Bei Zweien sieht man besser

Karl Schmidt-Rottluff zu Besuch bei Josef Hegenbarth

Farbe und Linie, die oft beschworenen Antagonisten der Malerei, können nicht ohne einander sein. Aktuell führt dies die stimmige Gegenüberstellung zweier künstlerischer Positionen vor Augen, die auf den ersten Blick unvereinbar erscheinen, schließlich bewegten sich die Kunst- und Karrierewege von Josef Hegenbarth (1884–1962) und Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) entlang unterschiedlicher Pfade. Gleichwohl beackerten beide das spannungsbeladene Feld von Farbe und Linie, wie derzeit in der von Anne-Sophie Laug kuratierten Doppelschau im Josef-Hegenbarth-Archiv nachzuvollziehen ist.

Dem Vergleich der künstlerischen Anliegen und Handschriften dieser zwei 1884 Geborenen kann man sich in den ruhigen und stimmungsvollen Räumen im ehemaligen Winzerhaus in der Calberlastraße in Loschwitz widmen, von 1921 bis 1962 Domizil des Zeichners und Illustrators Josef Hegenbarth. Die ausgestellten Werke ­Schmidt-Rottluffs sind dabei insofern eine Besonderheit, da sie erst 2019 als Dauerleihgabe aus der Stiftung ­Dr. Kurt und Annelore Schulze ins Kupferstich-Kabinett gelangten und nun erstmals öffentlich gezeigt werden.

Den Auftakt der Präsentation machen die Geschenke der beiden Künstler aneinander anlässlich ihrer 70. Geburtstage im Jahr 1954. Schmidt-­Rottluff sandte Hegenbarth eine Tuschpinselzeichnung – ein monochromes mit lockerer Hand ausgeführtes Stillleben, zwei Flaschen, Zitrone und Topfpflanze – mit persönlicher Widmung. Der Beschenkte dankte und antwortete seinerseits mit einer Lithografie, darauf eine Selbstdarstellung mit aufbäumendem Pferd, worauf ihm Schmidt-Rottluff aus seinem Sommerdomizil in der Lübecker Bucht schrieb und wünschte, Hegenbarth möge doch »noch lange wacker am Werk« bleiben.
Die Werkgaben der Künstler aneinander sind mehr als nur Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung. Denn beide widmeten dem anderen Arbeiten jener Gattung und Ausrichtung, die als besonders charakteristisch für das eigene Schaffen galt: Stillleben der eine, Mensch- und Tierdarstellung der andere. Allerdings, mit der Vorstellung, dass Linie und Farbe zwischen ihnen beiden eindeutig – nämlich: trennend – verteilt seien, räumen die Geburtstagsgaben ebenfalls gleich auf.

Kennengelernt hatten sich die beiden Künstler schon viel früher, waren doch beide bereits 1905 nach Dresden gekommen, aus unterschiedlichen Richtungen und mit je anderem Ziel: Josef Hegenbarth, im österreichisch-ungarischen Böhmisch-Kamnitz (heute ˇCeská Kamenice) geboren, wechselte nach Dresden, um bei seinem Vetter Emanuel Hegenbarth zu studieren, und blieb der Stadt, abgesehen von wenigen Unterbrechungen wie dem Studium in Prag, bis zu seinem Lebensende treu. Schmidt-Rottluff – eigentlich Karl ­Schmidt aus dem Dorf Rottluff bei Chemnitz – folgte seinem Schulfreund Erich Heckel an die Elbe, um wie dieser an der Technischen Hochschule sein Architekturstudium aufzunehmen. Mit ihm und den Kommilitonen Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bleyl gründete er am 7. Juni 1905 die »Künstlergruppe Brücke«, die 1911 nach Berlin übersiedeln sollte.

Die Malerei des Autodidakten und Expressionisten der ersten Stunde Schmidt-Rottluff wurde immer freier und radikaler – getragen von großen leuchtenden, vielfach ungebrochenen Farbflächen, um »das zu fassen, was ich sehe und fühle, und dafür den reinsten Ausdruck zu finden«, wie er selbst sagte. Dabei waren ihm zeitlebens Landschaften und Stillleben die am besten geeigneten Betätigungsfelder, wie auch die Exponate der Ausstellung deutlich machen. Hegenbarth dagegen widmete sich vor allem der prägnanten Darstellung von Mensch und Tier: »Ich liebe die Menschen und zeichne diese, wo immer ich sie finde«, befand er in seiner Autobiographischen Skizze 1934. Entsprechend begegnen wir in der Schau jenen treffend festgehaltenen Szenen aus der Welt des Zirkus, am Badesee oder auf der Straße, für die Hegenbarth so geschätzt wurde.

Dabei vermeidet es die Schau, die beiden Künstler schlicht als Gegensatzpaar zu inszenieren. So zeigt sie zum Beispiel auch Arbeiterdarstellungen Schmidt-Rottluffs aus den 1920er-Jahren, die sehr wohl den Menschen und seine Haltung sezieren. Was wir bei ihm aber in der Tat nicht finden, ist jene intensive Beschäftigung mit Tieren. Hegenbarth bringt sie mit reduziertem Strich oder borstigem Pinsel aufs Papier – wie bei dem herrlichen »Eber« in Seitenansicht – und trifft dabei nicht nur die Stofflichkeit des rauen Fells oder Eleganz und Kraft einer Bewegung, sondern den Charakter des jeweiligen Tiers. Das wird sowohl in den Leimfarbenblättern als auch in den Illustrationen ersichtlich, wo gerade geschickt eingesetzte Farbakzente das Wesen einer Tierfigur so unterstreichen, dass sie zum Leben erweckt wie, wie das wild steigende blau-umrissene Pferd zum »Knoblauchgarten« von Giambattista Basile.

In der Zusammenschau der Arbeiten erkennt man: Farbe und Linie bilden hier die beiden wichtigsten Bezugs- und Reibungspunkte des Schaffens – für beide Künstler. Nicht nur zu Brücke-Zeiten, sondern gerade auch die späten Stillleben Schmidt-Rottluffs feiern Farbe und Linie. Durch den Einsatz kräftiger Konturlinien und genau empfundener Farbkontraste verstärken beide Gestaltungsmittel einander, ja schaukeln sich richtiggehend ›hoch‹, wie in dem wunderbaren undatierten »Stillleben mit Flaschen« in Orange, Blau und Violett. Die Gegenüberstellung von Hegenbarth und Schmidt-Rottluff erst macht diese kleine Ausstellung zu einem Erlebnis vergleichenden Sehens – und beide Künstler zu Gewinnern.
Teresa Ende

Farbrausch und Linie. Schmidt-Rottluff bei Hegenbarth.
bis 4. April 2021,
Ausstellung des Kupferstich-Kabinetts im Josef-Hegenbarth-Archiv, Calberlastraße 2
www.kupferstich-kabinett.skd.museum