Blüte der Extravaganz in der europäischen Malerei

Die Galerie Alte Meister öffnete ihre Depots für eine exzellente Schau von Stillleben

Foto: Oliver Killig

Am Anfang war der Genuss: An antiken, höfischen und später bürgerlichen Tafeln wurde ausgiebig gezecht und zugelangt, aber auch auf Ästhetik geachtet. Wildbret, Fleisch, Früchte, diverses Gemüse, Delikatessen, Fisch, Meeresfrüchte u. a. wurden auf Tischen mit Blumen und anderem Beiwerk stilvoll arrangiert, dekoriert und in bester Manier gemalt. In der Antike bildeten erste Malereien von Fischen den Fond von Tellern, täuschend echt. Immer mehr trat ein malerischer Naturalismus in den Mittelpunkt, dem es um täuschende Echtheit des optischen Eindrucks und eine haptisch-sinnliche Opulenz ging. Das »klassische« Stillleben aber wurde erst Mitte des 17. Jahrhunderts zur salonfähigen eigenen Gattung, allen voran in der niederländischen Malerei, die wie auch die Musik (Madrigal) und deren Instrumentarium (Laute) starke künstlerische Impulse aus Italien empfing. Aus dem Niederländischen stammt auch der Begriff Stillleben (seit ungefähr 1650, Delfter Inventar »Stilleven«), der den Forschern seitdem viele Rätsel über seine Etymologie aufgegeben hat. Sicher ist, dass der Wortstamm »Leben« den Charakter der Gattung zwischen Blüte, Reife und Tod in der Natur thematisiert.

Die Staatlichen Kunstsammlungen geben nun neben einigen Leihgaben aus dem Kunsthistorischem Museum Wien und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München in einer beeindruckenden Schau im Semperbau der Galerie Alte Meister einen Einblick in ihre aus den Depots stammenden, bisher kaum gezeigten Stillleben, von denen viele im Vorfeld umfassend restauriert wurden. Neben diesem glücklichen Umstand für die vorwiegend aus dem 17. Jahrhundert stammenden Bilder hat ein Team von Spezialisten unter Konstanze Krüger einen prachtvollen Katalog mit den gezeigten Gemälden sowie einen umfangreichen Text-Kommentar mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen beigefügt, der geschickt nach den Unterarten der Gattung und ihren Vermischungen strukturiert ist, sich den ausgestellten Arbeiten und ihrer Interpretation widmet, aber auch künstlerische, kulturhistorische, sammlungs- und erwerbungsgeschichtliche Hintergründe (besonders der Dresdner Sammlung seit der Gründung der Kurfürstlichen Kunstkammer) umfasst. In einer schlichten, aber reizvollen Präsentation begleiten die Ausstellung auch kulturhistorisch wertvolle Objekte und Preziosen aus der Entstehungszeit der Stillleben. So erlebt der Betrachter eine Zeitreise, in der Dinge von damals, Metaphern, Allegorien, philosophische Gedanken von Werden und Vergehen, aber auch die »zeitlose Schönheit« (so der Titel der Ausstellung) lebendig werden. Neben der Faszination der malerischen Illusion wird das Perfekt-Abbildhafte in feinster Lasurmalerei fast fotografisch überscharf wie auf einer Bühne präsentiert. So erzählen die Stillleben von der gerade gepflückten Frucht, ihrem Vergilben, von der Schönheit des Augenschmauses, von Prunk und Überfluss, Repräsentation und Demonstration von Macht, Eros und Tod. Sie berichten nachdenklich über Zustände des Seins (memento mori), sind Spiegel des Morbiden in der Natur, aber auch beredter Ausdruck herrschender Moral, Kultur und Lebensanschauung.

Neben den »Stammbildern« der vornehmlich flämischen und niederländischen Stillleben-Kunst der Dresdner Galerie gehören auch weitere Arbeiten mit Vanitas-Darstellungen, Blumen-, Früchte-, Fisch- und Jagdstillleben, Trompe-l’œils (Augentäuscher), Blumenkränze sowie die Verherrlichung von Wein und Bacchus zum Repertoire. Bekannte Namen, aber auch unbekannte beherrschen das Terrain, wie zum Beispiel Pieter Claesz, Daniel Seghers, Jan Brueghel d. Ä., Jan Davidsz de Heem, Cornelis de Heem, Frans Snijders, Abraham Mignon, Willem Claesz. Heda, Rachel Ruysch, Rembrandt und Peter Paul Rubens sowie Vertreter aus dessen Schule.
Heinz Weißflog

Zeitlose Schönheit. Eine Geschichte des Stilllebens Galerie Alte Meister, bis 1. September, gemaeldegalerie.skd.museum