Der Horror des Rassismus
Die Serie "Them" spiegelt die psychische und physische Grausamkeit des Hasses
Lucky, Henry, Ruby und Gracie Emory – Mutter, Vater, zwei Töchter – ziehen von North Carolina nach Compton, Kalifornien. Sie ist Lehrerin, er hat einen Job als Ingenieur in einem Luftfahrtunternehmen bekommen. Sozialer Aufstieg. Wir schreiben das Jahr 1953. Die Farbpalette der Suburb ist Pastell. Die Hautfarbe der Emorys ist Schwarz. Die rein weiße Nachbarschaft gerät in Aufruhr, es folgen Hass, Drohungen, Gewalt.
Die Handlung der Serie umfasst die ersten zehn Tage nach der Ankunft der Emorys, inklusive einiger Rückblicke sowie einer Schwarz-Weiß-Folge, die in der Zeit weit zurückreist. Man erfährt, dass Lucky und Henry vor dem Umzug schwerste Traumata erfuhren, darunter auch den Verlust ihres kleinen Sohnes. Das alles will die Familie endlich hinter sich lassen, doch die Geister der Vergangenheit »reisen« mit in die trügerische Hoffnung auf eine neue Heimat – und sie manifestieren sich in albtraumhaften wie erschreckenden Szenarien, während vor der Tür der Mob tobt und Vertreibungspläne schmiedet. Wundert man sich anfangs noch, warum die Polizei gegenüber den Neuen im Viertel eher beschützend zeigt, wird bald klar, dass dies zu einem miesen Bankenspiel aus Gentrifizierung und Geldgier gehört. Schließlich eskalieren die Ereignisse auf nur jede denkbare und undenkbare Art.
Vieles in »Them« erinnert inhaltlich und stilistisch an die Filme »Get Out« und »Wir« sowie an die Serie »Lovecraft Country«, alle drei Werke standen in der Verantwortung von Jordan Peele und verbanden auf verschiedene Weise das Thema Rassismus mit Elementen aus der Mystery- und Horrorkunst. So schwebte Peele sicher auch ideell Pate über dem »Them«-Schöpfer Little Marvin, der sich mit seinem Episodenstück allerdings deutlich radikaler zeigt. Es wird nur wenige geben, die sich den Bildern und der extremen atmosphärischen Anspannung entziehen können. Die einen werden sich dem nicht aussetzen wollen oder können und ausschalten, andere eine psychische Tour de Force erleben. Möglicherweise sind die Ghost-Erzählungen für das genreferne Publikum eher überflüssig. Für mich sind sie essenziell bei dieser angsteinflößenden Fahrt in das Herz der menschlichen Finsternis.
Sofort entspann sich natürlich die Diskussion, ob man nicht das Thema Rassismus für eine Horror-Serie missbrauchen würde. Für mich ergibt sich das Bild aber genau andersherum: Rassismus wird hier (nicht nur) mit den Stilmitteln des Horrors als genau das dargestellt, was er ist: Horror. Körperlicher, psychologischer, gesellschaftlicher Horror. Vor allem: menschengemachter Horror. Dabei wird Gewalt zwar in drastischen Bildern gezeigt, ist aber nicht vergleichbar mit dem, was Betroffene in Wirklichkeit erleiden mussten. Trotzdem steht immer wieder die Frage im Raum: Sollte man subtiler sein, wenn es um ein so wichtiges Thema geht? Gegenfrage: Warum?
Es wird geschätzt, dass zwischen 1877 und 1950 in zwölf Bundesstaaten der USA etwa 4.400 Menschen schwarzer Hautfarbe Lynchaktionen zum Opfer fielen. Die meisten Täter kamen straflos davon, wie etwa die später freigesprochenen Mörder des 14-jährigen Emmet Till, der 1955 getötet wurde, weil er angeblich einer weißen Ladenverkäuferin »Bye, Babe« zugerufen haben soll. Nicht nur 50.000 Menschen erwiesen dem Jungen an seinem Sarg in Chicago die letzte Ehre, sein Tod gilt als einer der Auslöser für das starke Anwachsen der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Dass sich längst auch Kunstgebiete aus Bereichen wie Fantasy, Horror oder Comic mit sehr ernsten Themen beschäftigen, ist nicht neu. Noch ungewohnt scheint es jedoch, dass das Thema Rassismus hier eine immer größere Rolle spielt, womit es auch neue Wege und Sichtweisen gibt, sich damit auseinanderzusetzen.
Die Diskussion dazu ist in vollem Gange. Zur Einleitung eignet sich ein Musikstück, das zum Serienfinale eine zentrale Rolle spielt: »Who Will Survive in America« mit einem Text von Amiri Baraka, einem Autor, der nie einem Streitthema aus dem Weg gegangen ist.
Der sendende Streaming-Dienst bietet zurzeit die untertitelte Originalfassung an, im Juni folgt eine synchronisierte Variante. Allerdings lässt die verharmlosende Übersetzung der Subs erahnen, wie sich die deutschsprachige Version anhören wird. Also: Unbedingt mit O-Ton schauen. Übrigens soll es von »Them« noch eine zweite Staffel geben, die aber eine ganz andere Handlung und einen anderen Cast haben wird, wie man es etwa von den Anthologien »True Detective« oder »American Horror Story« kennt.
Uwe Stuhrberg
Them USA 2020, Creator: Little Marvin
Mit Deborah Ayorinde, Ashley Thomas, Alison Pill, Shahadi Wright Joseph
10 Episoden auf Amazon Prime Video