Anne with an E
Corona-Heimkino-Tipp: Ein Jugendbuch-Klassiker als tolle Serie
Der erste Band der (Kinder-)Buchreihe »Anne of Green Gables« der kanadischen Autorin Lucy Maud Montgomery erschien 1908. Besagte Anne ist in englischsprachigen Ländern genauso bekannt wie hierzulande Pippi Langstrumpf. Und: »Anne of Green Gables« mit seiner klugen, überschäumenden, nicht selten vorlauten und rotbezopften Heldin (!) soll das Lieblingsbuch von Astrid Lindgren gewesen sein. Na sowas! Der Stoff wurde mehrfach verfilmt, das erste mal bereits 1919. Die Canadian Broadcasting Corporation hat den Kinderbuch-Klassiker nun zu einem Serien-Kleinod verarbeitet.
Angesiedelt ist die Handlung Ende des 19. Jahrhunderts in dem fiktiven Örtchen Avonlea auf der Prince Edward Insel im Osten Kanadas, wo Lucy Maud Montgomery 1874 geboren wurde. Erzählt wird die Geschichte des Waisenmädchens Anne (mit einem »E«, umwerfend gespielt von Amybeth McNulty), im Buch anfangs 11, in der Serie 13 Jahre alt. Durch eine Verwechslung wird sie vom Waisenhaus an Marilla (Geraldine James) und Matthew Cuthbert (R.H. Thomson) vermittelt. Die beiden sind Geschwister, nicht mehr ganz jung, kinderlos, waren nie verheiratet – und hatten eigentlich einen Jungen »bestellt«, der ihnen vor allem bei der Arbeit auf ihrer Farm »Green Gables« unter die Arme greifen sollte. Stattdessen steht am Bahnhof die dauerplappernde, überschäumende und Gedichte deklamierende Anne. Die anfängliche Verwirrung über den »Fehler« schlägt zunächst bei dem gutherzigen Matthew alsbald in Neugier auf und Zuneigung zu dem sensiblen und klugen Wirbelwind um, und auch Marilla kann sich dem zupackenden Charme Annes nicht lange entziehen. Aus den drei so ungleichen Menschen wird eine verschworene und doch immer wieder durch Annes (oft versehentliche) Eskapaden aufgescheuchte Kleinfamilie.
Über drei Staffeln mit insgesamt 27 Folgen können wir Anne dabei zuschauen, wie sie mit wachem Geist und ihrer direkten furchtlosen Art Konventionen aufbricht, sich ihren Platz im Leben erobert, Freundschaft und Liebe gewinnt. Die Serienmacher, allen voran Moira Walley-Beckett als »Creator«, die unter anderem für das Drogenkocher-Epos »Breaking Bad« (!) als Drehbuchautorin und Produzentin tätig war, haben der schon im Ursprung feministischen Geschichte einen kräftigen Schwung verpasst und handeln, ja, bisweilen didaktisch, aber ohne allzu aufgesetzt oder gar verfälschend zu wirken, neben der Geschlechtergerechtigkeit (»Mädchen können alles, was Jungs können«) auch durchaus brandaktuelle Themen wie Rassimus, Bigotterie, Meinungsfreiheit, Diversität, Mobbing oder die Unterdrückung der Ureinwohner ab.
Das Ganze ist zudem so liebevoll inszeniert und phantastisch bebildert, dass einem auch als Erwachsene/r das Herz aufgeht. Ich empfehle, sich die Serie im Original mit Untertiteln anzuschauen, vor allem zu Beginn ist Annes Hang zum Redeschwall bisweilen ziemlich anstrengend, auf Deutsch irgendwie noch mehr als auf Englisch. Das die dritte Staffel die letzte gewesen sein soll, wollen die zahlreichen Fans nicht akzeptieren. Aktuell läuft eine an CBC, Netflix und den als Retter gehandelten Kanal Disney+ gerichtete Petition unter »Renew Anne with an E for season 4!!«. Stand Mitte März 238.000 Unterzeichner/innen aus aller Welt.
Angela Stuhrberg
Anne with an E auf Netflix, drei Staffeln mit insgesamt 27 Folgen