Vorhang auf!
Correggios Madonna des heiligen Sebastian wird in den Alten Meistern vor Publikum restauriert
An kaum einem Ort gewinnt man solch einen Überblick über das Werk des Hochrenaissancemalers Correggio wie in Dresden. Denn in der Gemäldegalerie Alte Meister befindet sich mit der Madonna des heiligen Franziskus das früheste dokumentierte Altarbild des Künstlers, mit der »Madonna des heiligen Georg« das letzte – und mit der Heiligen Nacht (»la famosina notte«) eines der berühmtesten Nachtstücke in der Geschichte der europäischen Kunst überhaupt. Alle drei Bilder sind im Galeriesaal 106 zusammen mit Raffaels »Sixtinischer Madonna« zu sehen.
Das vierte in Dresden befindliche Altargemälde Correggios, das um 1524 ursprünglich für die Bruderschaft des heiligen Sebastian in Modena entstand, hängt seit 2022 allerdings nicht mehr an den Wänden der Galerie, sondern steht, besser gesagt: liegt, im Zentrum eines aufwendigen Forschungsprojektes zur Untersuchung und Restaurierung des hochempfindlichen, nicht transportfähigen Werkes. Dass es gleichwohl öffentlich sichtbar ist, resultiert aus dem ungewöhnlichen Umstand, dass die SKD im ersten Obergeschoss der Sempergalerie, am Ende des der niederländischen Malerei des 15. bis 17. Jahrhunderts gewidmeten Flügels, ein Schau-Atelier mit breiten Glasfronten eingerichtet haben, wodurch Besucherinnen und Besucherinnen die mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Schoof’schen Stiftung finanzierten Restaurierungsarbeiten an dem mehr als zweieinhalb Meter hohen Werk verfolgen können.
Ein Team von Expertinnen und Experten unter der Leitung von Restauratorin Steffi Bodechtel hat über Monate das Gemälde und seine Technik aufwendig untersucht, die alten, über die Zeit vergilbten Firnisschichten entfernt, den Bildträger gesichert und später hinzugefügte von originalen Farbschichten geschieden und ggf. entfernt. Denn die Malerei wurde einst auf dafür ungeeigneten Holzbrettern aufgebracht, die sich verbiegen und die Farben anheben, sodass ältere Restaurierungen die ursprüngliche Farbigkeit und den Detailreichtum der Tafel überdeckten.
Correggio (um 1498–1534), der eigentlich Antonio Allegri hieß und nach seinem Geburtsort auch »Antonio da Correggio« genannt wurde, hielt sich am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn wohl in Mantua auf. Möglicherweise machte er da auch die Bekanntschaft des für die Gonzaga tätigen Andrea Mantegna, ein Meister der Raumillusion und damit Spezialist auf jenem Gebiet, das Correggio mit seiner Kuppelmalerei bald zu neuer Blüte führen sollte. Zunächst aber fertigte er wohl Arbeiten in der Art Mantegnas, darunter möglicherweise auch die mantegnesken Fresken in der Grabkapelle des bewunderten Vorbilds. Bald gehörten Benediktiner und Franziskaner zu Correggios Auftraggebern – Zeugnis davon legt die frühe Madonna des heiligen Franziskus in der Gemäldegalerie ab.
In den 1520er Jahren bildete Parma das Zentrum von Correggios Aktivitäten. Dort malte er Fresken für die Camera di San Paolo, für die spektakuläre Domkuppel und die Kirche San Giovanni Evangelista. In gigantischen Kuppelfresken gelang es ihm, mittels der Kombination von Figuren- und Farbperspektive die Illusion räumlicher Tiefe zu maximieren, fast ohne den Einsatz von Scheinarchitektur wie bei vielen Malerkollegen.
Correggios Bestreben, mit seinen künstlerischen Vorbildern und Konkurrenten nicht nur gleichzuziehen, sondern diese noch zu übertrumpfen, wird auch in dem langsam aus seinem Schönheitsschlaf erwachenden Sebastiansbild deutlich. In dessen Zentrum thront erhöht die verhalten lächelnde junge Maria mit nacktem Jesusknaben, hinterfangen von einem Kreis aus Putten und strahlendem Bedeutungslicht. Auf der unteren Hälfte des Bildes sind drei Heilige zu sehen: Links windet sich der an einen Baum gefesselte, nur mit einem Lendentuch bekleidete Sebastian; in der Mitte kniet der Stadtpatron Modenas, der heilige Geminianus (dem ein Putto eben das Stadtmodell überreicht); auf der rechten Seite lümmelt der Pestheilige Rochus. Die zur Madonna weisende Hand des Geminianus, der den Blick der Betrachtenden hinauf zu Madonna lenkt und für die Gläubigen als Fürsprecher fungiert, hebt sich plastisch ab vor dem Dunkel hinter ihr. Derartige Gegensatzpaare von Hell und Dunkel, Auf und Ab, von An- und Entspannung durchziehen die gesamte sorgfältig austarierte Komposition und erzeugen Spannung und Eleganz zugleich. Die Symmetrie des Bildaufbaus, die zwischen Himmel und Erde platzierte Mutter mit Kind, die direkte Ansprache der Betrachtenden und das komplexe Wechselspiel der Figuren lässt erahnen, mit welchem Werk sich Correggio hier messen wollte: mit keinem geringeren als der reichlich zehn Jahre zuvor entstandenen Sixtina Raffaels.
Correggios Kunst zeichnet sich durch eine besondere Anmut der Figuren, die an Leonardo da Vinci geschulte Weichheit der Linien und den Einsatz leuchtender Farben aus. Nicht umsonst galt er lange Zeit als Leonardo, Raffael und Michelangelo ebenbürtig. Die bis 2025 laufende Restaurierung macht die Vorzüge dieser Kunst am Vorabend des Barock schon jetzt besser erlebbar. Wer durch die Fenster hinein ins Schau-Atelier blickt, kann schon den neuen alten, kühleren Farbklang der Komposition erahnen, herrliche Details wie den mit Goldfäden durchwirkten Mantel des Geminianus entdecken oder die räumliche Tiefe bewundern, die sich hinter den Köpfen von Maria und Jesusknabe auftut. Vorfreude, schönste Freude.
Teresa Ende
Correggios rinascita. Die Restaurierung der »Madonna des heiligen Sebastian«
bis 1. Dezember 2025 in der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger
forschung.skd.museum