Zwischen Natur- und Formbewusstsein

Deutsch-Japanische Positionen im studio naito

Akatsuki Ogura: Ohne Titel (2024)

Wie von der Natur selbst überformte Artefakte muten die Objekte der japanischen Künstlerin Yuka Origasa an. Dass hierbei auch Ast- und Wurzelwerk, Muschelschalen und Blütenstängel in die aus zahlreichen Schichten modellierten Werke integriert werden, ist mitunter kaum zu erahnen. So zitiert eine ihrer Arbeiten die Grundformen eines Tisches, aus dessen Tischplattenunterseite tatsächlich die Wurzeln einer Pflanze zu wachsen scheinen, während auf der Oberseite eine bizarre Vegetation solitärer Gebilde emporsprießt, die an blasse Meeresalgen oder gentechnisch mutierte Inventionen einer Laborsynthese erinnern.

Dass jene fantastischen Chimären, an deren Morphologie die natürlichen Grundformen noch vage ablesbar sind, im Dunkeln ein fluoreszierendes Leuchten entwickeln, verwundert beinahe nicht. Dagegen wirft die wie von einem langen Alterungsprozess überformte, in Erde und Rost überkrustete Oberfläche des tischgleichen Gerüsts und seine darin aufgehende, in ähnlicher Textur und Chromatik gefasste Wurzel die Frage auf, ob eine Verbindung zwischen jenen oberirdisch artifiziell wuchernden Wesen und der unterirdisch freigelegten Erdwurzel existiert. Und wenn ja, wie wir uns die Symbiose, das Diffundieren der Austauschstoffe durch die Schächte ihres gemeinsamen Nährbodens, der wie eine labyrinthartige Scheide zwischen den Welten fungiert, vorstellen müssen: etwa als lebensspendend für nur eine oder als allmählich toxisch verlaufenden Prozess für beide Seiten?
In Malerei, Zeichnung und Aquarell des japanischen Künstlers Akatsuki Ogura wird die Durchdringung des Raumes zum Hauptanliegen.

Von der Vorstellung beseelt, die Dreidimensionalität der Kubatur des Raumes auch in den Dimensionen der Leinwand und des Papiers zur Geltung zu bringen, erweitert er sein minimalistisches Formenrepertoire, welches bislang nahezu ohne Objektassoziation auskam, um das der menschlichen Gestalt. Doch diese bewegt sich – vorerst allein im Medium des Aquarells und der Zeichnung – in einem Universum der Linien, der polyedrischen, amorphen und stereometrischen Flächen. Sie wird zur Relationsfigur des Maßstabes, der Ausdehnung und Größenverhältnisse seiner chromatisch elaboriert gefüllten Flächen.
Jede seiner durch die eckige, gerade oder gekrümmte Linie umgrenzten Figuren ist bestimmt durch ihre Innenfläche, nicht den Umraum. Die Spannung liegt im umschlossenen Flächensegment, das als eigentliches Gestaltelement körperhaft über der Fläche des Papiergrundes lagernd oder schwebend begriffen wird. Das Andeuten und Weglassen jeglicher Details gelingen dadurch, dass das menschliche Auge das Fragment zum Ganzen ergänzt. Auch die Gestaltung der Farbspektren und die Technik des Farbauftrags im Aquarell werden zum wesentlichen Element in Akatsuki Oguras Raumstrukturen.

Durch Nass-in-Nass-Malerei erzeugt der Künstler ein Verfließen und Verschmelzen der Farbtöne, die er wiederum häufig mit einem opaken Farbauftrag konfrontiert. Er arbeitet mit dem Erlöschen und Aufblühen der Farbintensität, entwickelt lasierende und gedeckte Farbstufen und somit eine räumliche Staffelung in der Hell-zu-Dunkel-Malerei.

Die Gastgeberin der Schau, Valérie Madoka Naito, zeigt zwei Installationen mit performativem Charakter. Ihre Arbeit »I/24_Schwingstab« basiert auf einem zylindrischen Baumsegment, in dessen Querschnittfläche die Künstlerin temporär einen metallenen Stab arretiert. Eine von dort am oberen Ende herabhängende, doppelläufige Perlonschnur trägt grau irisierende, zylindrische Perlenglieder. Daraus ergibt sich die Form einer Schlaufe, die im letzten Drittel von goldenen Kalotten unterbrochen wird, an denen wiederum kleine Federn in zarter Flaumfiederung befestigt sind, die sich in ihrem artifiziell gefärbten Fuchsienrot vom metallenen Grau des Stabes und der Kette abheben. Aus filigranen objets trouvés, industriellen Alltagsgegenständen und organischen Materialien assembliert die deutsch-japanische Architektin und Filmemacherin ein homogenes Zusammenspiel, das in seiner hochästhetischen Balance den Eindruck natürlicher Selbstverständlichkeit erweckt. Gemäß dem Prinzip der Peitsche oder des Pendels ist das Objekt von Naito so konzipiert, dass akustische Schwingungen dadurch erzeugt werden, indem der elastische Stab aus seiner Basis entfernt und durch kontinuierliches Kreisen eine Art Welle in der Perlenschnur entsteht, die mit wachsender Geschwindigkeit auf den Scheitelpunkt der Schlaufe zuläuft und einen summenden Klang hervorruft. Das kontinuierliche Kreisen, die Verdrängung der Luft mag, je nach Intention und Ausdauer seiner Akteure, eine meditative oder energetische Empfindung hervorrufen. Auf diese Weise konvertiert die Künstlerin die Funktion und abstrakte Form der Peitsche, jener einstigen Insignie der Macht, in ein Symbol der Agilität und Kontemplation.

Die drei unterschiedlichen künstlerischen Positionen verhandeln das Motto der Ausstellung »Die Körperfarbe, Das Licht …« als eigentliche Grundbedingungen jedes bildkünstlerischen Ausdrucks in einem vielschichtigen Dialog, der auch die Rezipienten gedanklich aktiv an den schöpferisch-transformativen Prozessen der Kunstwerkentstehung beteiligt.
Katharina Arlt

»Die Körperfarbe, Das Licht …« studio naito, Oschatzer Straße 7, 01127 Dresden,
bis 30. Januar 2025, Besuch nach telefonischer Vereinbarung 0151-184 964 77
www.naito.eu