Arthouse-Kino und Blockbustern wie »Fack ju Göhte 3«. Margret Köhler hat für SAX mit der Leipzigerin gesprochen
SAX: Was gefällt Ihnen an dieser Marion, wie würden Sie die beschreiben?
Sandra Hüller: Sie verbirgt ein großes Geheimnis. Die Kollegen wissen zwar, wie sie lebt, aber nicht der Christian. Aber das spielt in diesem Großmarkt keine Rolle. Also spielt sie die glückliche Frau, die sie zu Hause nicht sein kann. Das war relativ einfach. Sie ist im Grunde ein sehr flirrender Mensch und holt sich auf der Arbeit Sachen ab, die sie in ihrem Privatleben nicht haben kann. Und das kann sie auch, weil sie da geschützt ist, Respekt bekommt, ihre Arbeit wahrscheinlich auch gut macht. Natürlich ist das schrecklich, in so einer dysfunktionalen und gewalttätigen Beziehung zu leben, das hat aber für das Leben im Großmarkt keine Relevanz.
SAX: Haben Sie diese starke Solidarität unter so schwierigen Arbeitsbedingungen erwartet?
Sandra Hüller: Ob das in dieser Schicht so ist, kann ich nicht beurteilen. Ich gehe mal davon aus, dass Clemens Meyer der selbst in einem Großmarkt gearbeitet hat, sich das schon genau angeguckt hat. Natürlich hat er auch viel erfunden, das ist sein gutes Recht als Autor. In diesem Fall finde ich es schlüssig, dass es diese Solidarität gibt, gerade wenn man unter so extremen Bedingungen zusammen arbeitet. Natürlich setzt man sich einander aus. Ich glaube nicht, dass es funktioniert, indem man sich ignoriert. Die Leute müssen miteinander umgehen, sich kennenlernen und aufeinander verlassen können. Das findet ja alles statt. Ich wollte Teil dieser unheimlich zärtlich erzählten Geschichte sein.
SAX: Sie begegnen Ihren Figuren auch mit großer Zärtlichkeit.
Sandra Hüller: Das geht nur so, wie ich das mit Menschen im tatsächlichen Leben auch versuche, die Figuren als Ganzes anzunehmen, als eigenständige Personen, mit denen ich gut umgehen will.
SAX: Sie verkörpern sehr unterschiedliche Frauentypen von einer an Epilepsie Erkrankten in »Requiem« über die Businessfrau in »Toni Erdmann« bis hin zur Arbeiterin in »In den Gängen«. Gibt es eine Gemeinsamkeit, einen roten Faden?
Sandra Hüller: Ich folge keinen Typologien. Die Entscheidung für eine Rolle ist reine Bauchentscheidung. Hier hat mich die positive Energie der Figur interessiert wie die Idee, in einem Großmarkt zu arbeiten, Gabelstaplerfahren zu lernen. Und ich wollte Thomas Stuber kennenlernen, mit Franz Rogowski habe ich einen wunderbaren Kollegen getroffen. Also das waren ganz viele Gründe abgesehen von Clemens Meyers Geschichte, die wunderschön ist.
SAX: Wie haben Sie Clemens Meyer kennen gelernt?
Sandra Hüller: Durch sein für mich sehr wichtiges Buch »Als wir träumten«. Das hat mich durch seine Dichte beeindruckt, den Ton zwischen Enttäuschung und Hoffnung. Der ist schon sehr besonders.
SAX: Sie sind in der DDR groß geworden und wohnen trotz des Berlin-Hypes in Leipzig. Warum?
Sandra Hüller: Das sind private Gründe. Aber ich habe lange in Berlin gelebt und dann ziemlich schnell gemerkt, das ist nicht meine Stadt. Ich bin gerne zum Arbeiten dort oder besuche Freunde, aber mir ist die Stadt zu anstrengend.
SAX: Gibt es 30 Jahre nach der Wende noch eine Ost-Identität oder haben sich die Grenzen inzwischen verwischt?
Sandra Hüller: Wir können uns überall begegnen, überall hinfahren, insofern gibt es diese verortete Ost-Identität nicht mehr, aber natürlich eint uns eine bestimmte Erfahrung aus diesem Land, das einfach verschwunden ist. Das schafft in einer bestimmten Form eine Gemeinsamkeit, es ist ja nach wie vor so dass es – zumindest was die Löhne angeht - immer noch ein großes Gefälle gibt. Also so verwischt ist das noch nicht. Wir bemühen uns natürlich alle - und das gilt für beide Seiten – ein Volk zu sein und das sind wir auch, aber natürlich sind bestimmte Erfahrungen nicht mitteilbar und nicht teilbar. Es fühlt sich immer noch schwierig an, offen darüber zu reden, weil man entweder sogleich dieses Ostalgie-Etikett bekommt oder den larmoyanten Wendeverlierer. Da sind noch viele Klischees unterwegs. Vielleicht schafft es die kommende Generation, einen neuen Dialog in größter Offenheit und ohne Vorbehalte zu führen.
SAX: Sie sind mehr in der Arthouse-Ecke zu Hause. Wie haben Sie es geschafft, »In den Gängen« und »Fack Ju Göhte« parallel zu drehen. War das kein Schock, ein ganz anderes Arbeiten?
Sandra Hüller: Es ist nicht einfach gewesen, zwei Filme parallel zu drehen, aber ich wollte auf keinen der beiden verzichten, also musste ich in den sauren Apfel beißen. Mich hat ja niemand dazu gezwungen, das war schon meine Entscheidung. Ich bin da nicht plötzlich hineingerutscht. Gerade nach dieser Reise mit »Toni Erdmann« wollte ich irgendwie von vorne anfangen und das habe ich dann auch gemacht. Es sind vollkommen andere Arbeitsarten und Atmosphären, aber ich bleibe ja immer ich.
SAX: Sind Arthouse und Blockbuster gleichwertig für Sie oder war das nur so ein Reinschnuppern?
Sandra Hüller: Klar, in der einen Welt kenn ich mich definitiv besser aus in dieser Figurensuche und im Pointenbereich, weniger darin, wie Witze funktionieren. Insofern gibt es eine Wertung, aber keine qualitative. Da gibt es eine Andersartigkeit.
SAX: Was hat »Toni Erdmann« für Sie geändert?
Sandra Hüller: In meiner Wahrnehmung hat sich nichts geändert. Meine Agentur spricht zwar von mehr Angeboten, aber es ist nicht so massiv, dass ich das Gefühl spüre, mein Leben habe sich um 180 Grad gedreht.
SAX: Können Sie in Leipzig noch unbehelligt spazieren gehen?
Sandra Hüller: Die wenigsten sprechen mich an, da gibt es immer noch eine unsichtbare Mauer. Ich bin auch kein deutscher Superstar wie so manche Kollegen, die die Massen in Wallung versetzen. Dazu gehöre ich nicht und das möchte ich auch nicht. Ich will für meine Arbeit respektiert werden, das ist alles. Ich bin grundsätzlich zufrieden mit der jeweiligen Situation und meinen Wahlmöglichkeiten.
SAX: Stimmt es, dass Sie fast Hebamme geworden wären?
Sandra Hüller: Ich musste meinen Eltern versprechen, eine Ausbildung zu absolvieren, wenn mich die Schauspielschule ablehnen würde. Hebamme war meine Wahlausbildung.
SAX: Ihr erster Kinofilm »Requiem« lief 2004 auf der Berlinale. Hätten Sie sich damals Ihren heutigen Erfolg träumen können?
Sandra Hüller: Ich habe nicht davon geträumt und auch keinen Gedanken daran verschwendet, habe meine Arbeit gemacht und keine Filmkarriere in dem Sinne angestrebt, das war nicht mein Ziel. Ich bin Theaterschauspielerin. Jetzt ist es so gekommen und es ist auch schön, aber ich verfolge keinen Plan.
Einen Rezension zum Film "In den Gängen" ist hier nachzulesen.
Zu sehen ist der Film im Programmkino Ost und in der Schauburg.