Schulterblick nach vorn

Dresdens älteste private Kunstgalerie feiert 100. Geburtstag

»Erwärme dich für Kühl!« steht auf einer – sachverständig gerahmten – Plastiktüte, die in den Räumen der Kunstausstellung Kühl auf der Dresdner Nordstraße 5 nur ganz privat und sozusagen unter zwei Augen (oder vielmehr: in lichter Höhe über ihnen) zu entdecken ist: Das seltsame Arrangement ziert die Rückwand der Besuchertoilette der ältesten privaten Kunstgalerie Dresdens, womöglich Ostdeutschlands, die in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiert. Vor vielen Jahren wurde die doppelsinnige Tüte (mit dem bekannten Werbeslogan des Kölner Wäschefachgeschäfts Max Kühl) augenzwinkernd dem Galeristen Johannes Kühl übergeben und wird seither in Ehren gehalten.

Sich für Kühl, die Kunstausstellung, zu erwärmen, war seit der Gründung der Traditionsgalerie 1924 für Künstlerinnen und Künstler ebenso wie für viele Kunstsammlerinnen und -sammler sowie Liebhaberinnen und Liebhaber moderner und zeitgenössischer Kunst aus Sachsen und dem Osten Deutschlands ein Leichtes. Den Nationalsozialisten und auch der DDR-Obrigkeit dagegen war die Galerie ein Dorn im Auge, schließlich wurden hier vielfach Arbeiten jener Künstlerinnen und Künstler entdeckt, vertreten, ausgestellt und/oder (unter der Hand) verkauft, die offiziell gar nicht oder nicht gut gelitten waren. Während der Zeit des Nationalsozialismus waren dies etwa die Gründungsmitglieder der Künstlergruppe »Die Brücke«, Otto Dix, Hans Hartung, Karl Hofer, Hans Theo Richter und Ernst Hassebrauk; in der DDR dann Hans Jüchser, Gerhard Altenbourg, Dottore, Hermann Glöckner, Klaus Dennhardt, Albert Wigand, Peter Albert und viele, viele mehr.

Vor 100 Jahren als »Kunstausstellung Kühl und Kühn« von Heinrich Kühl (1886–1965) und einer ehemaligen Mitarbeiterin der Galerie Arnold gegründet, führte Kühl das Geschäft ab 1925 allein weiter, im Gebäude des ehemaligen Hotel Kaiserhof gegenüber vom Blockhaus am Neustädter Markt. Die Nazis machten dem gut sichtbaren Geschäft mit großen Schaufenstern ein Ende, und Kühl zog mit der Galerie um in Zwinger-Nähe in die Kleine Brüdergasse 12, wo er im zweiten Stock, kaum einsehbar, die Arbeiten verfemter Künstler vertrieb. Beim Bombenangriff des 13. Februar 1945 wurden die Galerie- und Wohnräume vollkommen zerstört. Mithilfe des Kunstkritikers Will Grohmann und des Kunsthistorikers Fritz Löffler konnte der Galeriebetrieb bereits ab Mai 1945 wiederaufgenommen werden, nun im Preußischen Viertel, in der Zittauer Straße 12.

Heinrichs Sohn Johannes Kühl (1922–1994), der die Galerie nach dem Tode des Vaters 1965 übernahm, war selbst Maler und Zeichner in postimpressionistischer Manier. Allerdings gab er die eigene Tätigkeit als Künstler mit der Übernahme des Geschäfts praktisch ganz auf und widmete sich fortan dem Familienunternehmen – in der DDR ein heikles Unterfangen unter ständiger Beobachtung. Zu dieser Zeit galt die Kunstausstellung national wie international als liberale Anlaufstelle für Kunst jenseits des von der Kulturpolitik propagierten Sozialistischen Realismus und Johannes Kühl nicht als »Starker«, aber vielleicht als »Mutiger«, wie er rückblickend formulierte.
Sein plötzlicher Tod im September 1994 stürzte die Galerie in bedrohliches Fahrwasser – es gab keine Übergabe und zunächst keine offizielle Nachfolgeregelung, dafür jede Menge Rechtsstreitigkeiten und Immobiliensorgen –, sodass der Fortbestand der Galerie höchst gefährdet war. Mit Sophia-Therese Schmidt-Kühl übernahm die Tochter von Johannes Kühl und seiner Ehefrau, der Malerin Anneliese Schneider (1923–2009), die das Familienunternehmen seither in dritter Generation und mit hohem persönlichem Einsatz führt, immer unterstützt von ihrem Ehemann, dem Architekten Eckehardt Schmidt. Schon der kindliche Berufswunsch der 1961 geborenen Schmidt-Kühl lautete: Galeristin (neben Bildender Künstlerin und Klassischer Konzertgitarristin). Ihre Ausbildung als Maler, Lackierer, Vergolder in der Denkmalpflege und das Studium der Restaurierung lagen von diesem Weg nicht abseits.

Als Galeristin hat Sophia-Therese Schmidt-Kühl am 1999 bezogenen Standort in der Nordstraße einerseits das durch den Großvater und Vater geprägte Profil beibehalten und gepflegt. In ihren, seit 2006 mit tatkräftiger Unterstützung der Kunsthistorikerin Iris Häckel konzipierten Ausstellungen präsentiert sie Künstlerinnen und Künstler der »Dresdner Malschule« wie Josef Hegenbarth, Johannes Beutner, Theodor Rosenhauer, Carl Lohse, die Brüder Max und Wilhelm Lachnit, Jüchser, Hassebrauk, Wigand, Hans Christoph und Curt Querner ebenso wie die von Johannes Kühl ab den 1970er-Jahren hinzugewonnenen Gerda Lepke, Michael und Veit Hofmann, Dennhardt, Peter Graf, Stefan Plenkers, Albert, Dieter Goltzsche und Helmut Heinze. Andererseits hat sie das Galerieprogramm bewusst für weitere, viele davon jüngere Künstlerinnen und Künstler geöffnet, darunter Brian Curling, Friederike Curling-Aust, Jan Dörre, Konstanze Feindt-Eißner, Konrad Henker, Anna Leonhardt, Stephanie Marx, Thomas Matauschek, Ute Naue-Müller, Christine Schlegel, Susanne Wurlitzer sowie die Bildhauer Lothar Beck und Thomas Jastram.

Diese tief empfundene und seit 30 Jahren mit großem Engagement gelebte Doppelverpflichtung gegenüber künstlerischer Tradition und Zukunft mit Lokalbezug ist denn auch der rote Faden, der sich durch die der Galeriegeschichte seit 1994 gewidmete Jubiläumsausstellung zieht. Zunächst verblüffend hängt da eine Landschaft von Erich Fraaß aus den 1930ern neben einer von Maria Chepisheva aus 2021, Porträts von Jüchser neben Anna Leonhardt, dann eine abstrakte Komposition Peter Alberts von 1988 vis-à-vis von Brian Curlings feinen Farbholzschnitten. Über gemeinsame Motive, Themen oder Farben gelingt es, Kunstwerke aus unterschiedlichen Kontexten und Zeiten miteinander ins Gespräch zu bringen – und uns über sie. Die Kunstausstellung Kühl verbindet das alte Dresden der Zwischenkriegszeit mit unserer Gegenwart. Nirgendwo sonst lässt sich diese Traditionslinie anhand der renommierten Galerie-Künstlerinnen und -Künstler eindrücklicher – und niemals rückwärtsgewandt – nachvollziehen. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, Kunstausstellung Kühl, und alles Gute für die Zukunft!
Teresa Ende

100 Jahre Kunstausstellung Kühl Zweiter Teil 1994 bis heute. Nordstraße 5, bis 5. November
www.kunstausstellung-kuehl.de